Die Rückgabe der Gorilla-Mutter samt geretteter Tochter an die Gruppe im Frankfurter Zoo war ein Verwandschaftsgruß an das Tier


Heinz Markert


Das punktuelle Scheitern oder Problematischwerden der wenig natürlichen Haltung der Menschenaffen – wie sie auch genannt werden - vermittelt der Stadtgesellschaft immer wieder Augenblicke, die sie ein wenig innehalten und anerkennend auf ein anderes Leben den Blick werfend verweilen lässt. Was einiges an Gemeinsamkeit und Sympathie zwischen aufgerichteten, aufwärts strebenden Zweibeinern zu verraten scheint.


Physische Bedingtheit, Hilfebedürftigkeit, gefühlte Verletzlichkeit und Empfindsamkeit verbinden Primaten mehr als alle eventuell vorhandene intellektuelle Formate. Am Ende verbindet die Primaten die unausradierbare gemeinsame animalische Natur, die sich auch vom Menschengeschlecht nicht wird abtrennen lassen, trotz gegenteiliger Unkenrufe der binären Industrie.


Vermittelt über die gemeinsame Sterblichkeit ist der nicht nur aus Gründen der Nahrungssuche in höhere Etagen - im Biotop des Waldes - strebende Tierprimat ein unserer Art verwandter, nicht gar so unähnlicher Leidensgenosse, wobei dem tierischen Primatenzweig das Pech beschieden war, an der heikelsten Stelle im Evolutionsprozess die Lusche zu ziehen, wie Adorno lehrte.


Die gegenwärtige Drift, die die Würde des Tieres anmahnt, lässt sich darauf erweitern, dass nicht nur die Menschenaffenhominiden, sondern auch der Sumatra-Tiger, die Netz-Giraffe und der Löwe, wie überhaupt alle jene die große Szene im Tier- und Pflanzenreich beherrschenden Spezies nicht gar so verschieden von der Menschenart sind - entgegen der früher vertretenen Suprematie-Optik gegenüber Tieren.


Auch der offiziell vom Zoodirektor in seiner Ansprache verwendete Ausdruck von den ‚jungen Halbstarken‘, die die Gorilla-Gruppe gelegentlich aufmischen, deutet beispielhaft auf eine auffällige Gemeinsamkeit zwischen jungen Gorillas und Pubertierenden der Art ‚Homines Sapientes sapientes‘ hin.


Wird in der Gorilla-Gruppe dereinst analog auch die ziemlich fragwürdige menschliche Spätadoleszenz zum Tragen kommen, die kürzlich auf dem Campus diskutiert wurde und in einigen Weltgegenden schlimm Epoche macht? Wohl kaum. Denn Menschenaffen sind im Unterschied zur Raubrasse Mensch im Grunde arglos. Das zeigt die mögliche Kohabitation in Projekten zur Primatenforschung, die von keinem großen Krieg der Affen weiß.

 


Mit zunehmender Geschwindigkeit gen Gorilla-Gehege


Der Pulk der sich am letzten Zoo-Mittwoch hin zu Mutter und Tochter eilends gen Primaten-Gehege bewegte, um die Rückgabe von Gorilla-Mutter Dian und Tochter an die Gorilla-Gruppe zu begehen, hatte illustrierenden Charakter. Für Kinder wie Erwachsene ist es höchst anregend, eine Varietät des Aufrechtgehens aufzusuchen. Jung und Alt streben vereint dorthin, wo es am ähnlichsten ist. Dort, direkt vor dem Gorilla-Gehege war reges Hin und Her wegen der Schwierigkeit, einen der sensibelsten Momente, die im Mutter-Tochter-Leben auftreten können, auf die Datenträger zu bannen. Es kam zum Gedränge. Es kam sogar zum Protest, weil wegen der Enge nicht alle so gut wegkamen.


Herzergreifend war die Schilderung von der Rettung des Gorilla-Mädchens, dem im Unterschied zum verstorbenen Bruder weiter zu leben möglich wurde. Es war aber anfänglich noch so schwach, dass es von der Mutter getrennt werden musste und – während es von ihr durch das Gitter der Anlage wenigstens gesehen werden konnte - nach ausgesucht neuen medizinischen Kenntnissen und unter bester ärztlicher und pflegerischer Begleitung versorgt und gefüttert wurde, bis es nach 4, 5 Tagen in einem guten Zustand war. Und dann wurde es von der Mutter, nachdem die Kleine stabilisiert war, ohne weiteres wieder in die Arme genommen. Auch die Gorilla-Mutter hat einen Begriff von der Zusammenarbeit mit der benachbarten Art, die da vor sich ging.


Nietzsche nahm wahr, dass der Mensch das Tier beneide, weil es so selig an den Pflock des Augenblicks geschmiedet sei, was den Menschen seltsam angehe. Denn er möchte dann sein wie das Tier. Heute kommt hinzu, dass der Mensch das Tier auch beneidet, weil er angefangen hat, ihm eigene, souveräne Begriffe zu unterstellen, die womöglich den seinen partiell und punktuell überlegen sind.


In einer Zeit, in der das Tierrecht dem Menschenrecht zunehmend angenähert und gleichgestellt wird – für die endgültige Gleichstellung muss noch gekämpft werden - kommt Menschen langsam zu Bewusstsein, dass die lange durch Tradition und Religion herabgestuften Tiere doch wohl eigene, wenn auch andere Begriffe haben, um Menschen und Situationen einzuschätzen; und imstande sind begrifflich darüber nachzusinnen, mit wem sie es zu tun haben, innerhalb ihres eigenen Systems.


Zuweilen scheint es, als ob die Tiere mit eigenen, nicht anthropomorphen Begriffen auch erheblich denken könnten (in ihren eigenen Mustern). Bloß die Denkstruktur ist eine andere. Wie schon angedeutet, die Geburt und das Wohl und Wehe eines Menschenaffen ist ein besonderer Moment, hinter dem sich einiges verbirgt.

 

Fotos: © Heinz Markert


Info:
Offizielles ‚Willkommen kleines Gorilla-Mädchen‘ im Menschenaffen-Haus des Zoos in Frankfurt am Main am 15. März 2017