Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Wie es dazu kommen konnte, dass manche das Wort Heimat nur mit herabgezogenen Mundwinkeln benutzen, darüber lässt sich trefflich streiten. Zum Teil liegt es wohl daran, dass das Wort Heimat zu oft missbraucht worden ist für Zwecke, die mit Heimat wenig zu tun hatten, dafür umso mehr mit Machtstreben und Profitsucht, mit Landraub und Krieg.
Dem setzten die Vorkämpfer eines friedlichen Zusammenlebens des Völker ihr unsterbliches „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“ entgegen. Sie fühlten international. „Vaterlandslose Gesellen“ wurden sie deswegen gescholten. Jetzt hat Frank-Walter Steinmeier, Sohn eines Tischlers und einer Fabrikarbeiterin, dazu aufgerufen, den Begriff Heimat nicht denen zu überlassen, die darunter nur „Blut und Boden“ verstünden.
Der Bundespräsident sagte das wenige Tage, nachdem erstmals eine politische Gruppierung in den Deutschen Bundestag gewählt worden war, die die Angst vieler Menschen vor der Zukunft gegen die gewählten Vertreter des Volkes ausspielt und als Schlagwerkzeug gegen demokratische Institutionen benutzt. „Wir werden uns unser Land und unser Volks zurückholen“, tönte der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland am Wahlabend des 24. September 2017, ohne zu sagen, in wessen Besitz er das Land derzeit wähnt, also von wem und mit welchen Mitteln er es zurückholen will. Dachte der Bundespräsident auch an ihn, als er sagte, nicht alle, die sich von den etablierten Parteien abgewendet hätten, seien Feinde der Demokratie? Viele schauen nach den Worten des Bundespräsidenten „mit Fragen, mit Sorgen, mit Verunsicherung auf die innere Einheit unseres Landes.“ Höre man Steinmeier zu, war am 4. Oktober im Berliner „Tagesspiegel“ zu lesen, dann heiße das aber auch, die Abgeordneten der Alternative für Deutschland, die jetzt ihren Platz im Bundestag einnehmen werden, nicht von vornherein auszugrenzen, sondern ihre Argumente zu hören, wenn es darum gehe, wie viele Zuwanderer die Deutschen in ihr Land lassen wollen.
Steinmeier forderte einen ehrlichen Umgang mit diesem Thema. Notwendig seien legale Zugänge, Steuerung und Kontrolle. Dann könne auch die Polarisierung der Debatte überwunden werden. Aus historischen Gründen garantiere das deutsche Grundgesetz den Schutz vor politischer Verfolgung. „Doch wir werden den politisch Verfolgten nur dann auch in Zukunft gerecht werden können, wenn wir die Unterscheidung darüber zurückgewinnen, wer politisch verfolgt oder auf der Flucht vor Armut ist.“
Damit hat der Bundespräsident ein entscheidendes Problem angesprochen, ohne dessen Lösung den dumpfen Parolen der Rechtspopulisten nicht paroli geboten werden kann. Nur so kann der Missbrauch des Begriffs Heimat verhindert und Rattenfängern von rechts außen das Wasser abgegraben werden. „Es ist ja nicht so, dass jene, die sich ‚national’ nennen und nichts sind als bürgerlich-militaristisch, dieses Land und diese Sprache für sich gepachtet haben“, schrieb Kurt Tucholsky 1929 in einem Aufsatz mit dem schlichten Titel „Heimat“. Weiter heißt es darin:
„Und so widerwärtig mir jene sind, die – umgekehrte Nationalisten – nun überhaupt nichts mehr Gutes an diesem Land lassen, kein gutes Haar, keinen Wald, keinen Himmel, keine Welle – so scharf verwahren wir uns dagegen, nun etwa ins Vaterländische umzufallen. Wir pfeifen auf die Fahnen – aber wir lieben dieses Land. Und so wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln – mit dem gleichen Recht, mit genau demselben Recht nehmen wir, wir, die wir hier geboren sind, wir, die wir besser deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel – mit genau demselben Recht nehmen wir Fluss und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese: Es ist unser Land. Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen – weil wir es lieben. Man hat uns zu berücksichtigen, wenn man von Deutschland spricht, uns: Kommunisten, junge Sozialisten, Pazifisten, Freiheitsliebende aller Grade; man hat uns mitzudenken, wenn ‚Deutschland’ gedacht wird . . .Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir.
Und in allen Gegensätzen steht – unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Leierkästen, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert – die stille Liebe zu unserer Heimat“.
„Und so widerwärtig mir jene sind, die – umgekehrte Nationalisten – nun überhaupt nichts mehr Gutes an diesem Land lassen, kein gutes Haar, keinen Wald, keinen Himmel, keine Welle – so scharf verwahren wir uns dagegen, nun etwa ins Vaterländische umzufallen. Wir pfeifen auf die Fahnen – aber wir lieben dieses Land. Und so wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln – mit dem gleichen Recht, mit genau demselben Recht nehmen wir, wir, die wir hier geboren sind, wir, die wir besser deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel – mit genau demselben Recht nehmen wir Fluss und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese: Es ist unser Land. Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen – weil wir es lieben. Man hat uns zu berücksichtigen, wenn man von Deutschland spricht, uns: Kommunisten, junge Sozialisten, Pazifisten, Freiheitsliebende aller Grade; man hat uns mitzudenken, wenn ‚Deutschland’ gedacht wird . . .Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir.
Und in allen Gegensätzen steht – unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Leierkästen, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert – die stille Liebe zu unserer Heimat“.
Fotos:
Kurt Tucholsky © kurt-tucholsky-gesamtschule.de
Frank-Walter Steinmeier © spdfraktion.de
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