... und was machen deutsche „Proletarierseelsorger unter Stadtnegern“?
Klaus Jürgen Schmidt
Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Links, das ist die Statue von Cecil Rhodes an einem Gebäude der von ihm seinerzeit mit großen Geldspenden bedachten Oxford-Universität. Wir lernen gleich einen Oxford-Absolventen aus dem früheren Rhodesien kennen, der im heutigen Simbabwe heranwuchs und der im Londoner „Guardian“ über sein „Leben im Schatten von Rhodes“ eine bemerkenswerte Abrechnung mit europäischem Kolonialsimus in Afrika geschrieben hat.
Und wir lernen kennen eine deutsche Missionsgemeinschaft, die im Dezember 1882 im südlichen Afrika Wurzeln schlug und nach wie vor Wurzeln in Deutschland hat: MISSIONARE VON MARIANNHILL
> Die wollen allerdings nicht, dass Bilder von ihrer Website verwendet werden! <
(Alle Bilder und hier verwendete Texte sind öffentlich zugänglich über die unten angegebenen Web-Adressen.)
„Einleitung von Pater Adalbert Balling CMM aus dem Jahre 1963 – Es war spät am Abend. Cecil Rhodes, der große Afrikaforscher, Staatsmann und Multimillionär, hatte sich bereits im Hause eines Freundes in der Transkei (Südafrika) zur Ruhe gelegt. Schon war er am Einschlummern, da klopfte jemand energisch an der Haustür. Der schwarze Diener meldete dem nächtlichen Störenfried, sein „Chef“ sei bereits im Bett. Er könne niemand mehr empfangen. Der Fremde ließ jedoch nicht locker. Er bestand darauf, Cecil Rhodes persönlich zu sehen, und zwar noch in dieser gleichen Nacht. ...
... Der schwarze Diener ging erneut ins Schlafzimmer des Millionärs und berichtete ihm über die Hartnäckigkeit des nächtlichen Ruhestörers. Rhodes stellte daraufhin ein paar Fragen nach dem Aussehen des Besuchers. Ja, er trage ein langes Kleid und habe einen roten Bart. Er sehe aus wie ein Gott. – So beschrieb der Schwarze den Fremden. Rhodes wurde neugierig. Das mutige Auftreten des Fremden imponierte ihm. Er ließ ihn rufen. Rhodes staunte, als sich der Fremde als Franz Pfanner, der Missionsabt von Mariannhill, entpuppte. Er hatte schon viel von diesem wagemutigen Mönch gehört, und freute sich ehrlich, ihn kennenzulernen.
Was mag den Missionsabt von Mariannhill zum Eroberer Zentralafrikas, zum reichsten Mann seiner Zeit, geführt haben? Franz Pfanner hatte nur eine Bitte: Rhodes solle ihm eine Missionsfarm im neueroberten Rhodesien verschaffen. Seine Bitte wurde erfüllt. Rhodes versprach dem Abt von Mariannhill eine Farm im Manicaland, dem nordöstlichsten Teil des heutigen Rhodesien. Es war der Auftakt für den Ausbau eines großen Missionsfeldes der Mariannhiller in Rhodesien. Die Farm, die Abt Franz von Rhodes erhielt, trägt heute den stolzen Namen einer der ansehnlichsten Missionsstationen dieses Landes: Triashill.“
Weiter in der eigenen Chronik der deutschen Missionare:
„Mit dem Dekret vom 2. Februar 1909 trennte der Apostolische Stuhl das Kloster vom Trappistenorden und ebnete so den Weg für die Umwandlung Mariannhills in eine neue und unabhängige missionarische Gemeinschaft: die Kongregation der Missionare von Mariannhill (CMM),“ heißt es auf der Website, und weiter: „Dieser Prozess war offiziell am 21. März 1936 abgeschlossen. Aber der Ort unserer Gründung, Mariannhill in Südafrika, ist und bleibt das Zentrum und die Heimat unserer Kongregation.“
In der Aufstellung von Aufgaben und Standorten der „Marianhiller“ gibt es auf deren deutscher Website eine interessante Formulierung, die irgendwie seit 1936 übersehen worden ist:
„Proletarierseelsorger unter Stadtnegern“!
https://www.mariannhill.de/quellen/simbabwe-erste-stationen#proletarierseelsorger-unter-den-stadtnegern
Dabei werben die Missionare von Mariannhill in Würzburg um Spenden mit dem Bild eines krebskranken weißen Mädchens und mit folgendem Text:
„Mein Name ist Maxima Wübbeling, ich bin 9 Jahre alt und lebe mit meinem Bruder Philipp und meinen Eltern Christian und Barbara in Reken im Münsterland. Ich lebe, obwohl in meinem Kopf ein bösartiger Krebstumor ist. Ich bin der Uniklinik Münster und unserem Gesundheitssystem sehr dankbar, weiß aber auch, dass es mich in ganz vielen Ländern unserer Welt nicht mehr gäbe.
Ich möchte nicht nur dankbar sein, ich will anderen Kindern Hoffnung spenden. Deshalb haben meine Eltern Kontakt zu den Mariannhiller Missionaren aus Maria Veen aufgenommen. Sie unterstützen schon lange die Menschen in Ostafrika, und wir haben zusammen drei Projekte ausgewählt, die unsere Hilfe wirklich dringend brauchen. Allein schaffe ich das nicht, aber mit Eurer Hilfe können wir diesen Kindern Zukunft geben. Eure Spende geht zu 100 Prozent in die Projekte, ohne Verwaltungskosten.“
(veröffentlicht: 10. Dezember 2020)
Ich bezweifle, dass ein neunjähriges Mädchen eigenständig mit diesem Text zu diesem Spendenaufruf fähig war. Vielleicht hätten die Würzburger Missionare ehrlicherweise die Eltern selbst zu Wort kommen lassen sollen. Aber ihre Website würdigt in erster Linie weißes Engagement für schwarze Menschen – das war schon zu Zeiten von Cecil Rhodes so!
Ich wende mich dem schwarzen Jungen zu, der „im Schatten von Rhodes aufwuchs“. Im Londoner „Guardian“ schrieb Simukai Chigudu am 14. Januar 2021 u.a. (Übers. KJS):
„Nachdem ich in einem vom Erbe des Kolonialismus erschütterten Simbabwe aufgewachsen war, wurde mir in Oxford klar, wie viele Briten immer noch nicht sahen, wie das Imperium das Leben wie das meine geprägt hatte – und auch das ihre.
Aber für mich beginnt es am direktesten im Januar 1999, als ich 12 Jahre alt war. Zu diesem Zeitpunkt fuhren mich meine Eltern zum ersten Mal durch die imposanten schwarzen Tore des St. George's College in Harare. Ich trug einen roten Blazer, eine rot-weiß gestreifte Krawatte, ein Khakihemd und Shorts, graue Kniestrümpfe und einen karikaturhaft roten Hut und sah aus wie ein englischer Schuljunge auf Safari. Als unser Auto in Richtung College hochfuhr, spähte ich voller Ehrfurcht auf den Schloss-Turm aus Granit, der mit einer ganzen Reihe von Zinnen gekrönt ist und das Gelände dominiert. Es war, als hätte ich einen der letzten Zufluchtsorte des globalen Imperiums Großbritanniens betreten. ...
Durch die Lage der Schwarzen radikalisiert, kämpfte mein Vater im Befreiungskrieg, der Anfang der 60er Jahre begann, gegen die rhodesische Regierung. Während des Konflikts wurden meine Onkel und eine Tante vom rhodesischen Staat inhaftiert, mein Vater wurde auf den Schlachtfeldern an der Grenze zwischen Rhodesien und Mosambik fast getötet und mein Großvater wurde von rhodesischen Sicherheitsbeamten gelyncht.
Nach der Unabhängigkeit trat mein Vater in den öffentlichen Dienst von Simbabwe ein und er und meine Mutter begannen ein Vorstadtleben, das bescheiden war, aber nicht etwas, das ihr Sohn anstreben sollte. St. George's imponierte ihnen, wie vielen schwarze Familien auf unserem Level, wegen des kulturellen und sozialen Ausblicks, den es bot. Jungen von Saints studierten regelmäßig in Oxford oder spielten in Simbabwes gefeierter Cricket-Nationalmannschaft. Aber in der Klosterwelt des Colleges schien der Unabhängigkeitskrieg, wie ihn mein Vater erlebt hatte, kaum vorzukommen.
Die formelle Segregation in Simbabwe war fast zwei Jahrzehnte zuvor beendet worden, aber selbst 1999 signalisierte das College sein Prestige durch seine rassistische Zusammensetzung. Wir hatten einen weißen Schulleiter und einen weißen Rektor. Die Lehrer mit dem stärksten Ruf für hervorragende Leistungen waren weiß. Wir hatten auch einen hohen Prozentsatz weißer Studenten, etwa die Hälfte der Studenten waren weiß, und das in einem Land, in dem weiße Menschen weniger als 1% der Bevölkerung ausmachten.
Ohne es wirklich zu merken, war dies eine Rassenlogik, die ich bereitwillig akzeptierte.
In seiner Lebenserinnerung an das weiße Aufwachsen in Afrika erinnert sich der simbabwische Schriftsteller Peter Godwin an das Treffen mit einer Handvoll schwarzer Studenten bei Saints in den 60er Jahren: „Sie wollten nicht über afrikanische Dinge diskutieren. Sie wollten wie Weiße sein. Sie sprachen Englisch ohne großen afrikanischen Akzent.“
Ich glaube, ich war ähnlich. Ich sprach kaum Shona, die Sprache, in der mein Vater aufgewachsen war, sprach aber fließend Englisch. Ich ärgerte mich über weißen Rassismus, strebte aber danach in der kulturellen Hauptstadt des Weißseins anzukommen.“
Simukai Chigudu hatte sich vorgenommen, es während seiner Zeit in Oxford zu schaffen, dass die Statue des Cecil Rhodes fallen würde. Dafür hatte er mit anderen demonstriert. Darüber werden endgültig vielleicht im Laufe dieses Jahres Verwaltungsabstimmungen entschieden. Chigudu selbst ist bereit, sich unbequemen Fragen zu stellen:
„Ich werde oft gefragt, wie ich mich als außerordentlicher Professor in Oxford fühle, der sich auf afrikanische Politik spezialisiert hat. Sehe ich einen Widerspruch in der Arbeit für eine Institution, für die ich Veränderungen anstrebe? Wer ist die Zielgruppe meines Schreibens – privilegierte, oft weiße Studenten oder meine afrikanischen Mitbürger? Die Antworten auf solche Fragen sind lang. Es ist jedoch ein Trugschluss zu denken, dass Afrika der Ort ist, an dem ich am meisten gebraucht werde. Ja, ich bin weiterhin bestrebt, über die nach wie vor explosiv-gefährliche Politik des Landes meiner Geburt zu schreiben, und ich hoffe, dass die wahren Versprechen der Befreiung eines Tages vollständig verwirklicht werden. Aber auch Oxford, Großbritannien und der Westen müssen entkolonialisiert werden. Wesentlich dafür ist es, eine reichhaltigere und komplexere Sicht auf die imperiale Vergangenheit und ihre Bedeutung für die Gegenwart zu entwickeln. Simbabwe ist nicht die unruhige ehemalige Kolonie Großbritanniens – es ist ihr Spiegel. Der große nigerianische Schriftsteller Chinua Achebe drückte es demütig aus: 'Ich würde aus meiner privilegierten Position in der afrikanischen und westlichen Kultur einige Vorteile vorschlagen, die der Westen aus Afrika ziehen könnte, wenn er sich von alten Vorurteilen befreit und Afrika nicht durch einen Dunst betrachtet von Verzerrungen und billiger Mystifizierung, aber ganz einfach als Kontinent der Menschen – keine Engel, aber auch keine rudimentären Seelen.' “
Das Thema hat durch ein soeben erschienenes Buch und dessen europäische Würdigung weitere Bedeutung erfahren: Der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2021 wird dem britischen Essayisten, Schriftsteller und Fotografen Johny Pitts für sein Buch „Afropäisch. Eine Reise durch das schwarze Europa“ verliehen. Das nachdenkliche Buch verknüpft Reportagen und literarische Essays zu einem zeitgenössischen Portrait auf der Suche nach seiner postkolonialen Identität. Helmut Dierlamm hat das Werk aus dem Englischen übersetzt. Die Preisverleihung an Johny Pitts findet zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse am Abend des 26. Mai 2021 statt.
»Und wo kommst du eigentlich her?« Viele schwarze Europäer kennen diese Frage, denn in den Köpfen mancher ist das noch immer ein Gegensatz – schwarz sein und Europäer sein. Dabei gibt es längst eine gelebte afropäische Kultur. Um sie zu erkunden, bereist Johny Pitts die Metropolen des Kontinents. In Paris folgt er den Spuren James Baldwins, in Berlin trifft er ghanaische Rastafarians, in Moskau besucht er die einstige Patrice-Lumumba-Universität. Nicht nur in französischen Banlieues und Favelas am Rande Lissabons wird deutlich, dass Europas multikulturelle Gegenwart nach wie vor von seiner kolonialen Vergangenheit gezeichnet ist. Rassismus und Armut sind Teil des Alltags vieler schwarzer Europäer.
Suhrkamp / Sachbuch
Erschienen: 14.09.2020
Gebunden, 461 Seiten
ISBN: 978-3-518-42941-9
Fotos:
© zitierte WebseitenInfo:
https://www.theguardian.com/news/2021/jan/14/rhodes-must-fall-oxford-colonialism-zimbabwe-simukai-chigudu
https://www.mariannhill.de/quellen/simbabwe-erste-stationen
https://www.mariannhill.de/quellen/simbabwe-erste-stationen#proletarierseelsorger-unter-den-stadtnegern
https://www.mariannhill.de/home/nachrichten/dankbarkeit-reicht-mir-nicht-%E2%80%A6
https://www.suhrkamp.de/buecher/afropaeisch-johny_pitts_42941.html