Studie der Bertelsmann Stiftung zur Integration von Muslimen
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Die Integration von Deutschlands Muslimen ist viel besser als ihr Ruf“, sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), bei der Vorstellung einer Studie der Bertelsmann-Stiftung.
Diese Bewertung scheint einem Zweckoptimismus zu entspringen, der aber in der Untersuchung selbst verankert zu sein scheint. Die Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Integration von Muslimen der zweiten und dritten Generation unterscheidet, wenn man der Berichterstattung in den Medien folgt, nicht zwischen muslimischen Einwanderern, die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, und denen, die ihre (überwiegend) türkische beibehalten haben. Angesichts des Zahlverhältnisses von ca. 3,1 Millionen Deutsch-Türken zu 1,6 Millionen Türkisch-Deutschen muslimischen Glaubens erscheint mir das als ein schwerer methodischer Fehler. Vermutlich auch deswegen wartet die Studie mit Schlussfolgerungen auf, die sich häufig widersprechen.
Denn während darin behauptet wird, dass die Gesamtgruppe „spätestens seit der zweiten Generation mehrheitlich in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen“ sei, lässt sich diese Aussage mit der Gegenprobe (den diesbezüglichen Einschätzungen der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft) nicht beweisen. Immer noch will nach den Feststellungen der Bertelsmann-Stiftung jeder fünfte Deutsche keine Muslime als Nachbarn und insgesamt gehören Muslime zu den Bevölkerungsgruppen, die am stärksten abgelehnt werden. Über die Ursachen dieser nicht überwundenen Entfremdung wird nichts gesagt. Letzteres wäre jedoch das Alpha und Omega der Integration.
Auch die anderen Kernaussagen der Studie verbleiben zu stark im Ungefähren, da die Muslime als Einheit gesehen werden und nicht als eine religiöse Gruppe, die zu mindestens zwei Dritteln dem konservativen bis orthodoxen Flügel des Islams zuzurechnen ist. Deswegen sind Angaben, denen zufolge rund 60 Prozent in Vollzeit und 20 Prozent in Teilzeit arbeiten und sich diese Beschäftigungsquote nicht von derjenigen der eingeborenen deutschen Bevölkerung unterschiede, mit Fragezeichen zu versehen. Von wirklichem Aussagewert wäre das Ergebnis erst, fall eine Aufteilung nach muslimischen Deutsch-Türken und Türkisch-Deutschen in Korrelation zur Observanz des Glaubensbekenntnisses vorgenommen würde.
Der Hinweis, dass es für sehr religiöse Muslime nach wie vor schwieriger sei, eine Arbeit zu finden, deutet auf die Unzulänglichkeiten dieser Untersuchung hin und damit auf das Kardinalproblem der Integration.
Das zeigt sich auch im Vergleich des Bildungsstands zwischen Muslimen in Deutschland und in Frankreich. Hierzulande verliefe die Integration schleppender als im Nachbarland, haben die Forscher herausgefunden. Doch das verwundert eigentlich keinen, der sich einmal jenseits der Grenze bewegt hat. Die in Frankreich lebenden Einwanderer mit muslimischem Bekenntnis sind Nachfahren der Immigranten aus Algerien, Marokko und Tunesien. Sie sind mit der Sprache des neuen Heimatlands aufgewachsen, weil diese in den französischen Kolonien Nordafrikas die Verkehrssprache war. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu den Zuwanderern, die ab dem Ende der 50er Jahre aus der Türkei nach Deutschland kamen und unter schlechten Rahmenbedingungen Deutsch lernen mussten. Die erste Generation dieser Einwanderer hat es nur schlecht bis gar nicht gelernt. Diese Defizite haben noch in der dritten Generation Auswirkungen. Die Großeltern, nicht selten auch die Eltern, prägen in den Familien die Sprach- und Allgemeinbildungskompetenz. Je länger Schüler täglich in der Schule verweilen, umso mehr sind sie diesen Einflüssen entzogen und können sich ihrer Begabung gemäß entwickeln bzw. sich fördern lassen.
In Frankreich ist die Ganztagsschule die Regel, die Rahmenbedingungen sind also besser als in Deutschland; die Beherrschung der Landessprache schafft weitere Vorteile. Dennoch kann auch dort nach meinem Eindruck noch längst nicht von einer Integration der muslimischen Minderheit gesprochen werden. Das könnte an den Forderungen des Islams an den einzelnen Gläubigen sowie am tradierten Weltbild dieser Religion hinsichtlich Familie, Stellung der Frau, Stellenwert der Bildung und Demokratieverständnis liegen. Verstärkt wurde diese fehlgeschlagene oder nicht gewollte gesellschaftliche Emanzipation durch die Verbannung der Immigranten an die Ränder der Städte, was zu einer Ghettobildung mit gefährlichen Folgen führte.
Deswegen: Die Integration von religiösen Minderheiten in eine säkulare Mehrheitsgesellschaft gelingt dann, wenn Religion ausschließlich dem Privatbereich vorbehalten ist. Auch Katholiken und Protestanten haben das seit dem Zeitalter der Aufklärung gegen vielerlei Widerstände lernen müssen. Im 21. Jahrhundert würde eine Untersuchung über die Integration der Christen in Deutschland hinsichtlich Beschäftigung und Freizeitverhalten, möglichst nach Konfessionen getrennt, vor allem Heiterkeit hervorrufen. Und dies selbst in streng-katholischen und pietistisch-evangelischen Regionen.
„Nicht die Religion bestimmt über Integration, sondern wirtschaftliche, soziale und staatliche Rahmenbedingungen“, meinte Aydan Özoguz. Dem ist zuzustimmen. Aber erst, nachdem die Religion den Platz zugewiesen bekommen hat, der ihr gebührt. Und der ist nicht in der ersten Reihe.
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Bertelsmann-Studie - Integration von Muslimen. © Deutschlandfunk