Die Evangelische Kirche erhält den Negativpreis „Sprachpanscher“
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „godspot“ nennt die Evangelische Kirche ihr freies WLAN. Der „Verein Deutsche Sprache“ sieht darin eine Verhöhnung von Martin Luthers Wirken für eine einheitliche und ausdrucksvolle deutsche Sprache. Dessen Leistung, die häufig mit einem Ringen um jedes Wort einhergegangen sei, habe sich in seiner Bibelübersetzung niedergeschlagen, die auch heute noch als vorbildlich gelte.
Auch die interaktive Installation „BlessU-2“ der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau auf der Weltausstellung zum 500. Jahrestag der Reformation wurde wegen ihrer Spracharmut heftig kritisiert.
Die Evangelische Kirche tut sich schwer damit, ihre Predigt in der Mitte des normalen Lebens zu verankern, sodass sie als glaubwürdige Äußerung verstanden werden kann. Das gilt insbesondere dann, wenn sie allzu eilfertig und ohne kritische Prüfung auf neue technische Medien setzt. Denn jedes dieser Medien ist lediglich ein Transportvehikel, welches das Transportgut, nämlich die Inhalte der Verkündigung, nicht beeinträchtigen, gar verfälschen darf.
Ein Beispiel ist das seit 1954 von der ARD ausgestrahlte „Wort zum Sonntag“. In den Anfangsjahren war die Atmosphäre, die von den Sprechern vermittelt wurde, ähnlich kleinbürgerlich wie in den Wohnzimmern der Zuschauer, sodass man sich auf Augenhöhe begegnete. Eine erste Kehrtwende erfolgte im September 1977, als sich Pfarrer Jörg Zink von seinem vorbereiteten Manuskript abwandte und konkret die Entführung des Lufthansa-Flugzeugs „Landshut“ durch Palästinenser ansprach. Zwei Jahre später beklagte Zink die um sich greifende Umweltzerstörung und die Gefahren der Kernenergie, was ihm als Parteinahme für „Die Grünen“ angelastet wurde. Im Jahr 2000 wurde erstmals live von der Reeperbahn gesendet, wo die offizielle Party des Eurovision Song Contests stattfand. Allerdings hatte es die Pastorin Andrea Schneider schwer, sich gegen Stefan Raab und sein Publikum zu behaupten. Auch die Päpste Johannes Paul II und Benedikt VI nutzten die Sendung, um sich an Gläubige und Ungläubige zu wenden.
Dennoch vermochte das Medium Fernsehen (und mit ihm die zahlreichen Hörfunksendungen) den Mitgliederrückgang bei den Kirchen nicht aufzuhalten. Und selbst Unterhaltungsformate wie „Um Himmels willen“ haben nicht dazu geführt, die Nachwuchssorgen katholischer Frauenklöster zu beheben.
Radio, Fernsehen und mittlerweile das Internet sind neben Kirchenkanzel, Kirchentagen und den Printmedien weitere Orte der Predigt geworden. Deren Inhalt und Form aber müssen zwangsläufig den Glaubenszeugnissen der Kirche entsprechen. Und diese sind so vielfältig, dass man ihnen mit Vereinfachungen nicht gerecht wird. Selbst wenn man Niklas Luhmanns These, dass eine Funktion der Religion die Vereinfachung der Komplexität der Welt sei, zustimmt (was eigentlich unumgänglich ist), löst die Wahl des Mediums nicht das Grundproblem kirchlicher Verkündigung. Doch wer das völlig falsche Medium und eine völlig unangebrachte Sprache wählt, riskiert Verluste in der Anhängerschaft und gewinnt auf der anderen Seite nichts hinzu.
Die Bibel als wichtigste Bekenntnisschrift der Evangelischen ist in Zeitaltern entstanden, als Naturwissenschaften und Philosophie keinen, allenfalls einen nur geringen Einfluss auf das Leben der Menschen nehmen konnten; konkret auf die Zeit zwischen ca. 1.200 vor Christi und ca. 100 nach Christi in Kleinasien. Diese etwa vierzig Generationen führten ihre Existenz auf die Schöpfung durch einen geglaubten Gott zurück. Aus diesem Fürwahrhalten entwickelte sich allmählich eine geglaubte Vergangenheit, eine erhoffte Zukunft und eine auf jenen Gottesvorstellungen beruhende Ethik, die im Alten Testament und später im Neuen Testament Ausdruck fanden. Seither sind fast zweitausend Jahre einhergegangen; vor 500 Jahren fand in der Katholischen Kirche eine theologische Revolution statt, die von Martin Luther angestoßen wurde und die zu einer Kirchenspaltung führte. Luther ging es um die Rechtfertigung des sündigen Menschen vor Gott. Konnte der Mensch seinem Schicksal, der Verdammnis, durch gute Werke entgegen oder durfte er auf die Gnade Gottes vertrauen?
Seit der Aufklärung und zunehmend seit dem frühen 19. Jahrhundert wurde Gott selbst angezweifelt, eine kritische Leben-Jesu-Forschung betrieben (ihr Chronist war Albert Schweitzer) und sämtliche biblischen Zeugnisse einer historisch-kritischen Würdigung unterzogen. Ein reformierter Theologe, der Baseler Kirchenhistoriker Franz Overbeck, ein Freund Friedrich Nietzsches, gelangte am Ende des 19. Jahrhunderts zu der Überzeugung, dass christliche Theologie neu begründet werden müsste, andernfalls würde sie scheitern.
1966 veröffentlichte Heinz Zahrnt, ein evangelischer Theologie und Journalist (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt), eine Geschichte der protestantischen Theologie im 20. Jahrhundert: „Die Sache mit Gott“. Diese Darstellung versammelt die großen Namen dieser Wissenschaft, von Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer über Rudolf Bultmann und Ernst Käsemann hin zu Herbert Braun und Paul Tillich.
Spätestens seit diesem Zeitpunkt muss der Evangelischen Kirche bewusst sein, was sie in einer veränderten, nämlich modernen und weitgehend säkularisierten Welt zu verkündigen hat. Dies greift allein vom Umfang her über das hinaus, was beispielsweise einem Konfirmanden im zweijährigen Vorbereitungsunterricht üblicherweise vermittelt wird. Aber auch Studierende der Theologie haben mitunter erhebliche Probleme, diese Komplexität zusammen zu denken.
Vor diesem Hintergrund müssen Rückschritte in die Sprache von Bildungsfernen wie „godspot“ etc. als Kapitulation gewertet werden. Die Kirche schafft es intellektuell nicht, sich mit dem Zeitgeist auseinanderzusetzen und bedient sich stattdessen jener Sprachhülsen, die ihren Ursprung in der Manipulation von Konsumenten haben. Damit gibt sie zu, überflüssig zu sein und die „Sache mit Gott“ aufgegeben zu haben. Statt des alten Kirchenlieds „Sonne der Gerechtigkeit, / gehe auf zu unserer Zeit, / brich in deiner Kirche an, / dass die Welt es sehen kann, / erbarm‘ dich Herr“ sollte sie ehrlicherweise künftig singen: „Es rettet uns kein höheres Wesen, / kein Gott, kein Kaiser noch Tribun, / uns aus dem Elend zu erlösen, / das können wir nur selber tun.“
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godspot - kostenloses WLAN. © Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg