a kurtausschnittWeltexpressoautor Kurt Nelhiebel wird heute 90 Jahre!, Teil 2

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Berlin (Weltexpresso) – Fritz Bauer ist, wie man sieht, oben bei den Charakterköpfen auf WELTEXPRESSO dabei. Der Vierte von links, eingerahmt von Karl Marx, Hannah Arendt und Hegel. Er steht dort auch als ausgewiesener Sozialdemokrat. Im Folgenden Antworten von Kurt Nelhiebel auf die Fragen im Film über Bauer von Ilona Ziok.

dvd fritzbauerWieso kam es erst so spät zu diesem Prozess? Die Namen der Mörder waren doch schon seit 1945 bekannt.

„Ja das ist sicherlich ein ganz kompliziertes Problem. Es hatte nach Kriegsende die großen Prozess in Nürnberg gegeben und bei der deutschen Justiz herrschte eine lange Zeit so die Meinung vor, dass damit eigentlich das Wesentliche getan ist, so an justizieller Aufarbeitung der Vergangenheit. Und erst 1958 beim Ulmer-Einsatz-Kommando-Prozess hat es einigen Leuten gedämmert, dass da noch ein Menge an Schuld aufzuarbeiten ist. Und dass der Auschwitz-Prozess überhaupt zustande gekommen ist, verdankt sich einem puren Zufall, weil einem Journalisten irgendwelche Papiere in die Hände gekommen sind, die er ja wiederum dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer zur Verfügung gestellt hat. Der dann irgendwie den Anfang eines roten Fadens in der Hand hatte und die ganzen Vorarbeiten haben fünf Jahre gedauert, ehe der Auschwitz-Prozess überhaupt hat beginnen können.“


Was hat Sie den persönlich dazu bewogen, über den Auschwitz-Prozess zu berichten?

„Ja, ha, das war ganz einfach. Ich war bei einer antifaschistischen Wochenzeitung in Frankfurt beschäftigt. Hatte mich mit Auschwitz schon befasst, hatte viel darüber gelesen und da lag es nahe, dass ich als Berichterstatter zu diesem Prozess gegangen bin. Zumal ich selbst auch aus einer antifaschistischen Familie stamme.“


Konnte man denn als Berichterstatter angesichts des Grauens von Auschwitz, des Massenmordes und der sadistischen Exzesse einzelner irgend so etwas wie Distanz wahren? Oder, anders ausgedrückt, hat der Prozess Sie auch verändert?

„Mich hat der Prozess selbst nicht verändert, er hat mich aber sehr stark berührt und aufgewühlt. Obwohl ich einiges von dem schon kannte aus der Literatur, von dem was in Auschwitz passiert ist, haben mich die Einzelheiten, die im Verlaufe des Verfahrens zur Sprache gekommen sind, doch furchtbar aufgewühlt. Ich sage das einfach: Das war wie ein Albtraum für mich. Und dieser Albtraum, der nahm, wenn ich aus dem Gerichtssaal heraus gekommen bin, irgendwie eine neue Form an, als ich plötzlich in das normale Leben zurück kam. Ich hab immer gedacht, nach alle dem, was du da jetzt gehört hast und was da passiert ist, da dürfte jetzt eigentlich draußen das normale Leben gar nicht so weiter gehen, wie es weiter gegangen ist. Und ich kam dann raus und die Sonne schien und die Leute gingen über die Bürgersteige, gingen ihren Geschäften nach oder sind der Straßenbahn nachgelaufen. Das hat mich irgendwie, frustriert ist der falsche Ausdruck, aber das hat mich irgendwie schockiert und ich bin eigentlich wie betäubt durch die Menschen gelaufen.“


In einer Ihrer Reportagen berichten Sie von einem kleinen Vorfall, der gar nichts mit dem Prozess selbst zu tun hat. Sie haben gesehen, wie einer der Angeklagten an einem Kiosk Zeitungen kaufte und haben danach die Verkäuferin gefragt, ob Sie wüsste, wer dieser Kunde war. Sie wusste es nicht, was erstaunlich ist, weil dessen Bild ja oft in der Zeitung war. Das wirft die Frage auf, wie hat denn die Öffentlichkeit auf den Auschwitz-Prozess reagiert? Wie hat sie ihn wahrgenommen? War er ein Thema, Gegenstand von Diskussionen am Arbeitsplatz und in der Kneipe oder ist er beiseite gedrängt worden?

„Ich denke, dass die Reaktionen auf den Prozess ganz unterschiedlich waren. Es gab die quasi offizielle Reaktion in der Politik, es gab ein sehr starkes Echo in den Medien, in den Zeitungen und im Rundfunk, die sehr kontinuierlich und ausführlich darüber berichtet haben. Und es gab auch jenen Bereich, der sogenannten meinungsbildenden Elite, tiefergehende Diskussionen um die Frage Auschwitz, aber die Bevölkerung selbst hat daran wenig Anteil genommen. Die Eltern haben gesagt, davon haben wir nichts gewusst und damit hatten wir nichts zu tun. Die haben das verdrängt. Bei der jüngeren Generation war das ein bisschen anders. Die wollten keine Leichenberge mehr sehen, die wollten keine ausgemergelten Häftlinge am Stacheldrahtzaun mehr sehen, weil sie gesagt haben, damit haben wir nichts zu tun. Das haben wir jetzt oft genug gesehen. Das interessiert uns nicht. Wir möchten wissen, wie ist es dazu gekommen. Und das war für mich eigentlich der entscheidende Gedanke, den man im Zusammenhang mit dem Prozess haben musste. Und es gab einen Zeugen, den Doktor Wolken aus Liehn, der im Verlaufe seiner Vernehmung gesagt hat, was uns zu denken geben sollte, das ist die Tatsache, dass diese Todesmaschinerie nie hätte laufen können, wenn sich nicht 10 000de zu ihrer Bedienung hätten bereit gefunden hätten. Und einer derjenigen, der versucht hat, diese ganzen Wurzeln des Geschehenen bloß zu legen, das war der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer“


Und wie hat er das versucht?

„Ja, Fritz Bauer ist vom Landesjugendring Rheinland-Pfalz irgendwann mal eingeladen worden, einen Vortrag zum Thema Rechtsradikalismus zu halten. Das war noch vor dem Auschwitz-Prozess. Er nannte seinen Vortrag „Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handels“. Und dieser Vortrag hat bei jungen Leuten einen so starken Anklang gefunden, dass der Landesjugendring ihn als Broschüre gedruckt hat. Die These von Fritz Bauer war: das, worauf sich die Nazis stützen konnten, hat eine lange Vorgeschichte. Das geht über 100te von Jahren zurück, wie Ermittlung von Untertanen, Geist, der Obrigkeitsglaube, die ständig weiterentwickelten Abneigungen und Vorurteile gegen andere Menschen, gegen Juden, die antiliberalen Affekte, antisoziale, antigewerkschaftliche Affekte. All dies hat den Boden abgegeben auf dem das alles erst entstehen konnte. Es wird ja häufig gesagt, die Nazis sind an die Macht gekommen, weil es wirtschaftlich so schlecht in Deutschland war und weil es so viel Millionen Arbeitslose gegeben hat, aber es gab in Frankreich und in England und in Amerika damals ebenfalls Millionen von Arbeitslosen und es hat dort kein Hitler etwas werden können und es ist niemand einem Hitler nachgelaufen. In Deutschland war der Boden da, auf dem das passieren konnte. Und für mich ist das eine Geschichte, die mich bis heute umtreibt, weil ich nicht weiß, wozu Menschen auch heute noch verführt werden können.“


Die Angeklagten haben ja die Zeit nach 1945 als normale Bürger, zum Teil sehr angesehene Bürger, erfolgreiche Bürger verbracht und waren doch Massenmörder. Welchen Eindruck haben die eigentlich im Gericht gemacht? Wie haben sie sich verhalten?

„Ja das war für mich in den ersten Tagen und Wochen das eigentlich Faszinierende, die Gesichter dieser 20 Leute immer wieder zu sehen. Ich hab anfangs versucht, in irgendeinem Gesicht irgendein Zeichen zu finden, dass das ein besonders brutaler Mensch ist, ein Sadist, ein Menschenverächter, der ohne Bedenken Jemanden umbringen kann. Aber das waren ganz normale Menschen. Das waren ganz normale Durchschnittsgesichter, ein Querschnitt durch die Gesellschaft. Da waren Akademiker, da waren Handwerker, ganz einfache Leute, die saßen da wie die Biedermänner und man hat ihnen nicht angesehen, wozu sie fähig gewesen sind.“


Haben Sie denn im Verlaufe des Prozesses so etwas wie Reue gezeigt oder vielleicht sogar Erschrecken über ihrer eigenen Taten?

„Nein, nicht ein einziger der Angeklagten hat Reue gezeigt oder gar Bedauern oder Mitleid mit den Opfern. Nicht ein einziger. Die haben alle jede Schuld und jede Verantwortung abgestritten. Der, ich hab mir die Sache noch mal angesehen, der Angeklagte Schuber beispielsweise der hat gesagt, ich hab mir nichts gedacht. In Auschwitz kam mir alles selbstverständlich vor. Oder der Angeklagte Kläher, der diese furchtbaren Mordaktionen mit der Vinylspritze durchgeführt hat, der sagt, ich machte meinen Dienst, mehr nicht. Oder ein andere, der hat gesagt, es wurde alles zur Kenntnis genommen, aus ohne Kommentar. Es hieß eben, die Juden sind an allem schuld. Das Denken nahmen uns andere ab. Das charakterisiert die Haltung all dieser Leute, die sich da verantworten mussten. Und schon einige Monate nach Beginn des Prozesses hat Fritz Bauer während eines Vortrages in der Universität in Frankfurt von einer „unbußfertigen Verschwörung des allgemeinen Nicht-Wissens“ gesprochen. Das hat ihn furchtbar aufgeregt und empört, weil er gedacht hat, dieser Prozess könnte dazu beitragen auch politisch etwas zu klären. Aber er hat damals schon gesagt: „Ob die Prozesse diese Aufgabe erfüllen können. Fragezeichen.“ Und dann hat er gesagt: „Da stock ich schon.“ Er hat schon gemerkt, dass mit den Mitteln eines normalen Strafprozesses die Wurzeln des Geschehens nicht bloß gelegt werden können.“


Hinter den Angeklagten standen, wenn man so will die Verteidiger. Wie haben denn die argumentiert? Wie haben die sich gegenüber ihren Mandanten und den Zeugen verhalten?

„Ja, die Verteidiger haben im westlichen darauf abgestellt, dass die Angeklagten eingebunden waren in ein großes, kompliziertes System, dass sie Befehlen gehorchen mussten, dass sie sich nicht dagegen wehren konnten, ohne sich selbst zu gefährden. Und gegenüber den Zeugen, gegenüber den Überlebenden von Auschwitz haben die Verteidiger mitunter einen Ton angeschlagen, der mich schockiert hat, weil ich immer gedacht habe, so kann man nicht mit Menschen umgehen, die so Schlimmes mitgemacht haben und so Schlimmes überlebt haben. Und was ich besonders bedrückend fand, war der Versuch der Verteidigung, das ganze Verfahren als eine Art von Verschwörung darzustellen, die von kommunistischen Häftlingen inszeniert worden ist. Dass die Verteidiger so etwas überhaupt dort ins Spiel gebracht haben, kann man nur verstehen, wenn man weiß, wie damals die gesamte politische Situation gewesen ist. Der Auschwitz-Prozess fand mitten im Kalten Krieg statt. Da war die kommunistische Partei schon seit Jahren verboten. Die größte Verfolgtenorganisation und Organisation von Widerstandskämpfern die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes war mit einem Verbotsantrag überzogen worden von einem Bundesinnenminister, der selber NSDAP-Mitglied gewesen ist. Das Verfahren ging dann vor das Bundesverwaltungsgericht und wer war der Gerichtsvorsitzende? Ein ehemaliges NSDAP-Mitglied. Ein Mann aber, der ganz anders entschieden hat, als die Bundesregierung sich das erhofft hatte. Der hat nämlich, als das Verfahren damals begann, die Bundesregierung gefragt, ob ein Verbot einer Organisation von Opfern des Nationalsozialismus sich mit dem Sühnegedanken des Grundgesetztes vertragen würde. Der Prozess wurde ausgesetzte und trotz des Drängens der Bundesregierung ist es nie mehr zu einem neuen Termin gekommen. Das Verfahren hat sich erledigt, als ein neues Vereinsgesetzt geschaffen wurde.“


Wie weit hat man den Zusammenhang zwischen Konzentrationslagern, Massenmord und Industrie thematisiert?

„Ja, das war ganz merkwürdig. Noch während der Einvernahme der Angeklagten tauchte immer wieder das Wort Selektionen auf. Ein sehr neutraler Begriff. Gemeint war damit die Aufteilung der angekommenen, zusammengetriebenen Juden in zwei große Gruppen: in Arbeitsfähige und Nichtarbeitsfähige. Nichtarbeitsfähig waren natürlich Alte und Gebrechliche, Kinder, Mütter von Säuglingen und so weiter und alle andren waren die Arbeitsfähigen. Die Nichtarbeitsfähigen wurden auf direktem Wege ins Gas geführt und dann war da noch die große Gruppe der Arbeitsfähigen. Ich hab mich dann immer wieder gefragt, warum kommt den niemand in diesem Prozess auf die Idee zu sagen: wofür hat man eigentlich in Auschwitz so viele arbeitsfähige Häftlinge gebraucht? Das war ja doch ein Konzentrations- und Vernichtungslager. Wozu braucht man da Arbeitsfähige. Und ich erinnere mich noch, ich hab während einer Verhandlungspause, während der ersten Prozessphase den Staatsanwalt Kügler, der war ungefähr in meinem Alter, angesprochen und habe ihm gesagt: „Herr Staatsanwalt, da hingen doch Betriebe dran.“ Mehr nicht. Die Verhandlung geht am Nachmittag weiter und es wird einer von den Angeklagten einvernommen und der Staatsanwalt fragt ihn dann: „Hingen da nicht Betriebe dran?“ Und da kam zum ersten Mal neben Krupp der Name IG Farben ins Spiel. Das hatte dann zur Folge, dass der Nebenklagevertreter Kaul beantrag hat, die noch lebenden, ehemaligen IG Farben-Direktoren als Zeugen zu vernehmen. Das ist dann auch erfolgt, aber die Herren hatten von irgendwelchen Missetaten in Auschwitz keine Ahnung, dabei wussten sie genau über das Zusammenspiel zwischen ihrem großen Konzern und der Waffen-SS, dass sie dort die Häftlinge als billige Arbeitskräfte eingesetzt haben, so lange wie sie noch arbeiten konnten und wenn sie nicht mehr arbeitsfähig waren, dann waren das Todeskandidaten.“


Was hat Sie denn am tiefsten berührt?

„Am tiefsten berührt hat mich immer wieder die Frage, wie es möglich war, dass Angehörige eines Kulturvolkes in der Mitte Europas sich zu so etwas hergegeben haben. Dass die das freiwillig mitgemacht haben. Das waren ja doch keine alltäglichen Dinge, die da passierten. Auschwitz, das waren ja nicht nur die Massenvergasungen, das waren die Erschießungen an der schwarzen Wand und das waren die Ermordungen mit der Vinylspritze direkt ins Herz. Was müssen das für Menschen gewesen sein, die das freiwillig mitgemacht haben, die wurden ja nicht gezwungen. Es stand ja nicht hinter den Peinigern noch ein anderer Peiniger, der den mit der Pistole bedroht hat und gesagt hat, wenn du den jetzt nicht erschlägst, erschieße ich dich. Das haben die alle freiwillig mit gemacht. Und das ist eigentlich der Gedanke und das Problem, was mich heute noch umtreibt, wie das möglich gewesen ist. Und ich kann mir das nur so erklären, dass die Menschen es mit einer Staatsführung zu tun hatten, die ihre eigenen Vorurteile bestätigt hat. Sie haben dort nicht nur den Willen der Staatsführung vollstreckt, sondern quasi auch ihren eigenen Willen. Das war ihre eigener Entschluss: die Juden müssen vernichtet werden. Und es gab ja neben den Juden noch eine zweite Gruppe von Menschen, die genauso als minderwertig angesehen wurden, das waren die Kommunisten. Der Angeklagte Kado hat mit stolzgeschwellter Brust erzählt, dass er den späteren, polnischen Ministerpräsidenten Zyan Chebitsch vor sich hatte. Wie er ihn geohrfeigt hat. Darauf war er noch stolz und hat gesagt: „Ich habe die Kommunisten immer gehasst.“


Ich verstehe Ihre These so, dass es sich dabei ja auch nicht um eine außergewöhnliche Generation, die so zu sagen aus der Geschichte rausfällt, handelt, sondern da etwas zum Ausdruck gekommen ist, was über Generationen sich entwickelt hat. Und deswegen die Frage, ja was ist dann mit den nachfolgenden Generationen? Wie viel haben die noch übernommen oder übernehmen die? Oder ist so was wie der Auschwitz-Prozess so etwas wie moralische Läuterung?

„Ich denke nicht, dass der Auschwitz-Prozess zu einer moralischen Läuterung geführt hat. Die Möglichkeit Menschen zu manipulieren und ihnen auch ein gewisses Denken zu suggerieren und einzupflanzen, diese Möglichkeit gibt es heute noch und die hat es in den Nachkriegsjahren auch wieder gegeben und zwar in einer sehr krassen Form. Ich will nur an ein Beispiel erinnern aus dem Jahr 1952, der Kalte Krieg natürlich auch schon voll im Gange. 1952 wurde zum ersten Mal bei einer Demonstration gegen die Wiederbewaffnung ein Demonstrant erschossen. Ein Demonstrant, der Steine geworfen hat, wurde von der Polizei erschossen. Es war ein Kommunist. Es hat keine einzige Zeitung in der Bundesrepublik diesem Vorgang einen Kommentar gewidmet, es gab den Abdruck von Agenturmeldungen und so renommierte Blätter wie der SPIEGEL und die ZEIT haben über diesen Vorgang keine einzige Zeile veröffentlicht. Das haben die Menschen hingenommen, so als sei, wäre ein Polizeihund erschossen worden. 15 Jahre später ist - und manche denken immer noch, das war der erste Demonstrationstote - Benno Ohnesorg in Berlin erschossen worden. Das hat ein ganz anders Echo in der Öffentlichkeit gehabt. Und da haben SPIEGEL und die ZEIT und wie sie alle geheißen haben, sehr, sehr viele Zeilen darüber geschrieben. Aber 1952 konnte so was noch passieren und die Menschen sind zur Tagesordnung über gegangen. Und ähnlich war es während des Jugoslawienkrieges. Es wurde damals in einer Art und Weise Einfluss genommen auf die Öffentlichkeit, die mich sehr stark erinnert hat an manches, was ich aus ganz früheren Zeiten kenne. Dass dort ein Verteidigungsminister sich hingestellt hat und behauptet hat, die Serben würden mit den abgeschnittenen Köpfen von Kosovoalbanern Fußball spielen, dass den Frauen die ungeborenen Kinder aus dem Leib geschnitten werden und dass die Föten gegrillt wurden. Dass das ein Verteidigungsminister noch zweimal vor der Presse zum Besten gegeben hat, hat mich daran erinnert, dass es mal Leute gegeben hat, die behauptet haben, die jüdischen Bolschewisten würden in Moskau zum Frühstück gebratene Kinder essen. Und es hat damals auch keinen Aufschrei gegeben, dass mit dieser Art der Propaganda eine Grenze überschritten worden ist ,die eigentlich nicht überschritten werden darf.“


Am Ende des Auschwitz-Prozesses standen sechs mal lebenslanges Zuchthaus, 11 begrenzte Freiheitsstrafen und drei Freisprüche. Das war ein ausgesprochen mildes Urteil, oder sehe ich das falsch?

„Ja, ich denke auch, dass es ein mildes Urteil gewesen ist, aber wir sollten den Richtern auch nicht Unrecht tun. Ich denken, dass sie nach besten Wissen und Gewissen entschieden haben und dass nach Lage der Dinge wohl andere Strafen nicht möglich gewesen sind. Und wie die Strafen auch immer ausgefallen wären und wenn 20 mal lebenslanges Zuchthaus verhängt worden wäre, auch diese Strafen hätten keine adäquate Sühne für das darstellen können, was es da zu sühnen galt.“


Fotos:
Kurt Nelhiebel zu Zeiten des Auschwitzprozesses © privat
Cover des Films © CV Films