System ErrorDer Film ‚System Error‘ über die Grenzen des Wachstums in der endlichen Umwelt hemmt dem Zuschauer zeitweilig den Atem, angelaufen am 10. Mai,  Teil 1/2

Heinz Markert
 
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Dieser Film wird für den Schul- und Lehrgebrauch unterstützt. Mit verständlichen Marx-Zitaten zutreffend gespickt, begleitet der Film, den sich eigentlich niemand entgehen lassen sollte, die Bilder von monströsen Nutzlandschaften, geschäftigen Handelsräumen und Börsenparketten, in denen über die menschliche Sache in endlicher Umwelt verhandelt wird und über unsere Geschicke als Gattung, die wir uns selbst bereiten.
 
À propo Marx: dieser Weltgelehrte der Analytik des Widerspruchs zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen hat in einem frühen Stadium des Kapitalismus formuliert, was erst jetzt seine volle Aktualität erreicht. Er war aber kein Prophet. Er war ein Mann des Geistes und der Sinne. Er hatte ein Sensorium für die ökologische Problematik. „Jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben“ (Marx). Er hat gesehen, dass der ökonomisierte Mensch der Natur Gewalt antut. Denen, die sich zu ihm bekehrten und Macht erlangten, gingen derartige Einsichten ab.
 
Was bringt Menschen dazu, das Rüstungsgeschäft, das Geschäft mit dem Tod, zu betreiben, wissend, dass ganze Weltteile mit Waffen aufgepumpt werden, die logischerweise früher oder später aufeinander losgehen – etwa um sich von ihrer Endlichkeit abzulenken und dabei die Todesengel zu spielen? Die Firmen lauten deutsch: Heckler & Koch und Rheinmetall. Und noch während ein Land das andere überfällt stattet unsere Regierung den, der überfällt, mit neuen Waffen aus. In den Vereinigten Staaten sterben im Schnitt pro Tag 89 Menschen durch den lockeren Gebrauch einer Schusswaffe. Erinnert das nicht an die Möglichkeit eines schlummernden Todestriebs?

 
Mato Grosso (Brasilien) – Monokultur statt Urwald (unwiderbringlich)
 
Dieser Teil ist der am meisten erschreckende. Er vermittelt einen Einblick in die Soy & Corn-Industrie und die Pigs & Chicks-Fabrikation. Beide operieren auf einer Fläche, die täglich um 25 Fußballfelder wächst. Eine Mammut-Maschinerie frisst sich in Flächen hinein, auf denen einmal Urwald stand. Die Idiotie des Investors und seiner Ausführenden ist umso größer als auf Flächen gehandelt wird, die zuvor nur eine dünne Humusschicht unter einem Urwald aufwiesen. Urwald erhält sich in einem Kreislauf der Selbstwiederholung, ohne dass jemals Dünger oder Konzentrat zugeführt wird. Dieser Boden wird also mit Kunstdünger zum künstlichen ‚Substrat‘ herabgewürdigt – und dafür wurde Urwald geopfert, der nicht restituierbar ist. Die Fläche, die durch diese Hirnlosigkeit beraubt wurde, beläuft sich mittlerweile auf eine Fläche von der Größe der Schweiz. Dieser Prozess wird von den Verantwortlichen in höchsten Tönen belobt.
 
26000 Quadratkilometer Urwald sind schon vernichtet worden. Argino Bedin, einer der größten Sojaproduzenten in Mato Grosso, tritt auf den Plan. Auf dem Gelände war die BASF gerade zu Besuch. Ein Glyphosat-Kanister rückt ins Bild. Man erwartet ein noch Mehr an Wirkungskraft, nach dem Motto: habt ihr nicht neue und bessere Mittel, „etwas, das noch mehr Effizienz und Profit bringt?“. Skrupel haben der Investor, seine Untergebenen und Ausführenden keine. Das alleinige Anliegen besteht darin, „to boost profit“, die jährliche Wachstumsrate in der Stadt der Silos, der Tier- und Schlachtfabriken von Carlos Capelleti, einem der größten Hühner- und Schweineproduzenten Lateinamerikas (JBS) beläuft sich auf 20 Prozent. Wildnis wurde zur Fabrik.

Die gezeigte Anlage besteht aus 96 Gebäuden mit 67500 Schweinen und 27500 Hühnern (15 Mill. pro Jahr). Man sieht Tiere, die empfindsam sind wie wir, eng aneinander gepfercht. In einem kurzen Take sieht man Urwald lodern, es wird neu „gerodet“. Das „Save the Forest“ gilt für die Herren des Todes nicht. „We are allowed to exploit“, „everything will be better in future“. Man erkenne keine Grenzen an. „A Dream came to us“, heißt es geradezu religionspolitisch.

Der Wachstumskritiker Prof. Tim Jackson von der Universität Surrey, der verschiedentlich zwischengeschaltet wird, weiß davon zu erzählen, dass seine Kinder schon den Widerspruch zwischen den unendlichen Anstellungen des Menschen und den begrenzten Ressourcen begreifen. Dieser wird erst voll aufgeladen dadurch, dass der Finanzsektor die Wachstumsspirale in immer höhere Drehungen treibt; wovon wir 2008 etwas zu spüren bekamen. Wären damals Frau Merkel und Herr Steinbrück nicht so inspiriert gewesen oder wären sie nicht schnell genug gewesen, dann wäre erstmal aller Tage Abend gewesen. Ein Arbeitskollege meinte damals, es hätte Mord und Totschlag gegeben. Die Flutwelle der Hochfinanz hätte uns um ein Haar schlagartig in die Situation der der Nichtmehrverfügbarkeit von Geld versetzt. Aber das könnte noch kommen. Aus dem Off – was der Film nur wenig nutzt - gefragt, was seine Meinung über das fragile Geldwesen sei, meint ein Bloomberg-Vertreter, er habe keine.
Der Prozess ist also offen.


Die Industrie huldigt mehr dem Finanzkapital als sich selbst (siehe auch: Siemens)

Regisseur Florian Opitz hat den Protagonisten viele Statements entlockt. Sie sind meist von offenherziger Unverstelltheit. Man sieht sich in den Kreisen des Finanzsektors über den vermeintlich Unkundigen situiert. Eine Frau ist nicht unter denen, die Einschätzungen abgeben und etwaige Bekenntnisse ablegen. Vertreter der Industrie, des Finanzkapitalismus (‚in the eye oft he storm‘) sowie der Banken und der Versicherungswirtschaft (mit der Allianz-Gruppe) kommen zu Wort.
 
Der BDI, der Industrielobbyverband, lässt sich mit dem Faszinosum 'Wachstum über alles' vernehmen. Es sei eben das Verhalten der Menschen. Immer schon werde Wachstum kreiert. Eine menschliche Aktivität ohne Wachstum sei undenkbar. Solange seit Menschen seien, sei Wachstum unabänderlich wie die Schwerkraft, die Schwerkraft! 40 Jahre nach dem ersten Bericht des Club of Rome mit seinen 30 Millionen Kopien wird den Prognosen, die keineswegs günstiger wurden, unvermindert gegengehalten. Der Bericht wanderte damals durch alle Klassenräume. Leider kam es damals fast zu gleicher Zeit dazu, dass der Finanzkapitalismus, obwohl die Stagnation der Siebziger nur ein Intermezzo war, von der Leine gelassen wurde, wie dann nochmal zu Gerhard Schröders Zeiten. Nach 1929 und dem Weltkrieg, der auch eine Folge von 1929 war, hatte man ihn wohlweislich an die Kette gelegt. Lässt uns das nicht an gegenwärtige Zeiten denken, die auch wieder einen umfassenden Krieg aller gegen alle gebären, erst ökonomisch, dann militärisch?
 
In den Siebzigern kam der Monetarismus auf, bald angeführt durch Maggie Thatcher und Ronald Reagan. Wenn die Kräfte nachlassen muss Geld als Aufputschmittel herhalten. Die Politik begab sich in einen Prozess der Selbstentmachtung, das gilt bis heute. Andreas Gruber, Chefinvestor der Allianz Gruppe, schaut welche Regionen wachsen, die Kunden, die Anleger erwarten 4 Prozent 'return'. Angesagt sind investive Felder in Schwellenländern mit Straßen, Immobilien und „First Class Shopping Centers“, wo man Essen geht, ins Kino geht, nicht nur einkauft. Er wird in seinen Ausführungen auch allgemein: Es werde immer Krisen geben, aber sie haben sich immer selbst geheilt. Stillstand sei Rückschritt. Er hält Wachstum für ökologisch verkraftbar. Er sagt es in einer Art, als sei er gegen jegliche Anfechtungen gefeit.

FORTSETZUNG FOLGT
 
Foto:
© Verleih

Info: 
Der Film liefert begleitend Schulmaterial unter: http://www.systemerror-film.de/assets/content/material/system-error_kc.pdf 


Die Teile der Serie in WELTEXPRESSO:

1. Der Film, der in Bann schlägt
https://weltexpresso.de/index.php/wissen-bildung/13026-der-film-der-in-bann-schlaegt
2. Der Finanzkapitalismus ist eine Gefahr für Mensch und Umwelt