Direkte Verkettung von Stickstoffmolekülen gelungen
Hubertus von Bramnitz
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Zwei Moleküle Stickstoff macht über 78 Prozent der Atemluft aus. Er ist das Element, das auf der Erde am häufigsten in seiner reinen Form vorkommt. Der Grund für diese Fülle an elementarem Stickstoff ist die unglaubliche Stabilität des Moleküls N2, das aus zwei Stickstoffatomen besteht. In dieser Form kommt der meiste Stickstoff auf der Erde vor. Nur in extremen Umgebungen, etwa in der Ionosphäre, kann N2 zu längeren Stickstoffketten zusammengefügt werden, die N4-Ionen mit sehr kurzer Lebensdauer bilden.
Trotz seiner Trägheit kann die Natur den Luftstickstoff als wichtigen Rohstoff nutzen. In biologischen Systemen kann die sehr starke Stickstoff-Stickstoff-Bindung in N2 gespalten und Ammoniak (NH3) erzeugt werden. Letzteres wird dann zur Stickstoffquelle für die gesamte Nahrungskette auf der Erde.
Völlig neue chemische Reaktion
Der Mensch nutzt das Haber-Bosch-Verfahren, um Stickstoff zu Ammoniak zu zerlegen. Dieses wird dann zu Düngemitteln weiterverarbeitet. Oder es liefert Stickstoff unter anderem für die Herstellung von Pigmenten, Kraftstoffen oder Pharmazeutika.
Die Herstellung von Verbindungen, die Ketten aus zwei, drei oder vier Stickstoffatomen enthalten – solche sind beispielsweise für blutgefäßerweiternde Medikamente von Bedeutung – erfordert den Zusammenbau von Monostickstoffmolekülen wie Ammoniak, da keine direkte Reaktion existiert, die Distickstoffmoleküle direkt verbinden kann.
Forschungsteams von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und der Goethe-Universität Frankfurt stellen nun im Journal „Science“ eine völlig neue chemische Reaktion vor. Das neue Verfahren nutzt borhaltige Moleküle, um zwei Moleküle N2 direkt zu einer N4-Kette zu koppeln. Erstmals ist es ihnen gelungen, zwei Moleküle N2 direkt miteinander zu koppeln, ohne sie vorher in Ammoniak aufspalten zu müssen. Diese neue Methode könnte die direkte Erzeugung längerer Stickstoffketten ermöglichen.
Weg zu einer neuen Chemie
Der neue Syntheseweg funktioniert unter sehr milden Bedingungen: bei minus 30 Grad Celsius und unter einem moderaten Stickstoffdruck von rund vier Bar. Er erfordert zudem keinen Übergangsmetallkatalysator, im Gegensatz zu fast allen biologischen und industriellen Reaktionen von Stickstoff.
„Damit wird der Weg frei für eine Chemie, mit der völlig neue, kettenförmige Stickstoffmoleküle synthetisiert werden können“, sagt JMU-Chemieprofessor Holger Braunschweig. Erstmals könnten nun auch Stickstoffketten, die eine spezielle Variante von Stickstoff (15N-Isotope) enthalten, problemlos hergestellt werden.
Dieser wissenschaftliche Durchbruch basiert auf der experimentellen Arbeit von JMU-Postdoc Dr. Marc-André Légaré und Doktorand Maximilian Rang.
Theoretische Erkenntnisse der Goethe-Universität
Doktorandin Julia Schweizer und Professor Max Holthausen von der Goethe-Universität Frankfurt waren für den theoretischen Teil der Arbeit zuständig. Sie beschäftigten sich mit der Frage, wie die vier Stickstoffatome chemisch verbunden sind.
„Mithilfe aufwändiger Computersimulationen gelang es uns, die unerwartet komplizierten Bindungsverhältnisse in diesen wunderschönen Molekülen zu verstehen. Damit können wir zukünftig Prognosen zur Stabilität solcher Stickstoffketten aufstellen und unsere experimentellen Partner bei der Weiterentwicklung ihrer Entdeckung unterstützen“, sagt der Frankfurter Chemieprofessor.
Das nächste Ziel der Forschungsteams ist es, die neuen Stickstoffketten in organische Moleküle zu integrieren, die für Medizin und Pharmazie relevant sind und insbesondere die Herstellung ihrer 15N-Analoga ermöglichen.
Foto:
Erstmals wurden zwei Moleküle Luftstickstoff (blau, Mitte) von Chemikern aus Würzburg und Frankfurt direkt miteinander gekoppelt.
© Dr. Rian Dewhurst / Dr. Marc-André Légaré / Universität Würzburg
Info:
Publikation:
The Reductive Coupling of Dinitrogen. Marc-André Légaré, Maximilian Rang, Guillaume Bélanger-Chabot, Julia I. Schweizer, Ivo Krummenacher, Rüdiger Bertermann, Merle Arrowsmith, Max C. Holthausen und Holger Braunschweig. Science, 22. März 2019, DOI: 10.1126/science.aav9593