Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Bremen (Weltexpresso) - Einen „Roman unter feinen Leuten“ nannte Heinrich Mann eines seiner ersten Werke mit dem Titel „Im Schlaraffenland“. Es beschreibt mit ätzender Schärfe den Berliner Kulturbetrieb und die dekadente Schickeria der 1890er Jahre. Seither scheint sich nicht viel geändert zu haben am Umgang der feinen Leute miteinander.
„Ab morgen kriegen sie in die Fresse“, sagte die Sozialdemokratin Andrea Nahles nach der Wahlniederlage vom 24. September 2017als Noch-Ministerin am Rande einer Kabinettssitzung an die Adresse ihrer bisherigen Koalitionspartner gerichtet. Der CDU-Politiker und Chef des Bundeskanzleramtes Ronald Pofalla sagte im September 2011 an die Adresse seines Parteifreundes Wolfgang Bosbach gerichtet nach einem Streit über den Euro-Rettungsschirm: „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“.
Das war aber nicht alles. Als Bosbach erwiderte: „Ronald, guck bitte mal ins Grundgesetz, das ist für mich eine Gewissenfrage“, blaffte Pofalla zurück: „Lass mich mit so einer Scheiße in Ruhe.“ (Rheinische Post, 26. August 2016.) Ob er damit das Grundgesetz gemeint hat oder die Gewissensängste des Abgeordneten Bosbach spielt keine Rolle. Aus seinen Worten spricht eine Haltung, die ihn nach den Kriterien des Radikalenerlasses von 1972 als für den öffentlichen Dienst ungeeignet erscheinen lassen musste. Ronald Pofalla, der inzwischen Vorstandsmitglied bei der Bahn AG ist, entschuldigte sich anschließend bei Bosbach, der die Entschuldigung annahm. Auch Andrea Nahles bedauerte im Nachhinein ihre Äußerung, über die die Umstehenden übrigens herzlich gelacht hätten.
So geht das zu bei den „feinen Leuten“. Der Volksmund hat dafür eine bekannte Redensart. Inhaltlich sagt der Spruch von Andrea Nahles nichts aus über die Politik, die ihr als Vorsitzende der SPD-Fraktion und Oppositionsführerin vorschwebt. Dazu äußerte sie sich später gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel, ohne allerdings die Gemüter damit ähnlich aufzuscheuchen, wie mit ihrem „In-die-Fresse“-Spruch. Selbstkritische Töne aus den Reihen der SPD sind keine Seltenheit, ein Kurswechsel hat sich daraus jedoch niemals ergeben. Warten wir’s ab.
Andrea Nahles forderte ihre Partei und die SPD-Fraktion in dem erwähnten Interview auf, nach der Wahlniederlage programmatisch fundamental neue Wege zu gehen und eine deutliche Kapitalismuskritik nicht zu scheuen. „Wir haben es versäumt, die negativen Seiten der Globalisierung zu thematisieren“, sagte sie. „Die SPD muss wieder lernen, den Kapitalismus zu verstehen und, wo nötig, scharf zu kritisieren.“ Wenn ihre Partei in vier Jahren wieder ums Kanzleramt kämpfen wolle, müsse sie sich mehr zumuten und die eigene Programmatik kritischer in Frage stellen, als sie das je gemacht habe in den vergangenen 20 Jahren. Wie soll das mit Martin Schulz an der Parteispitze gehen? Und ohne Karl Marx. Aber vielleicht hilft ja ein Rückgriff auf Thomas Morus, der vor mehr als 500 Jahren Folgendes schrieb:
„Wenn ich daher alle die Staaten, welche heutzutage in Blüte stehen, durchnehme und betrachte, so sehe ich, so wahr mir Gott helfe, in ihnen nichts Anderes als eine Art Verschwörung der Reichen, die unter dem Deckmantel und Vorwande des Staatsinteresses lediglich für ihren eigenen Vorteil sorgen, und sie denken alle möglichen Arten und Weisen und Kniffe aus, wie sie das, was sie mit üblen Künsten zusammengerafft haben, erstens ohne Furcht es zu verlieren, behalten, sodann wie sie Arbeit aller Armen um so wenig Entgelt als möglich sich verschaffen mögen, um sie auszunutzen.“
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