Legalisierter Raub.0ec79c3b13Noch einmal zu sehen: die Ausstellung ‚Legalisierter Raub – Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933 – 1945‘

Heinz Markert
 
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Zum Anlass des Abschlusses der Wanderausstellung ‚Legalisierter Raub – Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933-1945‘ präsentieren vier Frankfurter Museen neuerlich recherchierte Spuren ‚legarisierten Raubs‘: das Historische Museum, das Museum Angewandte Kunst, das Jüdische Museum (Museum Judengasse) und das Weltkulturen Museum.
Die Wanderausstellung wurde zum ersten Mal 2002 in Frankfurt gezeigt. Danach war sie 16 Jahre auf Wanderschaft, lief durch 29 Ausstellungstationen. Für jeden Ausstellungsort wurden neue regionale Themen erarbeitet, „die sich mit der Geschichte des legalisierten Raubs beschäftigten“. Es fand eine Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen, Schülerinnen und Schülern und weiteren Partnern statt.
 
Geerbt.Gekauft.Geraubt?
 
Im Zentrum der Ausstellung steht ‚Der große Raub‘ an den Juden Hessens zwischen 1933 und 1945 durch das System des Nationalsozialismus und die vielfach willige Mittäterschaft der einfachen deutschen Bevölkerung, die die Nazis eine ‚arische‘ nannte. Der Nationalsozialismus ist unmittelbar eins mit Rassismus und die daraus sich ergebende Rechtfertigung zur gewöhnlichen Enteignung der rassisch Abgewerteten. Die die Ausstellung begleitende Broschüre von 78 Seiten ist eine Fundgrube für die abgebrühte und mit List eingefädelte Gemeinheit, die Menschen angetan wurde. Es empfiehlt sich, den kleinen Band zu erwerben und ggf. einige Exemplare zum Zweck der Aufklärung weiterzureichen.
 
Seit einigen Jahren ist das Bedürfnis entstanden, dessen zufolge eine deutsche Nachkriegsgeneration verschiedentlich herausfinden möchte, ob die feinen Möbel und erlesenen Gegenstände, die sie von den Eltern geerbt hat, nicht womöglich aus geraubtem jüdischen Besitz stammen, indem Gegenstände in Auktionen und Versteigerungen in den Jahren 1933 bis 1945 an ein kaufbegieriges Publikum aus deutsch-arischen Haushalten veräußert wurden.
 
Es gab nur wenige Deutsche, die nicht bereit waren, sich dieser Praxis anzuschließen, wobei sie dann bemerkten: „da klebt Blut dran“. Der Nationalsozialismus begann im Kleinen mit Raub, er endete aber schließlich in der Vernichtung von 6 Millionen Menschen jüdischer Abstammung. Die Raub- und Mordpraxis wurde auch in jedem Land, das mit Krieg und Mordbrennerei überzogen wurde, praktiziert. In Frankfurt gab es fast täglich Versteigerungen von Wertgegenständen aus jüdischem Besitz.

Das System der „Verwertung“ jüdischen Eigentums wurde gigantomanisch aufgezogen. Es bestand in einer Orgie des Bürokratismus der Beraubung und der dazu gehörigen Erniedrigung. Ihren Ausgang nahm sie in der Reichsfinanzverwaltung, nach unten wurde delegiert in die Landesfinanzämter, denen ab 1937 in Hessen die Oberfinanzpräsidien (Kassel und Darmstadt) mit deren Vorstehern unterstanden. Auf der lokalen Ebene wirkten Hauptzollämter und Devisenstellen. Die Gestapo war zu Eigenmächtigkeiten fähig. An der Spitze standen lange keine Nationalsozialisten, sondern Vertreter der konservativen Eliten. Bis 1945 stand Reichsfinanzminister Lutz Graf Schwerin von Kosigk an der Spitze des Unternehmens Deutscher Raub an Mitmenschen. Unzählige amtliche Instrumentarien und deren vorauseilende Bevollmächtigte kamen pausenlos zum Einsatz.

Um den Mantel der Legalität zu sichern wurden immer feinere, ausgesuchtere Abarten an ‚Rechtsmitteln‘ zur Beraubung der jüdischen Nachbarn entwickelt, als da waren: „Judenvermögensabgabe, Reichsfluchtsteuer, Beitreibungen durch die Golddiskontbank für mitgenommenes Auswanderungsgut, fast entschädigungslose Ablieferung aller Metall- und Schmuckwertstücke, sog. »Treuegelder« für ältere Geschäftsangestellte, Sonderabführungen [...] bei Genehmigung von Geschäfts- und Hausverkäufen, Sonderjudenabgaben für die Religionsgemeinschaft [...]". Wobei zu bedenken ist, dass Auswanderungen nicht freiwillig vorgenommen wurden, sondern der Rettung des nackten Lebens dienten, die aber oft vergebens war. Denn auch in den Nachbarländern griffen die Häscher zu. Es wurde systematisch enteignet und gedemütigt. Dem vorschriftsmäßig geschassten Journalisten der Frankfurter Zeitung, Artur Lauinger, waren als er Deutschland 1938 verließ, „von seinem einstigen Wohlstand noch 5 Mark geblieben“.
 
„Nach der [sogenannten] Reichskristallnacht wurden die Juden gezwungen eine Milliarde Reichsmark aufzubringen, um alle Schäden ‚gutzumachen‘, die die Zerstörungen der Nazis angerichtet hatten, was ja absolut widersinnig ist, denn sie haben ja nicht kaputtgemacht, sondern die SA“ (Wolfgang Lauinger in: ‚Der große Raub‘, DVD des Hess. Rundfunks zur Ausstellung, Film von Henning Burk und Dietrich Wagner, 2007)
 
Die Austreibung der Familie Reinhardt aus ihrem Heimatort Dudenhofen
 
Von den zwölf in der bezeichneten Broschüre versammelten Schicksalen wird auch die Pein der Familie Reinhardt in Dudenhofen zur Sprache gebracht. Diese war im Ort voll integriert. Ab 1933 begannen die Feindseligkeiten gegen die Familie. In der Reichspogromnacht 1938 wurde sie gewalttätig überfallen. Auch Nachbarn drangen in ihr Haus ein, zerstörten Mobiliar und trieben die Familie unter Schlägen aus dem Dorf. Ihr Haus wurde unter Zwang verkauft. Die nächsten Jahre lebten die Reinhardts in Frankfurt und wurden 1941 von dort nach Lodz deportiert. Ende der 1990er Jahre wurde das Haus der Familie, kurz bevor die Tochter Irene, die nach qualvollen Jahren sich endlich einen Besuch im Heimatort zumuten konnte, abgerissen. Der Katalog kommentiert: „Auch eine Art der Vergangenheitsbewältigung“. Der Aktionskünstler Gunter Demnig hat am 02.09.2011 vier Stolpersteine vor dem Haus Nieuwpoorter Straße 58 zur Verbeugung vor der Familie einzementiert.

Die Reinhardt-Enkelin Dr. Zoya Fiedler hatte mit einem Dokumentarfilm die verdrängte Erinnerung an die Familie Reinhardt wiedererweckt und die verschüttete Wahrheit ans Licht geholt. Der Film „60 Jahre judenfrei“, gezeigt im Fernsehprogramm von „Arte“, spaltete fast die Gemeinde.

Ehrenmänner beraubten Juden

Die Broschüre informiert auch über Dr. Hans Werth, Oberfinanzpräsident in Darmstadt und Antisemit, der ab 1925 im ‚Altdeutschen Verband‘ die Enteignung der Juden unter der gleichzeitigen Bedingung ihrer Einweisung in Konzentrationslager vertrat. Er regierte mit harter Hand. Er bewarb sich nach dem „Terrorangriff auf Darmstadt“, in dem er sein gesamtes Mobiliar der Dienstwohnung verlor, „im Reichsinteresse liegend“ (wie er angab), um Möbel der Familie Klöpfer, die in Seligenstadt ein Textilgeschäft betrieb. Die Ehefrau war jüdischer Herkunft. Werth war dafür bekannt, sich Begehrtes zu sichern. Im Verfahren der Entnazifizierung bestritt er dies. Bekannte und Untergebene schrieben ihm Persilscheine.

Sein Antipode war Otto Wolf, Finanzbeamter in Friedberg, der den Juden half soweit er konnte. Er galt amtsintern als NS-Gegner. Friedberg war eine Hochburg der ‚Alten Kämpfer‘. Er war felsenfest davon überzeugt, dass den Juden Unrecht getan werde. Er erstellte mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde eine Liste des den Juden geraubten Eigentums. Diese diente später als Grundlage für die Rückerstattungsanträge der Juden in der Region. Seltsamerweise gilt diese einzigartige Liste heute als verschollen.

Die Ausstellung ist eine Kooperation des Fritz Bauer Instituts, des Hessischen Rundfunks, des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, des Historischen Museums Frankfurt, des Jüdischen Museums Frankfurt, des Museums für Angewandte Kunst und des Weltkulturen Museums Frankfurt. Auch der Sparkassen-Kulturstiftung ist daran gelegen, die Verstrickung der Banken und Versicherungen in die Ausplünderung der Juden in Hessen aufzuklären und zu dokumentieren.

Foto:
Fritz Bauer-Institut
 

Info:
30. und letzte Ausstellungsstation: Mittwoch, 16. Mai bis Sonntag, 14. Oktober 2018, Historisches Museum Frankfurt Saalhof 1, 60311 Frankfurt am Main
https://www.fritz-bauer-institut.de/legalisierter-raub.html

Die Teile der Serie in WELTEXPRESSO

1. Der Nationalsozialismus erhob den Raub zum Staatsakt
https://weltexpresso.de/index.php/wissen-bildung/13071-der-nationalsozialismus-erhob-den-raub-zum-staatsakt
2. Geraubt.Zerstört.Verstreut + Geraubt.Gesammelt.Getäuscht
https://weltexpresso.de/index.php/wissen-bildung/13072-geraubt-zerstoert-verstreut-geraubt-gesammelt-getaeuscht