p Sozialistische Phantasien am Frankfurter HimmelWie wollen SPD und Linke darauf reagieren?

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Dem neu gewählten Deutschen Bundestag gehören 93 Abgeordnete der AfD an plus Frauke Petry, die einstweilen fraktionslos sein wird. Ihr Mandat verdanken sie vor allem der seit zwei Jahren nicht aufgearbeiteten Flüchtlingsfrage.

Oskar Lafontaine, Mitbegründer der Linken und derzeit Fraktionsvorsitzender seiner Partei im saarländischen Landtag, beklagt vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Herausforderung das Abschneiden der Linken. Zwar habe es keine Einbußen gegeben, aber leider auch keine Zugewinne. Die politische Lage hätte jedoch Chancen für eine profilierte linke Partei hergeben müssen. Ein solches klares Profil sieht er bei der Parteiführung (namentlich Katja Kipping und Bernd Riexinger) nicht. Diese hätte sich nicht hinreichend der Flüchtlingsproblematik angenommen und deswegen auch die Interessen der Arbeiter und Arbeitslosen vernachlässigt. Lediglich 11 Prozent der Arbeitslosen hätten für die Linkspartei votiert, von den Arbeitern seien es nur 10 Prozent gewesen. „Eine linke Partei darf bei der Hilfe für Menschen in Not das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit nicht außer Kraft setzen“, schrieb er auf seiner Internetseite. Man habe zu wenig beachtet, dass die Flüchtlinge in Konkurrenz mit den sozial Schwachen träten – etwa um preiswerten Wohnraum. Katja Kippings sächsischer Landesverband habe mit 16,1 Prozent das schlechteste Resultat im Osten erreicht. Bernd Riexinger habe als baden-württembergischer Spitzenkandidat sogar nur 2,9 Prozent Zustimmung erhalten.

Tatsächlich scheinen die knapp eine Million Geflüchteten ein Verstärker gewesen zu sein für das Aufbrechen bislang eher latenter Vorurteile gegen Fremde. Der seit dem Herbst 2015 immer unübersehbarerer auftretende dumpfe Nationalismus sowie der sich immer unverschämter gebärdende Rassismus rechtsextremistischer Milieus hätten es erfordert, die Flüchtlingsfrage in ein zutreffendes politisches Deutungsmuster einzuordnen. Hier hätte die Stunde der Linken schlagen können, ja, sie hätte schlagen müssen. Stattdessen orientierte man sich an der oberflächlichen Moral der sozial Privilegierten, die selbst aber allenfalls ausnahmsweise zu Opfern bereit sind.

Die Flüchtlingsströme, die bis heute den Nahen und Mittleren Osten kennzeichnen und europäische Demokratien zu destabilisieren scheinen, sind vorrangig die Folgen des Irak-Kriegs von 2003. Dieser Angriff auf ein Land, das von Saddam Husseins autoritärer, aber vergleichsweise säkularer Herrschaftsclique regiert wurde, galt nach den Attentaten vom 11. September 2001 entgegen aller Erkenntnis und Vernunft als eine Schwachstelle bei der Sicherung der Erdölreserven. Die Diktatur selbst und deren permanente Verletzung der Menschenrechte hatte die „Koalition der Willigen“ hingegen nicht zu einem Eingreifen bewogen. Es galt vielmehr, die Gesetze des globalisierenden Kapitals durchzusetzen. Mit dem Niedergang des so viele Jahre konstanten Iraks verlor die gesamte Region an Stabilität. Und im selben Maße gingen die ohnehin geringen Aussichten auf demokratischen Wandel verloren. Der Krieg der USA und ihrer Verbündeten führte zu anhaltenden Bürgerkriegen im Irak selbst und in Syrien. Und im fernen Afghanistan wurde der bereits in den 70er Jahren vom amerikanischen CIA begonnene Stellvertreterkrieg (damals gegen die Sowjet Union gerichtet) fortgesetzt.

Die Menschen in den betroffenen Ländern versuchen seit Jahren, diesem Inferno zu entfliehen. Die meisten finden in westlichen Nachbarländern Unterkünfte - allerdings unter schlechtesten und vielfach menschenunwürdigen Bedingungen. Doch seit zwei Jahren geht dieser Fluchtzug in Richtung Europa und in Richtung Deutschland. Die Territorien des Wohlstands, die direkt und indirekt in den Wind des globalisierenden Kapitals gesät haben, ernten nunmehr den Sturm einer mit verschuldeten Katastrophe.

Doch die einheimischen Vollstrecker des Kapitalismus setzen der Dreistigkeit noch eine Krone auf. Sie rufen die gesamte Gesellschaft in die Verantwortung für die Geflüchteten. Das muss geradezu das Misstrauen der weniger Privilegierten sowie aller, die von sozialen Abstiegsängsten bedrängt werden, hervorrufen. Da diese weder bei der SPD noch bei der Linken hinreichend Gehör finden, gehen sie in großem Maß den Rattenfängern von rechts auf den Leim. Die verstärken die Befürchtung, dass die gesamte Bundesrepublik eines nicht fernen Tages so aussehen wird wie heute manche Städte im Ruhrgebiet: Wie Regionen der Armut, in direkter Nachbarschaft zu türkisch-islamischen Ghettos. In diesem Bundesland versagt die SPD seit vierzig Jahren und hat erst bei den letzten Landtagswahlen dafür die Quittung bekommen. Und ihrem Linksableger, der Linkspartei, traut man auch nicht zu, die Verhältnisse entscheidend zu verbessern. Die zwar charmante, aber politisch naiv wirkende Katja Kipping erscheint allen, die auf Befreiung hoffen, nicht als die Jeanne d’Arc des Sozialismus. Eher schon Sahra Wagenknecht, aber die musste sich während des Wahlkampfs der Parteidisziplin beugen.

Die in Deutschland gestrandeten Flüchtlinge bedürfen der Hilfe, sollten auch die Chance zur Integration erhalten, was ihnen viele Zugeständnisse an die Kultur des Landes abverlangen wird. Zuallererst aber sind die Hauptstädte des Kapitals aufgerufen, die Menschen unterzubringen - und dies nicht zu Lasten derer, die verzweifelt nach bezahlbaren Wohnungen suchen. Die Luxuswohnungen, die beispielsweise in Frankfurt aus dem Boden und in den Himmel schießen, böten für die nächsten dreißig Jahre Platz für alle. Der neue Henningerturm, das Europa-Viertel, der Westhafen und andere Domänen von FDP- und CDU-Wählern. Es ist Zeit für eine Bodenreform; machen wir in Mainhattan den Anfang. Vielleicht erweisen sich die Linke und die von der Wahlniederlage aufgescheuchte SPD als Motoren einer neuen Entwicklung. AfD und ihre fünften Kolonnen werden sich dann alsbald selbst auflösen, weil mit dem Einzug gerechter Verhältnisse sich zwangsläufig die Dummheit in Luft auflöst.

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