Maschinenraum der Götter – Ausstellung bis 10. September 2023 im Liebieghaus Frankfurt, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Diese fabelhafte Ausstellung im Liebieghaus, dem Frankfurter Museum für Skulpturen, das schon als Haus Seltenheitswert hat, bindet vielerlei in einen Strauß: die klassische Antike ab 900 v.Chr. sowie Ägyptologie, die Altertumswissenschaften von Mesopotamien: die Akkader, Assyrer und Babylonier etc., die Hochzeit der arabischen Kulturen von 800 bis 1300 n.Chr. mit ihrer naturwissenschaftlichen Ausrichtung und ihrem Anspruch an Abstraktion, von der Erfindung der arabischen Zahlen ganz abgesehen, die allerdings aus Indien stammen und die römischen Zahlen ablösten und das alles in der Verbindung von Kunst, Mythologie und Wissenschaft, wobei der Begriff der Wissenschaft dann wiederum so vieles umfaßt: zuvörderst die Bewegung der Gestirne am Firmament, wie es das mittelalterliche geozentrische Weltbild bezeichnete,
wobei erst dahinter der Himmel im religiösen Sinn anschloß. Die Griechen sprachen in ihrem geozentrischen Weltbild von Sphären, die sich um die Erde drehen, an der die Himmelskörper heften, was erklärt, daß die Bewegungsbahnen der Planeten abweichend sind, aber der Mond seine eigene Bahn zieht. Wie stark sich diese Kulturen den Himmel über ihnen als Welt der Götter und Höherwertigen empfanden, erzählen die Vorstellungen von Wagenlenkern, Sternenträgern und Göttern schon in den Namen der Sternbilder und Planeten, die sie ihnen verliehen.
Das Entscheidende war aber, daß den Bewegungen des Himmels Absichten unterstellt wurden, die einerseits von den himmlischen Mächten mechanisch in Gang gesetzt werden oder von einzelnen Personen unternommen werden. Im besonderen von Atlas, der das Firmament trägt, bzw. Erdbewegungen steuert. Seine nachdrückliche Darstellung steht in der Ausstellung in der Rotunde: der Atlas Farnese aus Neapel, eine fast zwei Meter hohe römische marmorne Kopie einer griechischen Bronze, 2. Jh. n. Chr., von der man annimmt, daß sie mechanisch animiert war. Wie kann man sich das vorstellen? Hat sich die Sphaira bewegt? Zu solchen Fragen bringt einen Vinzenz Brinkmann (links im Foto), der Kurator der Ausstellung und Leiter der Sammlung, der sehr viele Jahre diese Ausstellung vorbereitete, die wirklich etwas Besonderes ist und die in die Sammlung eingefügt ist. Aber die eigentliche Frage ist, warum, was einst bei den Griechen und auch den anderen Kulturen zusammengehörte, nämlich die selbstverständliche Verbindung von Wissenschaften, Technik und Kunst bei uns verlorenging. Um das wirklich in aller Schärfe zu verstehen, braucht man nur an die mexikanischen Pyramiden zu denken, die so auf die Sonne (und den Mond) ausgerichtet waren, daß an dem Aufleuchten der Sonne an ihren Ecken zu erkennen war, wenn der Somme begann, zum Beispiel. Mit der Eroberung durch die christlichen Spanier war es vorbei. Um aber für uns erst einmal zu erkennen, wie dieser Zusammenhang einst auch in europäischen und den vorderasisatischen Kulturen bestand,bietet die Ausstellung reiches Material.
Wir waren beim geozentrischen Weltbild. Auch die Sphaira des griechischen Mathematiker, Physikers und Ingenieurs Archimedes (287 -;212 v.Chr.) ist zu sehen, in einem Nachbau aus Messing von 2017 aus Athen, mit den Maßen 50x50x50 Zentimeter. Hier kann man die Bewegung der Planeten verfolgen. Der Universalgelehrten Poseidonios hat dazu beigetragen, den gesamten Kosmos als kinetische Skulptur darzustellen. Im Bild rechts
Und dann eine Überraschung aus Frankfurt: der Himmelsglobus von ʿAbd-ar-Raḥmān aṣ-Ṣūfī, Ibn-ʿUma (903-986), ebenfalls ein Nachbau aus Messing und Silber in der Höhe von 90 Zentimetern vom Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften der Goethe-Universität, der schon so aussieht, wie wir noch heute die unterschiedlichen Globen kennen: Erdgloben, Himmelsgloben, Planetengloben.
Es sind also die Erde, die Gestirne, die Sphaira Ausgangspunkt der Ausstellung, die in der Mythologie ihre Entsprechung findet durch die vielen Götter, Halbgötter, Zwischenwesen mit ihren Skandalen und Großtaten, auch den Fehlern und Bestrafungen. Das Entscheidende und auch Neue an dieser Ausstellung ist allerdings die Betonung der Mechanik für die Bewegungen des Himmelskörpers. Dabei ist unter μηχανικὴ τέχνη die Lehre von der Bewegung von Körpern und den dabei wirkenden Kräften zu verstehen.
Die MECHANIK ist ein differentes Ding und in Kinematik, Dynamik und Statik zu unterscheiden´kk. Was hat sie mit Kunst zu tun? Im 19. Jahrhundert hat die Ingenieurskunst die Verbindung beider Bereiche gut hinbekommen. Für das 20. Jahrhundert fällt mir spontan mit dem Schwerpunkt Kunst Jean Tinguely ein, der Meister der kinetischen Kunst, der zudem Wasser als Träger von Kunst kreierte, was es seit dem Barock nicht mehr gab. Für das 19. Jahrhundert fällt mir als Beispiel für Mechanik genauso spontan Olympia ein, die lebendig erscheinende mechanische Puppe aus dem dritten Akt von Hoffmanns Erzählungen, Schließlich heißt μηχανικός auch: 'erfinderisch, kunstreich, geschickt, zu Maschinen gehörig'.
Andererseits sprechen wir von mechanischem Denken, mechanischem Sprechen, ja mechanischem Handeln, mechanischem Wiederholen und meinen das durchaus nicht positiv, anders als die Automatik und automatisches Reagieren.
Fortsetzung folgt.
Fotos:
©Redaktion
Info:
8. März bis 10. September 2023
Öffnungszeiten: www.liebieghaus.de
Katalog:
MACHINENRAUM DER GÖTTER. Wie unsere Zukunft erfunden wurde, Hrsg. Vinzenz Brinkmann, mit vielen Beiträgen und allen Ausstellungsobjekten, Deutscher Kunstverlag 2023