Akteure und Wissenschaftler diskutieren an der Goethe-Universität Möglichkeiten des Zusammenlebens in einer zerrissenen Gesellschaft
Hubertus von Bramnitz
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Über 50 Jahre herrschte in Kolumbien ein grauenhafter Bürgerkrieg mit 250.000 Todesopfern und fast sieben Millionen Vertriebenen. Seit dem vergangenen Jahr gibt es endlich Hoffnung für die Bevölkerung dieses südamerikanischen Staats: Nach jahrelangen Verhandlungen auf Kuba haben der Staat und die stärkste Guerillagruppe FARC einen Friedensvertrag unterzeichnet, damit scheint die Spirale der Gewalt erst einmal durchbrochen.
Doch wie können die staatlichen Akteure und ehemaligen Guerillas, wirtschaftliche Eliten und Landbesitzer, aber auch Künstler, Schriftsteller, Bürgerrechtler, soziale Aktivisten, Lokalpolitiker und Kleinbauern, diesen Friedensprozess gemeinsam gestalten und stabilisieren? Das wird Thema des öffentlichen Frankfurter Symposiums „Kolumbien – Historisches Gedächtnis, Postkonflikt und Transmigration“ sein, es findet statt
vom 3. Mai (Mittwoch) bis 5. Mai (Freitag),
Casino, Raum 823, Campus Westend, Goethe-Universität.
„Die verschiedenen, internationalen am Friedensprozess beteiligten Akteure mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen, Erinnerungen, Erwartungen und Bedürfnissen erhalten in Frankfurt auf neutralem Boden die Möglichkeit, Bedingungen zu diskutieren, wie das Zusammenlebens in dieser zerrissenen Gesellschaft aussehen könnte“, sagt der Frankfurter Romanistik-Professor Roland Spiller. Er hat dieses internationale Symposium, das in spanischer Sprache (mit Übersetzungen der Eröffnungsveranstaltung) stattfindet, gemeinsam mit dem katholischen Theologen Prof. Thomas Schreijäck initiiert und mit einem interdisziplinären Team organisiert. Bei der Eröffnung werden auch die kolumbianische Botschafterin in Deutschland, Maria Lorena Gutiérrez, und der Grünen-Politiker Tom Koenigs, Beauftragter der Bundesregierung für den kolumbianischen Friedensprozess, sprechen.
International anerkannte Akteure der kolumbianischen Zivilgesellschaft werden ebenso teilnehmen wie deutsche Experten, die seit Jahren in einem Kolumbien-Netzwerks aktiv sind, von der Goethe-Universität sind Wissenschaftler und Studierende verschiedener Fachrichtungen dabei: Theologie interkulturell, Romanistik, Geschichte, Rechtstheorie, Strafrecht und Strafprozessrecht. Außerdem sind beteiligt: Wissenschaftler aus den Nachbaruniversitäten Gießen und Marburg, das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut (CAPAZ/DAAD) und der Deutsche Spanischlehrerverband (DSV). Interessierte Bürger sind ebenfalls eingeladen.
Die nun in Kolumbien begonnene Phase des Postkonflikts – das beweisen ähnliche Prozesse in anderen Ländern -, ist entscheidend für die gesellschaftliche Konsolidierung des Friedens. Dies erfordert eine differenzierte Analyse des kollektiven Gedächtnisses und der kolumbianischen Erinnerungskultur. Der fünf Jahrzehnte dauernde Konflikt hat tiefe Wunden hinterlassen. Das Referendum über dem Friedensvertrag fand zunächst nicht die erforderliche Mehrheit. Erst im zweiten Anlauf wurde der überarbeitete Friedensvertrag unterzeichnet und vom Parlament gebilligt. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos war schon vor Abschluss des Vertrags mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Nach Rückzug der FARC haben inzwischen andere den lukrativen Kokainhandel übernommen, wie die Guerillagruppen ELN und EPL, die dem Frieden ebenso wenig zugestimmt haben wie kriminelle Banden und Paramilitärs. Dazu Spiller: „Betrachtet man Frieden als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, dann ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die einer permanenten Anstrengung bedarf.“
Während der Tagung werden Themenschwerpunkte aus interdisziplinärer Sicht betrachtet, dazu gehören: die Friedensverhandlungen und der innerkolumbianische Konflikt; Genealogie des Konflikts, Akteure und Opfer; das historische Gedächtnis und die kollektive Erinnerung im Postkonflikt; Übergangsjustiz; Armut und soziale Ungleichheit als Hauptursachen des Konflikts; Initiativen der Zivilgesellschaft im Friedensprozess; Migration und Gedächtnis; die Rolle der Literatur und des Films in der Postkonflikt-Gesellschaft; 50 Jahre Gewalt – 50 Jahre Einsamkeit: Hommage an Gabriel García Márquez, Cien años de soledad (Hundert Jahre Einsamkeit). Da sich eine Friedenskultur nicht durch die bloße Abwesenheit von Krieg definiert, spielen auch soziale, politische und kulturelle Kreativität eine entscheidende Rolle. Diese finden sich insbesondere in der Literatur. „Die kolumbianische Literatur zeichnet sich – wie die lateinamerikanische insgesamt – dadurch aus, dass sie die Hindernisse des Zusammenlebens, seine Dissonanzen und Traumata ästhetisch modelliert“, erläutert Spiller. „Die Notwendigkeit, sich mit dem Wissen von dieser traumatischen Geschichte auseinander zu setzen, geht einher mit dem Wissen um seine mögliche Ausweglosigkeit, aber auch mit der Utopie seiner möglichen Verarbeitung.“
In einer Hommage an den Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez wird die visionäre Auseinandersetzung mit Gewalt in seinem vor 50 Jahren publizierten Jahrhundert-Roman Cien anos de soledad HUNDERT JAHRE EINSAMKEIT im Frankfurter Instituto Cervantes gewürdigt. Die Schriftsteller Laura Restrepo und Luis Fayad, die auch an der Tagung teilnehmen, lesen im Anschluss daran aus ihren Werken, zum Abschluss des Symposiums gibt es Musik aus Kolumbien
am 5. Mai (Freitag) um 19 Uhr
im Instituto Cervantes, Staufenstraße 1.
Unterstützt wird die Tagung von der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie der kolumbianischen Botschaft in Deutschland, der Heinrich Böll-Stiftung, dem Deutschen Spanischlehrerverband, dem Instituto Cervantes, der Vereinigung der Freunde und Förderer der Goethe-Universität, „Café azul“, der studentischen Lateinamerika-Gruppe GIB am Institut für romanische Sprachen und Literaturen und „Frankfurt Memory Studies Platform“.
Foto: Wir nehmen ein Foto des von uns verehrten Kolumbianers Gabriel García Márquez, dem es nicht vergönnt war, in seiner Heimat leben zu dürfen (er war ein politischer Kopf, der lange als Journalist politischer Korrespondent war), der dadurch aber auch zum Weltbürger wurde, zumindest in der spanischsprechenden Welt. (c)
Info: Prof. Dr. Roland Spiller, Institut für romanische Sprachen und Literaturen, Campus Westend, Tel. (069) 798 32178, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! und Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!; das Programm im Detail: www.symposiumkolumbien.de/
Nach 50 Jahren Bürgerkrieg: Kolumbien auf dem schwierigen Weg zum Frieden
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