a kohlAnmerkungen zum Wahlerfolg der AfD, Teil 4/4

Matthias Küntzel

Hamburg (Weltexpresso) - Trotz der Zugeständnisse, die die politische und mediale Elite Anfang der Neunzigerjahre dem rassistischen Mob machte, gewahrte man ihm gegenüber strikte Distanz und dämmte mit einer Mischung aus Asylrecht-Verschärfung und Anti-Nazimaßnahmen die Hass-Welle ein. In den Folgejahren kamen Politiker, die mit geschichtsrevisionistische Thesen aufwarteten, nicht durch.

Ein prominentes Beispiel ist damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann, der, um das nationale Selbstbewusstsein zu stärken, die Bezeichnung “Tätervolk“ für die Deutschen zurückwies und in einer antisemitischen Rede die Juden wegen ihrer vermeintlichen Rolle im Bolschewismus als “Tätervolk“ abstempelte. Hohmann musste im November 2003 kurz nach Bekanntwerden seiner Rede die CDU/CSU-Fraktion und wenige Wochen später auch die CDU verlassen.[12]

Nun aber, 14 Jahre später, zog er als AfD-Abgeordneter wieder in den Bundestag ein – und mit ihm zahlreiche weitere Politiker, die auf einen neuen Umgang mit der Geschichte drängen. So stellte Gauland schon am ersten Tag nach der Wahl den bislang parteiübergreifenden Konsens, wonach die Sicherheit Israels Bestandteil deutscher Staatsräson sei, infrage.

Es wird sie wohl geben, die Politiker der AfD, die einen Helmut Kohl mehr als einen Alexander Gauland schätzen. Parteiintern haben jedoch die Verfechter eines knallharten völkischen Nationalismus die Nase vorn. Dem Wahlerfolg ging nicht nur ein Sieg des radikalen Parteiflügels über die etwas Moderateren voraus, sondern auch der gezielte Einsatz von Nazi-Rhetorik als Testballon. Das Experiment funktionierte. Die Wählerinnen und Wähler haben den Nazi-Jargon nicht abgestraft, sondern belohnt.

Von “Normalisierung“ kann somit keine Rede sein. Mit dem Einzug der AfD erhält der nationalistische Mob einen parlamentarischen Arm; plötzlich ziehen Geschichtsrevisionisten und Antisemiten in den Bundestag ein. Mit dem vergangenheitspolitischen Konsens, den die bisher im Bundestag vertretenen Parteien teilten, ist es vorbei; dieser “Konsens der Demokraten“ ist aufgemischt, die Elite gespalten.

Die Masse deutscher Krypto-Nazis wird darin eine Ermutigung wenn nicht gar ein Fanal sehen. Nationalisten und Geschichtsrevisionisten spüren den Aufwind; die Gaulands und Höckes werden die außerparlamentarische Mobilisierung dieser “Bewegung“ zu nutzen wissen. Weil es für die Umdeutung der Geschichte eine Massenbasis gibt, dürfte sich die Hoffnung auf eine Kurzlebigkeit der AfD als Illusion erweisen.

Die Blicke auf dunkelhäutige Menschen und das Gesprächsklima an Stammtischen, Kantinen und Arbeitsplätzen werden sich verändern. Die Grenzen des Sagbaren werden sich verschieben und Opportunisten den neuen Jargon adaptieren. Im Kleinen wie im Großen wird der Kampf um die Herrschaft über die Diskurse entbrennen, also darüber, wer wen zwingen kann, politische Aussagen moralisch zu legitimieren.

“Diese Wahl ist ein Wendepunkt“, warnte Roger Cohen in der New York Times. “Tabus sind gefallen. Deutschland wird böser und turbulenter werden.“


Anmerkungen

[12] Berthold Kohler, Der Fall Hohmann, in: FAZ, 12. November 2003.


Foto: 
Das ist wirklich der Erwähnung wert. Als wir für diese bilderlose Artikelfolge von Matthias Küntzel Fotos suchten und auf keinen Fall die von AfDlern wollten, gaben wir als Stichwort bei google: Geschichtsvergessenheit ein. Und was fanden wir? Fritz Bauer, den Hessischen Generalstaatsanwalt! Und zwar deshalb, weil wir über ihn mit der Überschrift 'Geschichtsvergessenheit' einen Artikel geschrieben hatten. Wir drucken also hier ein zweites Mal unser eigenes Foto ab, das von ©CV-Films stammt und dem Film FRITZ BAUER - TOD AUF RATEN