Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das lukrative Fallpauschalen-System verspricht Gewinn. Optimal wäre: erst entlassen, wenn verantwortbar. Dagegen wird verstoßen, wie Magazinbeiträge vielfach enthüllt haben – denn macht ein Haus Verluste, dann droht ihm, privatisiert zu werden.
Kinder sind als Patienten nicht attraktiv. Das hat Folgen. Bevorzugt sind Tätigkeiten, die zu Geld führen. Der Leiter ist der Halbgott, der Direktor nur ein armes Würstchen. Das war schon immer so. Die Wertigkeit fürs DRG folgt einem Case Mix Index. Hoch meint: viel Geld. Die Betriebsleiter holen Berater, nicht ärztlichen Rat, sie kontaktieren Roland Berger. Eine Parole tönt auch: das Haus hat nur Chancen, wenn es Leuchttürme hat; denn da strömt Anlagegeld hin. Und wenn es nur eine Gallenblasenentzündung ist, dann bitte mit der schnell in ein anderes Krankenhaus.
Die Pflege aus dem DRG rausnehmen
Die Chefärzte sind aus dem Berechnungssystem ausgenommen. Forderung: Die Pflegepersonalkosten auch rausnehmen, aber was ist mit den Ärzten? Auch das Honorar für Ärzte rausnehmen. Die für Nebenarbeiten erforderlichen Stunden sind zu knapp bemessen, weniger dieser für Ärzte. Eine Devise macht die Runde: Brennen ohne zu verbrennen. Hierfür gibt es Kurse, die sehr ausgebucht sind. Die Selbstmordrate ist bei den Ärzten am höchsten.
Ein Einspieler aus dem bezeichneten Film vermittelt, wie der Patient zum Werkstück geworden ist. Geld steht im Mittelpunkt (vergl. Trailer, s.u.). Die Gedanken sind bei: „Mehr Erlöse!“. Das Krankenhaus wird geführt wie eine Fabrik. Der Ablauf ist industriell strukturiert. Es läuft immer schneller. Brecht wird zitiert: Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral. Es findet ein Druck statt, der jedes Krankenhaus trifft, woran es deshalb fehlt, müssen andere pflichtschuldigst ausgleichen (zugunsten der Shareholder). Eine Amputation wird besser finanziert als eine aufwendige Langzeitbehandlung. Eine Operation bringt mehr ein als eine chronische Wundbehandlung. Es gilt das betriebswirtschaftliche Diktat. Die Patienten müssen unterschieden werden nach älter/jünger und weniger/mehr Symptome - daher spricht eine Abteilungsleiterin: „mit mir nicht mehr...“. Auch Ärztinnen und Ärzte werden betriebswirtschaftlich und menschlich voneinander getrennt.
Operieren oder nicht operieren
Wer mehr operiert hat mehr Todesfälle. Operieren oder nicht operieren ist bedingtermaßen gleichgültig. Die ärztliche Tätigkeit darf nur nicht an Kostenstellen- oder Gewinnrechnungen orientiert werden. Diagnosen und Therapien sind nicht im DRG-System abzubilden. Operierte haben immer das Operationsrisiko. Die Allgemeinheit finanziert das System. Es kommt auf das tägliche Brot an, der Gewinn ist nur das Sahnehäubchen, das aber dem öffentlichen solidarischen System entzogen wird. Das dürfe nicht sein.
Eine platte Meinung besagt: Machtmechanismen seien am besten, der Markt regle alles. Dem solidarischen System gilt seit der neoliberalen Wende, die die Demokratie aushöhlt, die Breitseite an Schlägen. Keiner Partei könnten sich die Patienten anvertrauen, keiner Konstellation, darin waren sich die Diskutanten einig. Die Sorge für die Pfleglichkeit steht auf verlorenem Posten. 200 000 Pflegekräfte seien weggegangen, machen etwas anderes. Die Hälfte würde wieder zurückkommen. Jedoch bei 10-12 Prozent Rendite von Helios, Rhön, Asklepios und anderen wird das schwer, da sie die Löhne drücken und das Arbeitsrecht beschneiden.
Bernd Hontschik ist überzeugt: Die Privatisierung von Gesundheitsleistungen ist Diebstahl am Eigentum der Allgemeinheit. Das Geld muss im System bleiben, es muss reinvestiert werden. Die heutige soziale Marktwirtschaft sei nicht mehr sozial, das Kapital rufe immer nur: Rendite!. Medizintechnik-Firmen wie Metronic investieren auch in Krankenhausstationen, so unter anderem auch in Herzkatheder-Messplätze. Dies geschieht nicht selbstlos, schränkt aber die Therapiefreiheit der Ärzte (ohne Druck) ein. Eine andere Schicht als die implementierte muss begründet werden.
Private Equity-Kraken sind auch längst im Gesundheitswesen angelangt. Da Deutschland auf dem solidarischen System beruht, ist es für Finanzinvestoren umso attraktiver. Kaufen und Weiterverkaufen und dabei einen Schnitt machen, also Ausweiden, das ist für die Zwecke der Medizin tödlich. Die Medizin degeneriert zum Anlageobjekt. Es heißt: Rationale Menschen legten dort ihr Geld an, wo die höchste Rendite zu erwarten ist – aber diese Leute übernehmen das Kommando. Fresenius ist hochprofitabel – es geht um Leben oder Tod -, hat viel Geld und finanziert daher zunehmend quer. Aus dem öffentlichen System wird Honig gesaugt. Krankenhäuser aber, die verhungern, müssen fremdes Geld am Kapitalmarkt aufnehmen.
An der Charité (B) will das Personal für mehr Personal streiken. „Sie sollen lernen, dass unsere Freizeit bei all den vielen Schichten uns gehört. Für Notfälle herrscht Unterbesetzung. Aber es wird nicht mehr Personal eingesteuert“, “Habe gesagt, es reicht...“. Mit der Gewerkschaft will das Einzelgänger*innentum sich nun wehren und sich zusammentun. Die Arbeitgeber aber sagen: „Es gibt das alles ja gar nicht“. Ärzte gehen auf 80 Prozent zurück, um es auszuhalten. Beruflich gebundene Verwandte müssen sich auch um Kranke kümmern können.
Minister Spahn solle eine Personal-Untergrenze festlegen. Ob Klein, Mittel, Groß (Kh), Abteilungen müssen da sein, Höchst hat fast alle. Diabetes gehört auch in ‚Mid‘. Auf Ärztinnen, Ärzte und die Pflege kommt es an. Die Arbeit muss gemacht werden, nicht Gewinnrechnen. Die Zahl der Pflegekräfte nahm auch schon bezogen auf die Zahl der Patient*innen ab. Es muss einen Systemstopp geben, aufregen und nur für was streiten reicht nicht. Auch an die Hausärzte und die Altenpflege muss rangegangen werden, die Zerstörung des ambulanten Systems müsse verhindert werden.
Die Parole vom unbezahlbaren Gesundheitswesen
Großer Unfug ist die Parole (von Heiner Geißler 1974 in die Welt gesetzt), es gebe künftig eine Kostenexplosion im Gesundheitswesen infolge Überalterung und medizinischem Fortschritt. Das gehört zur Propaganda von Liberalisierung und Privatisierung. Zwar ist der Beitragssatz gestiegen. Dies ist aber ist nicht dem System Gesundheit zuzuschreiben, sondern dem Lohn- und Sozialabbau. Infolge geschrumpfter Löhne, Mini-, Midi- und 1-Euro-Jobs und neuer Solo-Selbständigkeit kam es zu Beitragsausfällen in den Sozialversicherungssystemen und Staatshaushalten.
Die Funktion des Hartz IV-Regimes war, Arbeit billig zu machen. Was an die Unternehmen ging, wird als Defizit zum Argument gegen die Staatshaushalte, die Sozialsysteme und die Wohlfahrtsstaaten selbst. Ab 1980 begann sich die Kurve der Nettorealverdienste vom Anstieg der Arbeitsproduktivität zu entkoppeln. Zuvor stieg die Arbeitsproduktivität über einen langen Zeitraum um 4,9 Prozent. Nach 2000 kam es durchschnittlich zu massiven Einkommensverlusten der Arbeitnehmer, vor allem in den unteren Lohngruppen. Der Anteil der Ausgaben für das Gesundheitswesen am Bruttoinlandsprodukt beträgt seit Jahrzehnten konstant 10 bis 11 Prozent.
Bernd Hontschik verlas am Schluss den Hyppokratischen Eid 2.0: „Ich will keine fragwürdigen Rückenoperationen vornehmen, auch wenn sie sehr gut bezahlt werden. Ich will keine schwerwiegenden Diagnosen erfinden, damit die Krankenkassen mehr Geld bezahlen müssen. Ich will nie eine Behandlung zerteilen, um sie mehrfach abrechnen zu können. Ich will nie für unnötige medizinische Handlungen werben, die ich dann selbst in Rechnung stellen kann. Ich will mich nie an Abschiebungen von Flüchtlingen in Kriegsgebiete beteiligen, auch wenn der Staat mich dafür gut bezahlt“ (erweitert nachzulesen in FR 01.04.2017).
Verleih
Info:
Dokumentarfilm: Der marktgerechte Patient, Starttermin 8. Nov. 2018 (1 Std. 23 Min.), von Leslie Franke, Herdolor Lorenz, Dokumentation, Deutschland
http://www.filmstarts.de/kritiken/264642/trailer/19568480.html
Diskussion im Haus am Dom zu Frankfurt am Main zum Film mit: Dr. Bernd Hontschik (Chirurg und Publizist), Dr.med. Susanne Johna (Mitglied im Vorstand der Bundesärztekammer), Dewi Suharianto (Medizintechnik) am 28. Nov. 2018.