Matthias Küntzel
Hamburg (Weltexpresso) - Warum aber kann sich das iranische Regime erkühnen, auf so provokante Weise auf seine Verstöße gegen den Atomdeal aufmerksam zu machen? Und warum wird dies seitens der USA nur gedämpft, seitens der EU aber überhaupt nicht kritisiert?
Die Antwort auf beide Fragen dürfte mit der erheblich gestärkten Stellung Irans zu tun haben. Das Regime ist einerseits politisch gestärkt. Es hat die VR China und besonders Russland auf seine Seite gezogen und konzentriert seine diplomatischen Bemühungen auf das Ziel, die Kluft zwischen der EU und den USA , wie sie beim Atomdeal erneut sichtbar wird, zu vertiefen.
“Wenn die USA aus dem Abkommen ausstiegen“, erklärte Salehi, “aber Frankreich, Großbritannien, Russland, China und Deutschland daran festhielten, würden wir höchstwahrscheinlich mit ihnen weiterarbeiten.“[11] Mit diesem Lockangebot an die EU-Mächte heizt Teheran den transatlantischen Streit wirksam an: Für diese Spaltung des Westens nimmt Teheran offenkundig neue Nuklearsanktionen der USA in Kauf.
Dass Berlin bei dieser Spaltung mitspielen könnte, geht aus einer Empfehlung der Stiftung Wissenschaft und Politik, die die Bundesregierung berät, hervor: “Ziehen sich die USA von der Übereinkunft zurück, wäre die EU gefordert, politisch eigenständig aufzutreten und den JCPOA auch ohne die USA umzusetzen“, betonten sie im Juli 2017 in einem Bericht.[12]
Das islamistische Regime ist aber auch technologisch gestärkt. Es hat seit Abschluss des Atomdeals modernere Zentrifugen zur Urananreicherung entwickelt und seine Raketenforschung vorangetrieben. Dies macht seine Drohung, beim Scheitern des Abkommens nuklear aufzurüsten glaubwürdig.
Offenkundig setzt sich die ungute Dynamik, die schon die Verhandlungen des Atomdeals bestimmte, weiter fort: Protzerei bei den Iranern und Leisetreterei und Appeasement bei den Europäern.
Notwendig wäre ein koordiniertes Vorgehen des Westens, das die Schwächen des Nukleardeals nicht länger verschweigt und die iranischen Verstöße gegen das Abkommen skandalisiert; das sich auf den Tag X, dem Tag des Wegfalls der Nuklearbeschränkungen, vorbereitet und ansonsten den Gesamtkurs Irans attackiert: seinen Terror nach innen und außen, seine regionale Expansion, sein Bündnis mit Nordkorea, seine Grauzonen der Technologie. “Für die gesamte Welt ist der Zeitpunkt gekommen, uns in unseren Forderungen zu unterstützen, dass die iranische Regierung ihren Weg von Tod und Zerstörung verlassen muss“, hatte Trump vor den Vereinten Nationen erklärt. Wenn ihm die Welt – zumindest aber die Europäer! – in diesem einen Punkt folgten, gäbe es für die von Washington erwogene Aufkündigung des Abkommens keinen Grund.
Anmerkungen
[11] „Ihr habt mehr zu verlieren“, Interview mit Ali Akbar Salehi in: Der Spiegel 37/2017, 9. September, S. 106.
[12] Sascha Lohmann, Oliver Meier, Azadeh Zamirirad, Irans Atomprogramm: Washington und Brüssel auf Kollisionskurs, SWP-Aktuell Nr. 53, Juli 2017, S. 7.
Foto: © tagesschau.de
Info: Original erschienen in mena-watch am 21.9.2017
[11] „Ihr habt mehr zu verlieren“, Interview mit Ali Akbar Salehi in: Der Spiegel 37/2017, 9. September, S. 106.
[12] Sascha Lohmann, Oliver Meier, Azadeh Zamirirad, Irans Atomprogramm: Washington und Brüssel auf Kollisionskurs, SWP-Aktuell Nr. 53, Juli 2017, S. 7.
Foto: © tagesschau.de
Info: Original erschienen in mena-watch am 21.9.2017