1188687.jpg c 215 290 x f jpg q x xxyxx1„Wettbewerb hat in der Humanmedizin absolut nichts zu suchen - Wettbewerb kann es nur am Markt, bei Waren geben“ (Dr. Bernd Hontschik)  Teil 1/2

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mit ein Anlass für den Diskussionsabend im Haus am Dom, Frankfurt war der neue Dokumentarfilm ‚Der marktgerechte Patient‘, der im Untertitel die Erweiterung: ‚- in der Krankenhausfabrik‘ ausweist.

Am Ende wird der Mensch selbst zur Ware

Medizin ist nicht warenförmig, wer dies propagiert, vergeht sich am Humanum, es ist ein Weg, der in den Abstieg führt, in dem wir uns gesellschaftlich befinden. Die Humanität war immer eine eher seltene Frucht, sie ist durch die Ökonomisierung und Privatisierung aller Lebensbereiche in höchste Gefahr gekommen.

Der Diskussionsabend zwischen Dom und neuer Altstadt lieferte viele Streiflichter durch die geltende Praxis an Krankenhäusern. Sie gaben einen Einblick in einen Kosmos an Gegebenheiten und Tatsachen, die das Fürchten lehren. Wer noch nie selbst einen ernstlichen Krankenhausaufenthalt erlebt hat, ist von der bedrückenden Atmosphäre dieser Häuser betroffen und versucht sie auf Distanz zu halten.

Der Abend beginnt mit der tatsächlich geltenden Feststellung, mit kranken Kindern sei kein rechter Profit zu machen. Das ist mit verzögerten Wartezeiten verbunden. Der Erlös steht im Vordergrund, seit Gerhard Schröder sprach: „Wir werden die Leistungen des Staates kürzen“. Die wichtigste aller Daseinsvorsorgen wird staatlicherseits sukzessive privaten Interessen ausgeliefert. Aus dem Gesundheitssystem, das ehemals noch Gesundheitswesen hieß, wurde die Gesundheitswirtschaft; abscheulicher als dieser kann kein Ausdruck sein.

Die Kosten des Gesundheitswesens seien mit 10,8 Prozent immer gleich gewesen, stellt Bernd Hontschik fest und kommentiert: „...quatsch, von wegen nicht mehr bezahlbar“. Die Fallpauschalen seien zu gering, erforderliche Zeit falle Geld anheim. Ein System, das aus kranken Menschen mit Krankenhauskonzernwirtschaft Gewinne zieht, habe den Halt verloren, von Ethik, Moral und Barmherzigkeit ganz abgesehen. So komme es vor dass, wenn kein Belegbett vorhanden sei, es keine Fallübernahme gebe. Dem System wurden Mittel verweigert und insbesondere 50 000 Stellen in der Pflege abgebaut. Das Fallpauschalen-System besteht nunmehr 14 Jahre, seit 2004.

Das Gesundheitswesen ist eine Gemeinschaftsaufgabe

Jetzt kämen ein paar wenige der Abgegangenen wieder hinzu, aber von der Ökonomisierung werde abgelenkt. Die Politik habe den Abbau des solidarischen Systems sanktioniert, d.h bestätigend vollzogen. Durch Gesundheitskonzerne werden aus dem Solidarsystem 15 Prozent Rendite herausgezogen. So heißt es: ‚Klinikum steigert Gewinn‘ (FR 21.05.2017), gemeint das Klinikum Offenbach, dem 2013 das Haus für 1 Euro verkauft wurde; ein Haus, das mit Eigenmitteln der Stadt gebaut wurde, obwohl das Land für Investition und Erhaltung zuständig wäre, eine Aufgabe, die es jedoch ungenügend wahrnimmt. Der Offenbacher Bürgermeister nahm es selbst in die Hand, weil er den Skandal der Finanzierungsverweigerung durch das Land nicht mehr hinzunehmen vermochte. Auch die Hansestadt Hamburg hat die Hamburg-Städtischen Kliniken an den Asklepios-Konzern "verschenkt".

Das geltende DRG-System der ‚diagnosebezogenen Fallgruppen‘ hat die Zeiten verkürzt, das Umfeld kann dies nicht abfangen. Das Wirtschaftsprinzip hat die Oberhand, nicht die Zuwendung. So klagen Ärzte und Pflegekräfte, „...habe zu wenig Zeit für Zuwendung, Weiterbildung, und für mich selbst“. Im Notfall muss aber in die Klinik gekommen werden. Früher habe es auch 48 Stunden am Stück gegeben, so Hontschik, aber es wurde auch eingestellt. Neuerlich aber wurden Arztstellen eingespart und Pflegestellen abgebaut. Das System müsse aus dem Extrem wieder in die Mitte gerückt werden und die Länder sollten für genügend Investitionskosten aufkommen. Die Investitionsmittel wurden indes halbiert, von 6 auf 3 Mrd.

Der Geschäftsführer, auch ein auf die Gesundheitspflege bezogen sehr fragwürdiger Terminus, holt das Geld woanders. 70 Prozent wurden an Personalkosten im Krankenhaus gespart, mehr in der Pflege als bei der Ärzteschaft. Die Regelung und Beobachtung der Finanzen ziehen auch gute, verfügbare Zeit von der ärztlichen und pflegerischen Zeit ab.

Die Gesundheitskatastrophe wurde organisiert

Bis zum Jahr 2000 gab es Tagessätze. Diese garantierten eine längere Liegezeit. Diese wurde von 14 Tagen auf 7 Tage halbiert. Ein irrsinniger Druck kam auf die Pflege, denn mit seinem Personal wurde ein harter Sparkurs gefahren, mehr als mit Ärzt*innen. Mit der Unterfinanzierung kam die Abwärtsbewegung ins Rollen, Gießen wurde an die Wand gefahren – u.a. wurden selbst Fenster nicht repariert –: Gießen ging an die Rhön-Kliniken. Dort zog eine knallhart betriebswirtschaftliche Kaste ein, von der die Bauern der Umgebung dem Urlauber ein Lied singen konnten. Auch in die Klinik Offenbach wurde nicht investiert, der Käufer, der für einen Euro kaufte, sahnte ab. Kliniken werden soweit kaputtgespart, dass sie an Private fallen.

Private zahlen keinen Tariflohn. Rote Zahlen im DRG bedeuten auch: Abteilung wird gestrichen, nach der ultimativen Drohung, die mit ‚sonst‘ (nach dem ‚wenn‘) eigeleitet wird. Kurz vor Rechnungsabschluss tönt es an Chefarzt: „Hör zu, keine MS-Patienten mehr, ab jetzt nur noch Schlaganfälle!“ Bernd Hontschik nennt das ein System von Lug und Trug, der Medizin fremd, ein System, in dem Fallmanager bestimmen. Diese machen die Zahlen im DRG-System und ausgebildete Ärzte schreiben intrinsisch auf, wo's fehlt, hakt und woran. All dies nur, um aus einem Gesundheitssystem ein Wirtschaftssystem zu machen. Kommt jemand auf den Punkt, dass die meisten Betten Privatbetten seien, dann heißt es: „..ist doch unsere Aufgabe als Betriebswirte!“ oder „...müssen Stakeholder bedienen!“. Kommt mahnende Kritik auf, dann redet man von ‚Sozialromantikern‘.

Es müsse auch zu einem vernünftigen Verhältnis zwischen Überversorgung, Unterversorgung und Fehlversorgung kommen, Häuser sind auf der Grundlage des medizinischen Knowhows zu leiten, „ökonomisch aber nicht kommerziell“. 

Bernd Hontschik verlas zum Abschluß den Hyppokratischen Eid 2.0: „Ich will keine fragwürdigen Rückenoperationen vornehmen, auch wenn sie sehr gut bezahlt werden. Ich will keine schwerwiegenden Diagnosen erfinden, damit die Krankenkassen mehr Geld bezahlen müssen. Ich will nie eine Behandlung zerteilen, um sie mehrfach abrechnen zu können. Ich will nie für unnötige medizinische Handlungen werben, die ich dann selbst in Rechnung stellen kann. Ich will mich nie an Abschiebungen von Flüchtlingen in Kriegsgebiete beteiligen, auch wenn der Staat mich dafür gut bezahlt“ (erweitert nachzulesen in FR 01.04.2017).
 
(Ende des Teils  1/2)

Foto:
Verleih

Info:
Dokumentarfilm: Der marktgerechte Patient, Starttermin 8. Nov. 2018 (1 Std. 23 Min.), von Leslie Franke, Herdolor Lorenz, Dokumentation, Deutschland

http://www.filmstarts.de/kritiken/264642/trailer/19568480.html

Diskussion im Haus am Dom zu Frankfurt am Main zum Film mit: Dr. Bernd Hontschik (Chirurg und Publizist), Dr.med. Susanne Johna (Mitglied im Vorstand der Bundesärztekammer), Dewi Suharianto (Medizintechnik) am 28. Nov. 2018.