verdi stuttgartNur wer sich aufgibt, ist verloren«. Alfred Hausser - Porträt eines Antifaschisten, Teil 7

Conrad Taler

 

Bremen (Weltexpresso) - In unserem Gespräch gliedert der 82-Jährige sein Leben so: Alfred Hausser: »Mein Leben zerfällt in zwei Teile: Der erste Teil, das ist die Jugend, die Lehrzeit, die Arbeitslosigkeit, der Widerstand, die Verfolgung, die Verhaftung und dann das Erlebnis der Befreiung. Der zweite Teil war dann bewusst gewidmet den Opfern des Nationalsozialismus. Es gab ja 1948 die Illusion, dass die ganze Geschichte in sechs Monaten erledigt sei. Bei mir sind es jetzt 47 Jahre geworden, und sie ist noch nicht erledigt, und ich bin noch dabei, weil ich mir sage, so lange ich kann, möchte ich die Menschen nicht im Stich lassen; sie sind alle älter geworden und brauchen mehr Hilfe, und da ich mich noch stark und gesundheitlich in der Lage fühle, diese Aufgabe weiter zu betreiben, bin ich auch noch dabei.«


Von Vorteil für Hilfesuchende ist, dass Alfred Hausser nicht nur das Entschädigungsrecht mit all seinen Sonderregelungen aus dem Effeff kennt, sondern auch mit dem Sozialrecht und der Zivilprozessordnung vertraut ist. Überdies hat er gelernt, medizinische Gutachten zu entschlüsseln und im Bedarfsfall zu widerlegen. Zustatten kommt ihm dabei, dass er Verfolgungstatbestände aus eigenem Erleben heraus beschreiben und somit gegenüber Behörden und Gerichten oft überzeugender argumentieren kann, als mancher abstrakt gebildete Sachverständige. Auch im täglichen Leben kennt seine Hilfsbereitschaft allem Anschein nach keine Grenzen. Im Verlauf unseres Gesprächs bittet er einmal um eine kurze Pause; er habe vor unserer Unterredung einer älteren Nachbarin versprochen, um diese Uhrzeit in ihrer Wohnung etwas zu reparieren. Als er nach einer halben Stunde zurück kommt entschuldigt er sich; er habe die alte Dame erst suchen müssen und ihr dann gleich den Einkaufskorb nach Hause getragen. Wir wechseln das Thema. Ich frage Alfred Hausser nach seinen Eindrücken bei Begegnungen mit Widerstandskämpfern im Ausland.

 

Alfred Hausser: »Vor drei Tagen war ich in Straßburg bei einer Konferenz der französischen Widerstandskämpfer auf der lokalen Ebene. Ja, was findet man dort? Da ist also der Präfekt da, da ist ein Senator da, da ist der Deputierte der Nationalversammlung dieses Kreises da, und da geht es dann gemeinsam zur Ehrung der Opfer. Da ist die Feuerwehr da und da ist die Gendarmerie da. Ich habe andere große Erlebnisse der Akzeptanz der französischen Widerstandskämpfer ohne irgendeine Unterscheidung, wo sie politisch hingehören. Ähnliches habe ich in Italien erlebt. Das ist dann immer ein wohltuendes Erlebnis gewesen; das hat uns gestärkt, dass wir uns gesagt haben, gut, wenn die Antifaschisten dort eine solche Anerkennung finden, dann dürfen wir hier nicht aufgeben, wobei mir natürlich der Unterschied zwischen dem Ausland und Deutschland sehr wohl bewusst ist. Für die Franzosen oder für die Italiener ist der Widerstand primär national geprägt gewesen, während wir ja nun zu den Feinden unseres Landes und Volkes gestempelt wurden. Das ist es ja, was der juristische Begriff Hochverrat beinhaltet, und den man uns vorgehalten hatte, weswegen wir verurteilt worden sind.«

 

Etwa ein Vierteljahrhundert nach dieser Verurteilung sitzt Alfred Hausser gewissermaßen wieder auf der Anklagebank. Seine Organisation, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, soll auf Antrag der Bundesregierung für verfassungswidrig erklärt und verboten werden. Beobachter vermuten, dass die Veröffentlichung von belastendem Material über die braune Vergangenheit eines Bundesministers den Anstoß dazu gab. Die Regierung findet für ihre Vorgehen wenig Verständnis. Eine Gruppe von Universitätsprofessoren erklärt in einer Stellungnahme: »Nach Meinung der Unterzeichneten wäre es außerordentlich bedenklich, das moralische Gewicht von Bürgern ausschalten zu wollen, die in der schlimmsten Periode des Unrechtsstaates ihre persönliche Tapferkeit im Ringen gegen seine Methoden so eindeutig bewiesen haben.« Das Unerwartete geschieht: Die Bundesregierung scheitert mit ihrem Antrag beim Bundesverwaltungsgericht. Die Organisation kann ihre Tätigkeit fortsetzen, wird aber von den Sicherheitsbehörden weiterhin als Gefahr angesehen. Derweil feiert der Neonazismus schaurige Urständ. Was bleibt da noch?

 

Alfred Hausser: »Ja, ich muss den Menschen sagen, dass doch eigentlich für uns Deutsche in e i n e r Generation eine derartige Lehre wie der Nationalsozialismus mit dem entsetzlichen Ende an Elend und Not für Zeit und Ewigkeit reichen muss, um die Wiederholung eines solchen oder ähnlichen Weges nicht zuzulassen. Was muss denn sonst noch passieren, dass die Menschen sagen: Nein, so nicht!«  

Fortsetzung folgt


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Info:
Text einer Radio-Bremen-Hörfunksendung vom 31. März 1995