Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) – „Bonn ist nicht Weimar“ lautete der Titel eines Buches, mit dem der Schweizer Journalist Fritz René Alemann die junge Bundesrepublik Deutschland 1956 gegen den Vorwurf verteidigte, sie zeige sich ungeachtet der Erfahrungen aus der Zeit der Weimarer Republik von 1918 bis 1933 zu nachsichtig gegenüber demokratiefeindlichen Bestrebungen.
Das galt insbesondere für die Justiz, in der ehemalige Diener des Unrechtsstaates ihrer alten Tätigkeit nachgingen: Linke verfolgen und gegenüber den Rechten möglichst beide Augen zudrücken.
Obwohl das Personal inzwischen gewechselt hat, gibt es immer wieder Entscheidungen von Richtern und Staatsanwälten, die von Milde und Nachsicht gegenüber rechten Hetzern gekennzeichnet sind. Ein exemplarisches Beispiel hat Klaus Philipp Mertens vor einigen Tagen an dieser Stelle geschildert. Danach wies die Staatsanwaltschaft in Limburg an der Lahn eine Strafanzeige gegen die Urheber eines Textes im Internet ab, der einen „kleinen Holocaust“ für den Schwarzen Block der autonomen Szene verlangt.
Mehrere Bürger hielten das für eine Verharmlosung des Massenmordes an den Juden und verlangten eine Bestrafung der Schuldigen wegen Volksverhetzung. Die Staatsanwaltschaft erwiderte: „Ohne Frage ist die Verwendung des Begriffes ‚kleiner Holocaust’ in Bezug auf Menschen eine sprachliche Entgleisung. Solche Entgleisungen stellen aber nicht zwangsläufig einen Straftatbestand dar.“ Paragraph 130 des Strafgesetzbuches stelle Volksverhetzung zwar unter Strafe, schütze im Wesentlichen aber Minderheiten vor grober Verunglimpfung. Der Schutz gelte aber nicht uneingeschränkt. Mit dieser Begründung folgte die Staatsanwaltschaft der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Anfang der 1980er Jahre verurteilte das Landgericht Würzburg einen 30 Jahre alten Vermessungstechniker wegen Volksverhetzung zu 26 Monaten Haft. Der Mann hatte Parolen wie „Ausländer raus“, „Juden raus“ und „Türken raus“ auf Häuserwände gesprüht. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil mit der Begründung auf, solche Parolen erfüllten nicht in jedem Fall den Tatbestand der Volksverhetzung. Er setze eine Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung voraus. Der Begriff der Aufforderung verlange eine bestimmte Erklärung an die Motivation anderer, die den Eindruck der Ernsthaftigkeit erwecke. Diese Auslegung liege vor dem geschichtlichen Hintergrund der nationalsozialistischen Judenverfolgung bei der Parole ‚Juden raus’ auf der Hand. Sie sei nicht ohne weiteres auf die anderen Äußerungen übertragbar. (AZ 3 StR-36/84).
Es dauerte etwa zehn Jahre, ehe der Bundesgerichtshof die Zügel etwas anzog. (1 StR 583/94). An seiner Milde gegenüber dem Missbrauch der Meinungsfreiheit durch rechte Hetzer hat sich aber grundsätzlich nichts geändert. 2004 machte das Bundesverfassungsgericht der NPD den Weg für eine Demonstration gegen den Bau einer Synagoge in Bochum mit folgender Begründung frei: „Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist ein Recht auch zum Schutz von Minderheiten; seine Ausübung darf nicht allgemein und ohne eine tatbestandliche Eingrenzung, die mit dem Schutzzweck des Grundrechts übereinstimmt, unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die geäußerten Meinungsinhalte herrschenden sozialen oder ethischen Auffassungen widersprechen, Beschränkungen der Meinungsfreiheit dürften nicht darauf gestützt werden, was in einer Versammlung möglicher Weise gesagt werden würde, sondern ob sich die Versammlungsteilnehmer gegenüber anderen Bürgern aggressiv und provokativ verhalten würden.“ (1BvQ 19/04).
Der Bremer Strafverteidiger Heinrich Hannover und seine inzwischen verstorbene Frau, die Historikerin Elisabeth Hannover-Drück, haben 1966 ein Buch mit dem Titel „Politische Justiz 1918-1933“ veröffentlicht. Gewidmet war es „Allen, die vergeblich für eine bessere Justiz gekämpft haben“. Das Buch erregte damals großes Aufsehen und sollte zur Pflichtlektüre aller Jurastudenten gehören. Karl Dietrich Bracher schrieb in einem Vorwort, die Justiz in der Weimarer Republik habe nicht nur am Scheitern dieser Republik mitgewirkt, sondern auch an ihrer Überwältigung durch autoritäre und totalitäre Bewegungen.
Nein, Bonn war nicht Weimar, aber Weimar ist auch nicht gestern.
Foto: Sehr selten: verurteilt © mimikame.at