Jan-Philip Utech
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Nach der Rechtsprechung des BGH gilt der in Teil 3 erläuterte Ausgleichsanspruch aus § 906 II 2 BGB auch zu Gunsten eines Grundstückseigentümers, der an seinem Grundstück Schäden erleidet, welche durch ein unfallhaftes Ereignis entstanden sind.
Hierzu gehören dann zum Beispiel Schäden durch einen Wasserrohrbruch (BGH, Urteil vom 30. 5. 2003 - V ZR 37/02) und durch einen Brand, der wie hier durch einen Handwerker oder, wie in einem anderen Fall geschehen, durch einen defekten, in Brand geratenen Servomotor eines verstellbaren Bettes verursacht worden ist (BGH, Urt. v. 1. 4. 2011 − V ZR 193/10).
Einem versierten Leser von § 906 II 2 BGB wird jedoch sofort auffallen, dass die Vorschrift ihrem Wortlaut nach auf die genannten Fälle eigentlich gar nicht passt. Es wird nämlich vorausgesetzt, dass der beeinträchtigte Eigentümer die Einwirkung dulden muss. Wasser, welches auf Grund eines Rohrbruches auf ein anderes Grundstück fließt, muss aber genauso wenig geduldet werden, wie Feuer, welches vom Brand des Nachbarhauses herüberschlägt. Man muss also konstatieren, dass der BGH mit seiner Rechtsprechung über den Wortlaut der Norm hinausgeht. Dies geschieht im Übrigen nicht selten und ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten immer dann gerechtfertigt, wenn das Ergebnis, welches der bloße Normwortlaut diktiert, mit dem Gerechtigkeitsgefühl unvereinbar ist und angenommen werden darf, dass der Gesetzgeber den vom Wortlaut nicht erfassten Fall – hätte er diesen bedacht – in die Regelung mit aufgenommen hätte.
Diese Annahme trifft der BGH nicht nur für die genannten Fälle, sondern z.B. auch für den Fall einer Schießanlage, von der aus Schrotblei auf das benachbarte Grundstück herüber flog und dort den Boden verseuchte (BGH, Urteil vom 20-04-1990 - V ZR 282/88) oder auch für den Fall, in dem mit einer Baumaschine – einem sog. Vibrationsbär, hier im Bild – Grundstücksvertiefungen durchgeführt wurden, welche am Haus des Nachbarn zu Schäden führten (BGH, Urteil vom 26-11-1982 - V ZR 314/81). In diesen Fällen über den Wortlaut hinauszugehen und einen nachbarrechtlichen Ausgleichanspruch zu gewähren, ist nach Ansicht des Autors richtig, obwohl hier die Einwirkungen, ebenso wie im Fall des Wasserrohrbruchs oder in den Hausbrandfällen nicht zu dulden waren.
Der Unterschied der Fälle liegt darin, dass der Schießanlagen- und Vibrationsbärfall vom Regelungszweck des § 906 II 2 BGB noch umfasst sind. Die Vorschrift dient nämlich dazu (echte) nachbarliche Nutzungskonflikte zu lösen, die insbesondere darin wurzeln, dass Immobilien ausweglos Einwirkungen anderer Immobilien ausgesetzt sind. Ein solcher Nutzungskonflikt entsteht, wenn ein Grundstückseigentümer durch seine Art der Grundstücksnutzung einen Vorteil auf Kosten des Nachbarn in Anspruch nimmt. Um genau solche Nutzungskonflikte hatte es sich bei dem Schießanlagen- und dem Vibrationsbärfall gehandelt, nicht jedoch im Fall des Wasserrohrbruchs und in den Hausbrandfällen. Die letztgenannten Fälle sind dadurch gekennzeichnet, dass die Schäden durch sich kurzfristig erledigende, unfallhafte Ereignisse entstanden waren. Sich typischerweise kurzfristig erledigende, unfallhafte Ereignisse sind jedoch keine „echten“ nachbarschaftlichen Nutzungskonflikte. Es wirkt sich vorrangig die unerwartete und ungewollte Verwirklichung der vom Nachbar veranlassten abstrakten Gefahr aus; eben die Reparatur eines Flachdaches mithilfe eines Propangasbrenners oder die Verwendung einer elektrisch verstellbaren Bettes.
Zwar mag das Ergebnis des BGH unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten durchaus billigenswert sein, denn, schließlich hat das Ehepaar durch die Beauftragung des Handwerkers das Geschehen erst in Gang gesetzt, während die Nachbarin einfach nur Nachbarin war. Das Problem ist aber, dass sich dieses Ergebnis nicht in das vom Gesetzgeber vorgegebene Haftungssystem fügt. Nach Ansicht des Autors dürfte ein Anspruch der Nachbarin bzw. der Versicherung nur dann bestehen, wenn dem älteren Ehepaar ein Verschulden zur Last fiele. Wie die Entscheidung des BGH letztlich zu bewerten ist, mag jeder für sich selbst beurteilen. Interessant ist aber, dass noch im Jahr 1971 der BGH selbst gravierende Bedenken gegen eine Ausweitung der Haftung hatte. Das Gericht hielt sich für nicht befugt, eine derart weit über den Wortlaut hinausreichende, verschuldensunabhängige Aufopferungshaftung zu schaffen; es konstatierte aber schon damals ein besonderes Bedürfnis nach einer solchen Haftung.
Mittlerweile ist dies längst ständige Rechtsprechung und der Anspruch aus § 906 II 2 BGB im Laufe der Jahre zu einem immer weiter reichenden verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch geworden. Für den einen Grundstückseigentümer bedeutet dies eine Ausweitung des Eigentumsschutzes, für den anderen hingegen eine Ausweitung der Haftung. Dass dies Auswirkungen auf die Versicherungswirtschaft hat, versteht sich von selbst.
Schließlich noch eine gute Nachricht. Eine weitere Versicherung muss jedoch nicht abgeschlossen werden. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch bei einer entsprechenden Haftpflichtversicherung nach § 1 Nr. 1 der AHB (Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung) gleich mitumfasst.
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Dipl. jur. Jan-Philip Utech ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am universitätsinternen Repetitorium der Goethe Universität in Frankfurt. Tätig im Bereich Zivilrecht und Zivilprozessrecht.
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https://weltexpresso.de/index.php/wissen-bildung/17226-begriff-der-schuld
https://weltexpresso.de/index.php/wissen-bildung/17227-der-strafrechtliche-schuldgrundsatz
https://weltexpresso.de/index.php/wissen-bildung/17228-der-schuldhaft-handelnde-handwerker-und-das-schuldlose-ehepaar
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Dipl. jur. Jan-Philip Utech ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am universitätsinternen Repetitorium der Goethe Universität in Frankfurt. Tätig im Bereich Zivilrecht und Zivilprozessrecht.
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