tach erbkrankheitenNeues aus der GENETIK 

Refoel Guggenheim 

Zürich (Weltexpresso) - Dank neuer genetischer Technik ist es möglich, menschliche Stammzellen von einer genetischen Krankheit zu befreien und zu einem gesunden Embryo heranzuzüchten – was dieses Experiment gerade für jüdische Menschen bedeutet.

Am 2. August veröffentliche die renommierte Zeitschrift «Nature» einen Artikel, welcher in der Fachwelt und auch in der Laienpresse ein grosses Echo fand. In diesem Artikel wird beschrieben, wie mit einer neuartigen Gentechnik relativ einfach eine Krankheit verursa­chende Veränderung in Stammzellen (Mutation) durch ein gesundes Gen ersetzt werden konnte. Die Stammzellen wurden weiter entwickelt und es entstanden Embryonen, welche allesamt nur noch die gesunde genetische Information enthielten. Dies ist ein gros-ser Durchbruch im Rahmen der Anwendung dieser neuen gentechnischen Methode mit Namen CRISPR-CSR9. CRISPR steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats. Die Methode wurde bisher vor allem in der Pflanzen- und Tiergenetik angewandt, die Anwendung beim Menschen war technisch­ anspruchsvoller und ist auch mit ethischen Fragen verbunden. Mit diesem Erfolg ist man nun einen großen Schritt weiter. Zwar ist noch kein «genetisch korrigiertes» Kind ausgetragen worden, aber die Möglichkeit, betroffenen Paaren eine künstliche Befruchtung mit gleichzeitiger Gentherapie anzubieten, ist nur noch eine Frage der Zeit. Es bleibt also die Frage, wo unsere Gesellschaft in Bezug auf diese delikate Therapie steht und inwieweit ein ethisch vertretbarer Standard zu dessen Umsetzung besteht.


Das aktuelle Experiment

Das aktuelle Experiment wurden mit Spermien heterozygoter Träger einer Mutation im MYBCP3-Gen, welche zur Kardialen Hypertophie führt, durchgeführt. Die Krankheit wird durch eine Fehlfunktion der Herzmuskelzellen aufgrund eines falsch funktionierenden Proteins verursacht. Dies führt zu einer Veränderung des Herzmuskels, welcher zu einer starken Aktivitätseinschränkung und frühem Herztod führt. Diese Spermien wurden im Labor in gesunde Eizellen injiziert und gleichzeitig wurden eine CRISPR-Genschere und Reparaturenzym zugegeben. Mit dieser sogenannten Genschere konnten sie das fehlerhafte Gen im Rahmen dieser normalen ICSI-Prozedur (Intracytoplasmatische Spermieninjektion) aus dem Chromosom 11 herausschneiden und mittels des Reparaturenzyms (induzierte Dopperstrangbrüche-Enzym) ein gesundes Gen einfügen. Das gesunde Gen wurde dabei von der Zelle meistens von einem mütterlichen Chromosom­ übernommen und teilweise von einem künstlich zugefügten Gen.

Mit der im Artikel beschriebenen Methode entstanden fast durchwegs gesunde Embryos, welche im Rahmen einer künstlichen Befruchtung hätten bedenkenlos transferiert werden können – was aber nicht Teil dieser Arbeit war. Es wurden keine Veränderungen im übrigen Genom festgestellt. All dies ist ein bahnbrechender Erfolg, da bisher der Erfolg der Gentherapie – auch mittels CRISPR – nur auf wenige Embryos beschränkt war und es auch zu sogenannten Mosaikembryos kam, welche ein Gemisch von gesunden und kranken Zellen aufwiesen.­ Ebenso waren in früheren Experimenten Veränderungen an anderen Stellen im Genom festgestellt worden, was natürlich zu gefährlichen Schädigungen in der DNA und zu Entwicklung anderer Krankheiten führen kann. Die Autoren sehen daher diese Therapie als Möglichkeit für Paare, welche bekannte Träger einer genetischen homo- oder heterozygoten Krankheit sind, mittels Gentherapie und künstlicher Befruchtung gesunden Nachwuchs zu erzeugen.


Praktische und ethische Fragen

Die Frage, wie weit wir genetisch veränderte Organismen und Lebewesen in unserer Gesellschaft wünschen, wird schon lange diskutiert. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass erwartete Veränderungen, Verbesserungen­ oder auch Krankheitseinflüsse häufig nicht nur von einer einzigen Information im DNA-Strang abhängen. Vielmehr sind diese meistens Folge polygenetischer Veränderungen, epigenetischen Phänomene und einem direkten oder indirektem Einfluss der Umgebung auf den Organismus. Es ist wichtig zu unterscheiden zwischen einem «veränderten» und einem «geheilten» Organismus und Lebewesen. Bei ersterem versuchen wir, einen bereits gut beziehungsweise normal funktionierenden Organismus zu verändern. Dies durchwegs auch in guter Absicht, zum Beispiel zur Verbesserung der Resistenz von Pflanzen oder Tieren vor Krankheiten oder aber auch Verhinderung der Verbreitung krankmachender Organismen, wie zum Beispiel Mücken, welche Malaria, Dengue-Fieber oder die Zika-Krankheit übertragen. Bei einem «geheilten» Organismus hingegen gehen wir von einer Krankheit aus, an welcher der Organismus­ oder eben auch ein Mensch aufgrund seiner genetischen Information leiden wird. 

Viel ethische und auch praktische Sorgen bereitet vor allem die planmässige Veränderung von genetischer Information, gerade wenn diese Stammzellen betrifft und dadurch diese veränderte Information auch an weitere Generationen von Pflanzen, Tieren oder Menschen weitergegeben kann. Wir können dabei vielleicht auch in guter Absicht große Veränderungen auslösen, welche ganze Biosysteme beeinflussen können – zum Beispiel durch Ausmerzung von krankheitsauslösenden Mücken, welche dann zu einer Veränderung der Vogelwelt, Amphibien usw. führen kann. Ebenso können Veränderungen durchaus auch genetische Informationen betreffen, welche zum Beispiel nur lukrativ sind oder dem Idealbild einer Menschengruppe entsprechen – was durchaus als genetische Euthanasie bezeichnet werden kann. Gerade diese Bedenken führen dazu, dass grosse Vorsicht bei der Anwendung solcher Methoden geboten ist und weltweit politisch entschieden werden muss, was erlaubt und was verboten ist. Wie im Editorial in «Nature» besprochen, ist denn auch die therapeutische Anwendung genauestens zu kontrollieren, da die Methode bei weitem noch nicht ausgereift ist und es durchaus zu ungewünschten Veränderungen kommen kann, die wir noch gar nicht vermuten. Es ist aber sicher weder möglich noch sinnvoll, die Forschung oder die Methoden im Bereich des Gene Editing zu verbieten, da diese selber weder nützlich noch schädlich sind.


Das Thema aus jüdischer Sicht

König Salomo schreibt in Kohelet: «Mehr Wissen führt zu mehr Schmerz» – und deutet dabei an, dass mehr Wissen das Leben des Einzelnen nicht unbedingt glücklicher macht. Dies ist gerade bei Krankheiten der Fall, welche medizinisch nicht geheilt werden können oder auch bei einem Kranken, welcher die Schwere seiner Krankheit nicht realisiert. Aber die grundlegende Anforderung unser Wissen zu vermehren, um uns allen das Leben einfacher zu gestalten und auch um uns vor Krankheiten zu schützen, bleibt ein Imperativ aus jüdischer Sicht. Forschung an menschlichen Stammzellen und auch an Embryonen ist daher immer dann erlaubt, ja sogar gefordert, wenn es darum geht, mehr Einsicht in Krankheit und Therapie zu gewinnen. Eine befruchtete Eizelle und ein Embryo sind «potenzielle Lebewesen», das heisst, es kann daraus ein menschliches Wesen entstehen. Trotz seiner genetischen Einzigartigkeit ist dieser Embryo außerhalb des Mutterleibs nicht lebensfähig und daher noch kein Mensch, ja – weil mit normalem Auge nicht sichtbar –, gar kein halachisches Subjekt. Er darf daher problemlos vernichtet werden.

Experimente wie das oben beschriebene sind also aus halachischer Sicht erlaubt, ja sogar wünschenswert. Dies insbesondere bei Krankheiten wie Brustkrebs aufgrund einer Mutation im BRCA-1 und BRCA-2 Gen, welche bei aschkenasischen Juden gehäuft auftreten. Die (geplante) Anwendung einer künstlichen Befruchtung mit eigenem genetisch geheilten Embryo für betroffene Ehepaare ist ebenfalls aus Sicht der Halacha problemlos, wenn auch die genaue Umsetzung mit einem in der Thematik erfahrenen Rabbiner besprochen werden muss. Die Schwere der Situation für betroffene, häufig junge Ehepaare darf aber nicht unterschätzt werden – ist damit eine entsprechende Verhütung und eine Technisierung der Schwangerschaft verbunden. Es ist daher sinnvoll, genetische Träger von schweren Krankheiten schon vor einer allfälligen Heirat festzustellen oder eine gefährdete Verbindung gar nicht erst einzugehen. Dies ist zum Beispiel in der charedischen Welt der Schidduchim mit dem Dor Yeshorim Projekt weltweit möglich. 

Auch die Anwendung von Gene Edition im Umgang mit unserer Umwelt ist grundsätzlich erlaubt. Interessanterweise wird schon von Jakov berichtet, dass er einfache genetisch begründete Beobachtungen dazu benutzt hat, um die unfairen Vorgaben seines Schwiegervaters bezüglich seiner Schafzucht zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Grundsätzlich ist es aber in jüdischer genauso wie in der allgemeinen Ethik die Einstellung des Einzelnen, welche die Anwendung neuer Methoden zu einer «guten» oder «bösen» Sache macht. Gerade in unserer modernen, fragmentiert denkenden und auch handelnden Welt ist das Selbstbewusstsein jedes Einzelnen die Grundlage für verantwortungsvolles Handeln.

Foto: Nachdem eine Tochter der Familie aus den USA an einer Erbkrankheit verstorben war, bekam das Ehepaar Hindy Poupko und Seth Galena ein weiteres gesundes Kind, dessen Embryo im Vorfeld auf Krankheiten getestet worden war.© tachles

Info: 

Refoel Guggenheim ist als Kinderarzt am Triemlispital und in der Praxis tätig. Er beschäftigt sich mit jüdischer Medizinethik, hält dazu Vorträge an der Universität Zürich und leitet die International Conference on Jewish Medical Ethics JMEC Schweiz.

Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 11. August 2017








































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