linkes zentrum»Nur wer sich aufgibt, ist verloren«. Alfred Hausser - Porträt eines Antifaschisten, Teil 3

 Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) - Alfred Hausser: »Damals wurden die Uhren zwei Stunden vorgestellt, das heißt, es war hell bis um halb elf Uhr. Was macht man, wenn um sechs Uhr Feierabend ist, das Werkzeug abgeholt wird, der Einschluss erfolgt? In der Woche ein Buch. Das liest man natürlich an einem Abend aus, und dann kommen sechs lange Abende, wo man entweder das Buch ein zweites oder drittes Mal liest. Und da merkt man langsam, wie eine Zeit auf einen Menschen zukommt, wo plötzlich einiges nicht mehr funktioniert. Das fängt an mit der Sprache, dass man also, wenn der Wachtmeister morgens aufschließt und gefragt wird, ob man Meldung zu machen hat, dass man zwar vielleicht sich zum Arzt melden wollte, aber man fängt an zu stottern, die Sprache versagt.
Und da habe ich dann gemerkt, dass ich in eine kritische Phase geraten bin und habe mir dann überlegt, wie gehst du dagegen an. Und dann habe ich mir gesagt, du musst Bücher lesen, keine Romane, über den man hinweg liest und dann ist’s aus, sondern du brauchst Literatur zum Nachdenken, die dich beschäftigt, mit der du dich beschäftigen kannst. Und so bin ich auf die Klassiker gestoßen, habe
mich vor allem sehr, sehr lange und eingehend mit Goethe beschäftigt, insbesondere mit ›Faust‹. Und dann habe ich angefangen, nachdem ich das Musikalische in dieser Sprache herausgefunden habe, ganze Passagen auswendig zu lernen, (bin) in der Zelle auf- und ab gegangen und (habe) dann deklamiert: ›In Lebensfluten, im Tatensturm / wall ich auf und ab, / webe hin und her! / Geburt und Grab, / ein ewiges Meer, / ein wechselnd Weben, / ein sausend Beben, / so schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit und wirke der Gottheit lebendiges Kleid‹ und so weiter. So könnt’ ich heute noch viele Passagen aus ›Faust‹ zitieren. Damit habe ich mir über diese schwierige Belastungsprobe hinweggeholfen.«

Was hatte die Nazijustiz veranlasst, einen jungen Mann so drakonisch zu bestrafen? Sie legte ihm zur Last, für die Weiterführung einer örtlichen Organisation des verbotenen Kommunistischen Jugendverbandes verantwortlich gewesen zu sein. Im Haftbefehl des Amtsgerichts Chemnitz vom 18. Januar 1935 heißt es über Hausser und seine Mitstreiter: »Die Beschuldigten empfingen von ausländischen zentralen Stellen Flugschriften, insbesondere Zeitschriften, und verteilten sie an ihre Mitglieder und zu Werbezwecken an solche Personen, deren Mitgliedschaft ihnen erwünscht war.« Nicht alle bringen die Kraft auf, psychische Krisen während der Haft zu überstehen. Auch davon weiß Alfred Hausser zu berichten:

Alfred Hausser: »Ich habe erlebt, wie mancher Kamerad plötzlich am anderen Tag nicht mehr erschienen ist zum Hofgang. Und dann hat sich durchgesprochen, dass dieser und jener in der Nacht sich aufgehängt hatte.Und da habe ich mir gesagt, Alfred, so darfst du nicht enden, und habe mir Mut zugesprochen. Ich hatte ja von der Jugend her ein Vorbild, nämlich den Karl Liebknecht, als er am 1. Mai 1916 in Berlin auf dem Potsdamer Platz eine Rede gehalten hat gegen den Krieg, und dann verhaftet wurde und vor’s Kriegsgericht kam und verurteilt wurde, wie er dortmals gesagt hat: Ich trage meinen Zuchthauskittel so stolz wie jeder General seine Uniform. Ja, das habe ich vor mir hergesagt, ich sag’: Alfred, danach musst du handeln. Und ich hab’ es geschafft.«

Auf den Gefangenen warten aber noch Prüfungen ganz anderer Art. Am 23. August 1939 schließen Hitler-Deutschland und die Sowjetunion einen Nichtangriffspakt. Den Kommunisten trifft diese Nachricht wie ein Keulenschlag: Das Land seiner Hoffnung, wichtigster Verbündeter im Kampf gegen die Faschisten, im Bunde mit Hitler!

Alfred Hausser: »Ich kann mich noch erinnern, dass irgendwann eines Morgens der Wachtmeister höhnisch zu mir gesagt hat: Nun hat euch aber der Stalin verraten, jetzt sitzt ihr in der Scheiße. Ich habe mir dann so nach und nach ein bissel Informationen verschaffen können und war eigentlich von diesem Ereignis schockiert. Wenn man so auf sich allein gestellt ist, wenn man keine Möglichkeit hat, mit einem Gleichgesinnten  darüber zu diskutieren, so macht man sich seinen eigenen Vers daraus. Und hinterher habe ich gemerkt, auch manche andere politische Häftlinge haben gesagt: Also, jetzt kann es nicht mehr lange dauern, bis wir befreit sind. Jetzt muss ja die Amnestie für Nazigegner kommen. Wenn der Stalin mit Hitler Frieden gemacht hat, dann muss der Stalin dafür sorgen, dass wir aus der Haft kommen. Nun, natürlich, da vergingen Tage und Wochen, und es geschah nix. Und uns war klar: Wir profitieren von diesem Ereignis null und nichts.«

Wenige Tage später beginnt mit dem Überfall Hitlers auf Polen der Zweite Weltkrieg. Obwohl Alfred Hausser noch zwölf Jahre Zuchthaus vor sich hat, wird er vom Wehrbezirkskommando Ludwigsburg auf Militärtauglichkeit hin untersucht, zugleich aber für wehrunwürdig erklärt. Im so genannten Ausschließungsschein des Wehrbezirkskommandos und der zuständigen polizeilichen Meldebehörde heißt es lapidar: »Der Alfred Hausser, geboren am 27.08.1912 zu Stuttgart, wird hiermit vom Dienst in der Wehrmacht im Frieden und im Krieg für dauernd ausgeschlossen. Ludwigsburg, den 16.10.1939.«
Als vier Jahre später die Mutter des Gefangenen stirbt, wird ihm die Teilnahme an der Beerdigung verboten. Zu dieser Zeit wickelt Hausser immer noch in seiner Zelle Anker für Lichtmaschinen. Weil wegen alliierter Luftangriffe ein Teil des Bosch-Werkes von Stuttgart-Feuerbach nach Hildesheim verlagert wird, werden die Zwangsarbeiter im Dezember 1943 von Ludwigsburg im Viehwagen nach Celle verfrachtet, wo in der leer geräumten Kirche des Zuchthauses eine Produktionsstätte eingerichtet wird. Gegen Ende des Krieges hat Hausser, von der Festnahme an gerechnet, bereits zehn Jahre Haft auf dem Buckel. Dann ist die Stunde der Befreiung da. 

Fortsetzung folgt

Foto:
©Linkes Zentrum  Lilo Herrmann

Info:
Text einer Radio-Bremen-Hörfunksendung vom 31. März 1995