Zum Tod von Helmut Kohl
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) – De mortuis nil nisi bene, über die Toten nur Gutes, hieß es bei den alten Römern. Für die weißen Landräuber in Amerika war ein toter Indianer ein guter Indianer. Daran hält sich auch Angela Merkel, die den verstorbenen Helmut Kohl jetzt als „Glücksfall für die Deutschen“ gerühmt hat. Früher ging sie ganz anders mit ihm um, grob und respektlos wie kaum jemand sonst in der CDU.
Als Generalsekretärin beschuldigte sie 1999 den Ehrenvorsitzenden Kohl, der Partei Schaden zugefügt zu haben. In einem laut Spiegel-online an prominenter Stelle der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Artikel appellierte Merkel an die CDU, ohne ihr „altes Schlachtross“ den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen. Anlass war das Verhalten Kohls in einer Parteispendenaffäre. „Ob wir dieses scheinbar Undenkbare als Treuebruch verteufeln oder als notwendige, fließende Weiterentwicklung...begreifen, das wird über unsere Chancen bei den nächsten Wahlen...entscheiden.“
Wie damals hat Angela Merkel auch heute die nächste Wahl im Blick. Da gilt es, den einst Gescholtenen fix als „Glücksfall“ zu rühmen und in den Chor all derer einzustimmen, die den Verstorbenen schon in der Walhalla oder im Pariser Panthéon sehen. Gepriesen als „Vater der Einheit“ werde er in die Geschichte eingehen, heißt es. Dabei war Kohl rein zufällig Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, als es zu Ende ging mit der DDR und eine neue europäische Epoche anbrach. Herbeigeführt hatte sie weder Helmut Kohl noch sonst jemand im Westen. Es waren Bürgerinnen und Bürger der DDR, die mit ihren Montagsdemonstrationen die Voraussetzung dafür schufen, dass zusammenwuchs, was zusammen gehört, wie Willy Brandt sich später ausdrückte. Was folgte war politische Routine, maßgeblich bestimmt von den Wünschen der Siegermächte des zweiten Weltkriegs, die der Wiedererrichtung eines geeinten Deutschland nur unter der Bedingung zustimmten, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgeht.
Einer der daran mitgewirkt hat, dass die deutsche Einheit wie eine reife Frucht Helmut Kohl in den Schoß fiel, muss hier besonders erwähnt werden: Michael Gorbatschow, auch er ein Kind seiner Zeit, die nach Modernisierung, nach einem Umdenken schrie. Als Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion wollte der gewandte Redner mit seiner Politik der Perestroika die wirtschaftliche Agonie seines Landes aufhalten, beschleunigte damit aber eher den Niedergang der Sowjetunion. Überhäuft mit Lob aus dem Westen wurde „Gorbi“ zum Heilsbringer der Deutschen. Umschmeichelt von dem eiskalt kalkulierenden Machtmenschen Kohl ließ Gorbatschow die DDR fallen und erklärte sich einverstanden mit ihrer Einverleibung durch die Bundesrepublik.
Ich habe Kohl 1962 kennen gelernt, lange bevor er zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde, und zwar während eines denkwürdigen Streitgesprächs mit dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der damals wegen eines Vortrages über die Wurzeln faschistischen Handelns von der CDU heftig attackiert wurde. Helmut Kohl war zu der Zeit Abgeordneter seiner Partei im rheinland-pfälzischen Landtag. Nassforsch belehrte er den von den Nazis verfolgten Fritz Bauer, dass es noch zu früh sei für ein abschließendes Urteil über den Nationalsozialismus. Die Art und Weise, in der Helmut Kohl mit dem grauhaarigen Generalstaatsanwalt umging, machte ihn mir fortan suspekt. Später bekamen auch Parteifreunde Kohls Rücksichtslosigkeit zu spüren, Heiner Geißler zum Beispiel und auch Wolfgang Schäuble. Aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt heißt es erst einmal: De mortuis nil nisi bene.
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