Serie: Von der Pressekonferenz bis zur 15. Preisverleihung des 1822-Universitätspreises für die besten Lehrenden an der Goethe-Universität Frankfurt 2016, Teil 1
Heinz Markert und Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Was gute Lehre braucht? Mit diesem als Frage gestellten altehrwürdigen pädagogischen Motiv startete der Medientermin am Campus Westend der Goethe-Universität, der sich am Abend die Preisverleihung mit viel begeistertem Volk anschloß.
In der Tat gehört die jährliche Feier, die in diesem Jahr Jubiläum feiert und vor 15 Jahren im Verbund mit Frankfurter Sparkasse 1822, die das Geld gibt, zu den aufregendsten und studentenorientiertesten der Universität, weil ein Klima der intellektuellen Freude und Dankbarkeit herrscht und es einmal nicht um Notstände, fehlende Mittel und fehlendes Personal oder auch nicht effizient genug arbeitende Studenten geht, sondern um die Umkehrung des Prozesses, der da lautet: Wer benotet wen?
Sonst sind es die Lehrenden, die über Klausuren, Hausarbeiten, Mitarbeit im Seminar und anderes die Studenten prüfen und benoten. Hier wird der Spieß umgedreht. Denn der ASTA als Vertretung der Studierenden setzt das fort, was ihm von Studentenseite her – Einzelpersonen, Gruppen, Fachschaft - vorgeschlagen und begründet wird: Namen aus den Fachbereichen und wählt aus den von den Kommilitonen Vorgeschlagenen die drei aus, die dann in der Reihenfolge Eins bis Drei für den 1822-Universitätspreis ausgewählt werden. Dieser Vormittag mit einer großen Runde (vgl. Info) informierte über die Absichten des Preises, über die Hintergründe und die Preisträger.
Hinter der Frage lugt eine verdeckte: ist es sachlich begründbar und zu rechtfertigen, dass die ‚Belehrten‘ auch wieder auf die Lehrenden rückwirken, um den Lehr- und Forschungsprozess umso erfolgreicher zu gestalten? Ein Ja kongruiert mit der 3. Feuerbachthese von Marx, die besagt, „dass auch der Erzieher selbst erzogen werden muss“. So muss es nicht überraschen, dass eine alte Einsicht den Schein einer Neuigkeit annimmt, obwohl sie fast schon so etwas ist wie alter Hut der Aufklärung ist. So ist das Neue auch nicht die Forderung nach guter Lehre, sondern deren Preiswürdigkeit in einer Zeit, wo sich die Universitäten über ihre Forschungsleistungen gegenseitig überbieten wollen.
Das fünfzehnte Mal ist auch ein zeitlicher Abschied, wo man Bilanz ziehen kann. So verstanden wir das außerordentlich fachkompetente Podium (Teilnehmer unter INFO), das eine grundsätzliche Debatte über die Funktion von Lehre und die Veränderungen in den letzten Jahren leistete. Der Ansatz zur Förderung einer guten Lehre findet sich im Gefüge der Universität auch unter dem Motto: ‚Lehre und Qualitätssicherung‘ (es ist die Abteilung, die einlud), sie setzt an der Überlegung an, dass die Lehrenden mit ihrem Lehrauftrag nicht alleine stehen dürfen, wenn sie sich einem Lehrauftrag stellen. Die Goethe-Universität hat eine feste Größe geschaffen, um der guten Lehre zu einem besseren Stand zu verhelfen, indem sie seit 2002 den ‚Universitäts- und 1822-Stiftungspreis für exzellente Lehre‘ vergibt.
Die Cartesianische Wende
Es kam zu einem spannenden Pressegespräch, weil auf dem Universitätspodium eben auch zwei der vor Jahren Ausgezeichneten beteiligt waren. Noch immer erkennt man in Bewerbungsverfahren eine Diskrepanz zwischen dem Ansehen und dem Wichtignehmen von Lehre und Forschung. Aber es ändert sich etwas, war die Botschaft dieses Vormittags. Und nicht leise und langsam, sondern deutlich wahrnehmbar. Insbesondere die Vizepräsidentin Prof. Dr. Tanja Brühl, die explizit für Lehre im Präsium zuständig ist, hielt die Verbesserungen, sowohl in der Qualität der Lehrenden wie auch in der Akzeptanz im Universitätsbetrieb und in Bewerbungsverfahren, für signifikant.
Sie war es auch, die hervorhub, mit welcher Begeisterung die Vorschläge durch Worte untermauert sind. Auch bei den diesmaligen 25 Vorschlägen für den 1822- Universitätspreis seien wahre 'Liebeslieder' gesungen worden und jeder, der je in Schule, Ausbildung oder Hochschule gelehrt hat, weiß, welche Wirkung eine positive Rückmeldung auf die Lehrenden hat.
Zu den Begrifflichkeiten, die die Runde belebten, gehörte mit dem Zweiten Preisträger, Prof. Dr. Bernd Grünewald, ‚der wissenschaftliche Zweifel‘ und das ‚forschende Lernen‘ als Agenzien einer guten Lehre. Das ist nicht so daher gesagt, sondern begründet einen Wissenschafts- und Lehrentwurf. Der wissenschaftliche Zweifel stammt philosophisch von Rene Descartes, der zwar vornehmlich die res extensa (die Welt da draußen) kritisch in den Zweifel zieht, aber auch die res cogitans, die denkende Substanz, besonders durch die epochal rekursive Rückwendung auf das Ich des Erkennens, vom fundamentalen Zweifel nicht ausnimmt. Das ist die Urform der kritischen Bewegung des erkennenden Ichs der Wissenschaft.
Die materialistische Lehre, dass die Menschen Produkte der Umstände und der Erziehung, veränderte Menschen also Produkte anderer Umstände und geänderter Erziehung sind, vergisst, dass die Umstände eben von den Menschen verändert werden und dass der Erzieher selbst erzogen werden muss. Sie kommt daher mit Notwendigkeit dahin, die Gesellschaft in zwei Teile zu sondern, von denen der eine über der Gesellschaft erhaben ist. (Z. B. bei Robert Owen.)
Die Preisträger wurden von den Studierenden quasi durch Schwarmintelligenz, wie im Staat der Bienen, erwählt. Die Begünstigten sehen sich als durch die Außergewöhnlichkeit einer Lehre ausnahmslos Bevorzugte. Sie sahen sich zu einem Engagement motiviert, das ihnen unter ungünstigen Umständen versagt geblieben wäre. Das Thema von Bernd Grünewald ist ‚die Staatenbildung von Insekten‘. Hierfür war ab 1937 die Polytechnische Gesellschaft mit ihrem Bieneninstitut in Oberursel auf den Plan getreten, das Bernd Grünewald leitet.
Als Doktorand an der Freien Universität Berlin bereits „beschäftigte sich Bernd Grünwald intensiv mit den Lernprozessen von Honigbienen“. Eine ganz eigene Geschichte ist der Bienentanz, mit seiner Funktion im Bienenstaat für die Auskunft über Nahrungsquellen. Zum Grünewaldschen Entwurf der Lehre und des Lernens gehören auch Vernetzung und Interdisziplinarität. „Er selbst würde liebend gerne einmal ein Seminar mit Soziologen und Kunsthistorikern halten. Thema: ‚Bienen sind auch nur Menschen‘“. Das ist ein Ansatz der entsprechend der geltenden Humanität auch für die Tierwelt - von Arthur Schopenhauer philosophisch eingeführt - ausdrücklich geteilt wird. Fortsetzung folgt.
Info:
Die Antwort für den Tag auf die Frage der Einleitung ‚Was braucht gute Lehre‘ lautete: ‚Das braucht gute Lehre: Engagierte Lehrende und innovative Lehrformate‘.- ‚Zum 15 Mal wird der 1822-Universitätspreis für exzellente Lehre verliehen – Die Preisträger: der Informatiker Dr. Karsten Tolle, der Neurobiologe Prof. Dr. Bernd Grünewald, die Linguistin Dr. Irene Corvacho del Toro.
Mediengespräch am 4. Juli 2016 und am Abend öffentliche Verleihung des 1822-Universitätspreises für exzellente Lehre mit Laudationes der Studierenden-Vertreter und einem Vortrag von Prof. Dr. Doris Donhauser, Humboldt-Universität, 4. Juli 2016 18 Uhr
Gesprächspartner/innen morgens waren: Prof. Dr. Birgitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität; Prof. Dr. Tanja Brühl, Vizepräsidentin der Goethe-Universität, verantwortlich für Lehre, 1822-Preisträgerin 2008; Prof. Dr. Karin Donhauser, Humboldt-Uni Berlin, Vorsitzende des Auswahlgremiums für den „Qualitätspakt Lehre“ (2010 und 2015); Prof. Dr. Daniela Elsner, Institut für Didaktik am Institut für England- und Amerikastudien, Goethe-Universität, 1822-Preisträgerin 2014, Ars legendi-Preisträgerin 2014; Prof. Dr. Bernd Grünewald, Institut für Zellbiologie und Neurowissenschaft, Institut für Bienenkunde, Goethe-Universität, Preisträger 2016; Dr. Irene Corvacho del Toro, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psycholinguistik, Preisträgerin 2016; Julia Droege, Stiftung der Frankfurter Sparkasse; Studierenden-Vertreter Max Rudel, Asta-Vorstand.
Der Begleitband zur diesjährigen Verleihung: ‚Was braucht gute Lehre? – Personen, Projekte, Positionen‘, 15 Jahre 1822-Universitätspreis für exzellente Lehre, Frankfurt am Main 2016 liegt vor.