stolpersteine 1539Weitere Verlegungen von Stolpersteinen in Schlüchtern, Teil 6 (Schluss)


Clas Röhl / Hanswerner Kruse

Schlüchtern (Weltexpresso) - ClasRöhl im Gespräch mit Erica Frank über Heimat, Stolpersteine und die Organisation ReDeutsche.org 

Die international renommierte und vielfach ausgezeichnete Forscherin Dr. Erica Frank hat drei Nationalitäten. Sie wurde in den USA geboren, zog 2006 nach Kanada und hat 2021 die deutsche Staatsangehörigkeit ihrer Vorfahren wiedererlangt. Die Urenkelin von Leo und Judith Stern war jüngst zur Stolpersteinverlegung in der Heimatstadt ihrer Familie und stand Clas Röhl Rede und Antwort. 

Frau Dr. Frank, warum sind Sie nach Schlüchtern gekommen?
Ich bin gekommen, um an der Verlegung von Stolpersteinen zum Gedenken an die Familie Stern teilzunehmen, die seit dem 16. Jahrhundert in Schlüchtern und anderswo in Deutschland lebte, und zwar in der Fuldaer Straße bis 1934 (wo sich heute die Weinhandlung „Vinum“ befindet / hwk). Die Familie wurde gezwungen, die Stadt zu verlassen oder in die Todeslager der Nazis geschickt. Ich bin die Enkelin von Alma Frank, geborene Stern, die in der Fuldaer Straße aufgewachsen ist und 1939 Deutschland in Richtung USA verließ. 

Möchten Sie uns einige Gedanken zu Ihrem Aufenthalt mitteilen? Natürlich gab es einige sehr intensive und schwierige Momente für Sie. 

Oh ja, in der Tat. Es war mir wichtig, hierher zu kommen, vor allem in Erinnerung an meinen Vater, der in seiner Jugend auf dem Gelände der Leo-Stern-Destillerie in der Fuldaer Straße gespielt hat und sich so gerne daran erinnerte. Ich danke den Bürgern von Schlüchtern für ihre Bereitschaft, sich mit dem Erbe ihrer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger auseinanderzusetzen und Verantwortung zu übernehmen. 

Sie hatten aber, wie wir in Ihrer Ansprache bei der Feierstunde hörten, noch eine weitere Absicht, nach Schlüchtern zu kommen. 

Viele der Juden und deren Nachkommen, die durch die Nationalsozialisten aus den verschiedensten Gründen ausgebürgert wurden, sind inzwischen wieder deutsche Staatsbürger und haben deutsche Pässe. Aus diesem Grund habe ich die Organisation ReDeutsche.org gegründet, die ein Zusammenschluss von Menschen sein soll, die selbst oder deren Vorfahren Deutschland aufgrund der Verfolgung durch die Nazis und des Holocausts verlassen haben. Sie besitzen inzwischen wieder die deutsche Staatsbürgerschaft und sind daran interessiert, gemeinsam zu erforschen, was mit dieser wieder erlangten Staatsbürgerschaft sinnvollerweise ge- macht werden könnte. 

Was ist der Grundgedanke Ihrer Bemühungen?
Die Wiedereinbürgerung und der Besitz eines deutschen Passes ist großartig. Aber was machen wir mit der Tatsache, dass wir jetzt wieder Teil der deutschen Familie sind? Es muss mehr geben als diesen Rechtsakt, eine sinnvollere Konsequenz! Wir sind daran interessiert, mit eingebürgerten Deutschen in aller Welt zusammenzukommen, die wollen, dass ihre neue Staatsbürgerschaft von Nutzen ist. Wir glauben, dass es unter uns noch einige wichtige Diskussionen über Versöhnung und Wiedergutmachung zu führen gibt. Und wir wollen, dass diese interessierten Menschen in sinnvollen Kontakt mit Deutschen kommen, hier in Schlüchtern und überall. 

Was könnte das im Fall von Schlüchtern bedeuten?
Ich war sehr beeindruckt von den Bemühungen, in den kommenden Jahren ein Kulturzentrum in der schönen Schlüchterner Synagoge zu schaffen. Es ist ein hervorragender Ort, um die Verständigung zu fördern, und ich möchte dazu beitragen, diesen bedeutenden Ort mit Ausstellungen und Programmen zu bereichern, um der ehemaligen jüdischen Bürger zu gedenken. Sie sollen dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass sich solche völkermörderischen Gräuel wiederholen. Dies ist jedoch nur ein Anfang. 

Sie haben vor Kurzem eine akademische Berufung (zusätzlich zu Ihrer laufen- den Tätigkeit in der Medizin und öffentlicher Gesundheit) in den Studiengang Germanistik an der UBC erhalten, eine sehr symbolische Berufung. 
Ja, in der Tat. Ich sehe jedoch all diese Bemühungen als Beitrag zur Förderung einer friedlicheren und gerechteren Welt. Ich bin seit vielen Jahren im amerikanischen und kanadischen Vorstand der „Internationalen Ärzte und Ärztinnen für die Verhütung des Atomkrieges“, die 1985 den Friedensnobelpreis erhalten haben. Gelegenheiten wie diese, die Welt zu verbessern und ReDeutsche.org ermutigen mich, weiterzumachen.

                                                                                           ZUR PERSON
  stolpersteine 1520Dr. Erica Frank (61) ist eine in den USA geborene Ärztin, medizinische und pädagogische Forscherin, Politikerin und Verfechterin der öffentlichen Gesundheit. Sie ist die Erfinderin und Gründerin von NextGenU.org, einer Organisation, die Lernenden auf der ganzen Welt kostenlose Kurse im Bereich der Gesundheitswissenschaften anbietet. Sie ist im Vorstand der „Internationalen Ärzte und Ärztinnen für die Verhütung des Atomkriegs“ (ippnw), denen 1985 der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Seit 2006 ist sie Professorin an der medizinischen Fakultät der British Columbia- Universität (UBC) in Vancouver. Vor kurzem wurde sie an die Fakultät für Germanistik der UBC berufen. 

Wer mit Erica Frank in Kontakt treten möchte, erreicht sie per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. 

Fotos
© Hanswerner Kruse
Oben: Clas Röhl und Erica Frank
Unten: Erica Frank im Gespräch mit Schlüchterner Bürgern, die ihr alte Urkunden überreichten