Matthias Küntzel
Hamburg (Weltexpresso) - Am 2. Februar 1997 hatte der damals sehr bekannte Schauspieler und Entertainer Harald Juhnke im volltrunkenen Zustand in einer Bar in Los Angeles einen schwarzen Hotelwachmann als “dreckigen Nigger“ beschimpft, was in die Kategorie des normalen Rassismus fällt.
Dann aber fügte Juhnke dieser Beschimpfung eine Drohung hinzu, die diese Kategorie überschritt: Er prahlte damit, dass “Menschen, wie dieser Nigger im Dritten Reich vergast wurden.“[9]
Hier brach sich eine Spezifik des Unbewussten Bahn, die bei Angehörigen anderer Nationen nicht zu erwarten ist. Rassismus gibt es weltweit, doch der Spruch “Leute wie dich hätte Hitler vergast!“ rutscht vornehmlich Deutschen heraus.
Wer auch immer so redet oder denkt sieht im millionenfachen Mord der Nazis keinen Gegenstand der Empörung, sondern eine verschüttete Quelle von Macht und Kraft; eine Quelle, die sich in nervösen Momenten einen Durchbruch zur Oberfläche verschafft. Diese Machtphantasie, das Wissen um die Tatsache, dass früher “wir Deutschen“ mit „Untermenschen“ nach Belieben verfahren konnten, dürfte bei rassistischen Exzessen auch heute noch eines der Antriebsmomente sein.
Anfang der Neunzigerjahre, als dieses Land von einer Rassismuswelle in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und anderswo überrollt wurde, kennzeichnete der Rechtsextremismusforscher Eberhard Seidel das Spezifikum dieses Rassismus wie folgt:
“Was sich im Moment in den Straßen Hoyerswerdas, Magdeburgs, Schwedts, Eberswaldes und Dresdens abspielt, ist Prä-Faschismus, der aus der Tiefe des gesellschaftlichen Kerns kommt – organisiert, geplant und wohlüberlegt. Die marodierenden rechten Schläger und Mörder verfolgen die Politik der SA-Truppen der zwanziger Jahre – getragen von einer Woge der Sympathie und des Applauses barbarisierter, zur Demokratie unfähiger Kleinbürger. ... Diese gesellschaftliche Akzeptanz der ,Sturmtruppen für Doitschland‘ sind die eigentliche Brisanz. ... Deutschland knüpft an eine Ideologie des völkischen Rassismus an, der tief in der Geschichte wurzelt. ... Deutschland wird von seiner unbewältigten Geschichte eingeholt.“[10]
Faschistoide Anteile des deutschen Rassismus traten auch während der jüngsten Flüchtlingskrise zutage. Von Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünften, die den Tod von Menschen in Kauf nehmen, wenn nicht gar intendieren, hat man bislang aus anderen EU-Staaten wenig oder gar nichts gehört, obwohl auch in Ländern wie Großbritannien oder Italien der Rassismus grassiert. Quantitativ scheint Deutschland in dieser Hinsicht EU-Führer zu sein; selbst in Österreich, hat es bislang weitaus weniger Gewaltdelikte gegeben.
2014 wurden in Deutschland nach Angaben des Bundeskriminalamtes 199 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte durchgeführt; darunter waren 28 Gewaltdelikte, also Angriffe, bei denen auch Menschen verletzt oder getötet wurden, sechs davon in Form von Brandstiftungen. 2015 vervielfachten sich diese Zahlen: Es gab 1031 Angriffe auf Flüchtlingsheime, darunter 173 Gewaltdelikte und 92 Brandstiftungen. 2016 reduzierte sich die Zahl der ankommenden Flüchtlinge zwar auf ein Drittel, doch blieb die Menge der Attacken beinahe gleich: 921, darunter 152 Gewaltdelikte und 66 Brandstiftungen.
Als Täter wurden Männer im Alter von 18 bis 35 identifiziert. Zweidrittel von ihnen stammten aus dem Ort, in dem die Tat begangen wurde. Sie hatten mit rechtsradikalen Strukturen, so das BKA, nichts zu tun. Bekannt wurde der Fall eines Finanzbeamten und Familienvaters aus Schleswig-Holstein, der ein Flüchtlingsheim mit der Begründung anzündete, es hätte „die Idylle beeinträchtigt“.[11]
Hier wird ein Zusammenhang zwischen Geschichtsrevision und Rassismus evident: Erst wenn wir stolz auf den deutschen Landser im Zweiten Weltkrieg sein dürfen, können wir auch stolz auf jene sein, die erneut die Sau rauslassen, um der Forderung “Deutschland den Deutschen“ Geltung zu verschaffen – holen wir doch auf diese Weise, so Gauland „nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurück.“
FORTSETZUNG FOLGT
Anmerkungen
[9] AP, Kein Ermittlungsverfahren gegen Harald Juhnke, in: FAZ, 3. Juni 1997.
[10] Eberhard Seidel-Pielen, Menetekel Hoyerswerda, in: taz, 23. September 1991.
[11] Jörg Diel, BKA zählt mehr als tausend Attacken auf Flüchtlingsheime, in: Spiegel-Online, 28. Januar 2016 sowie Philip Kuhn, Fast 1000 Anschläge auf Flüchtlingsheime im Jahr 2016, in: Spiegel-Online, 28. Dezember 2016.
Foto: Harald Juhnke ©