kpm Scholz SchulzFalls die SPD endgültig untergehen möchte

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Olaf Scholz würde sich gut zum SPD-Vorsitzenden eignen.

Er repräsentiert die aktuell tonangebenden Kreise der Sozialdemokratie, welche den Kapitalismus nicht infrage stellen. Stattdessen fordern sie lediglich eine bescheidene Teilhabe ein (z.B. Tariflöhne) für jene, die kein Eigentum an Produktionsmitteln besitzen, über kein nennenswertes Kapital verfügen und folglich nichts mitentscheiden können. Mithin eine Politik für ca. 90 Prozent der Bevölkerung, die sich an den Interessen der Reichen und Vermögenden orientiert. Letztere optieren zum Dank für CDU und FDP. Aber diese SPD-Arithmetik hat seit 1914 Tradition.

An Scholz‘ Seite stehen Gewerkschafter, Betriebsratsvorsitzende und nach Anerkennung schmachtende Bezirks- und Landesvorsitzende, die um der Sicherung der herrschenden Verhältnisse willen an fossilen Energieträgern festhalten, Umweltverträglichkeitsprüfungen bei (vermeintlich) neuen Technologien (z.B. bei der Elektromobilität) ablehnen und einseitig auf quantitatives Wachstum setzen. Zu Wahlkampfzeiten beschwören sie medienwirksam die Solidarität mit den Beziehern kleiner Einkommen (z.B. Krankenschwestern), sorgen jedoch nicht für gerechtere Zustände, sondern verweisen stolz auf die Einführung eines die Altersarmut garantierenden Mindestlohns. Bei der Reduzierung der gesetzlichen Altersrente folgten sie dem, was ihnen die Lobbyisten der Finanz- und Versicherungswirtschaft einflüsterten. Auch die in weiten Teilen dilettantische Gesundheitspolitik erweist sich als eine Verbeugung der SPD vor den kommerziellen Interessen von Pharma- und Krankenhauskonzernen.

Parteiintern orientieren sich diese Netzwerker und Seeheimer (oder wie sie sich sonst noch nennen mögen) an ihren Vorbildern in der Wirtschaft. Sie schachern um Positionen und Pöstchen, sind erklärte Feinde der linken Intelligenz und verabscheuen politische Visionen (wie seinerzeit Helmut Schmidt). Letzteres erklärt auch ihre Distanz zu Bildung und Kultur. Ihre Parteizentrale in Berlin haben sie nach Willy Brandt benannt, obwohl sie diesen 1974 im Stich ließen. Dieses sozialdemokratische Mittelmaß wird von Männern dominiert. Die überschaubare Schar der Alibi-Frauen ist von ähnlichem Zuschnitt. Selbst die Jüngeren vermitteln häufig den Eindruck, bereits frühvergreist zu sein. Für sie alle wäre Olaf Scholz der ideale Vorsitzende.

Und Martin Schulz? Im März dieses Jahres wurde er mit hundert Prozent Zustimmung zum Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten gewählt. Als er mehr Gerechtigkeit einforderte, stiegen die Quoten der SPD auf deutlich über 30 Prozent. Doch dann folgte nichts Inhaltliches mehr. Mutmaßlich haben ihm die tatsächlich Mächtigen in der Partei (auch Parteifreunde genannt) geraten, den Begriff Gerechtigkeit nicht zu konkretisieren. Denn das hätte mindestens die Infragestellung der Agenda 2010 sowie ihrer Protagonisten bedeutet. Nach der verlorenen Bundestagswahl sprach sich Schulz ohne Wenn und Aber für den Schritt der SPD in die Opposition aus. Das klang nach Mut zum Neuen. Hierzu passten Äußerungen, in denen er die Notwendigkeit zur Kapitalismuskritik beschwor. Aber bereits seine ersten Personalentscheidungen riefen Irritationen hervor.

Denn die zur Fraktionsvorsitzenden nominierte Andrea Nahles hatte es als Bundesarbeitsministerin nicht geschafft, die selbstherrlich agierende Bundesanstalt für Arbeit an die Kette zu legen. Auch hatte sie noch nicht einmal versucht, die in manipulativer Absicht erfolgte Kategorisierung der Arbeitsuchenden endlich transparent zu machen bzw. durch ein neues System zu ersetzen, das die Realitäten einschließlich der tatsächlichen Zahlen nicht länger verschleiert. Auch Nahles‘ Tarifeinheitsgesetz ist ein ungerechtfertigtes Entgegenkommen gegenüber den Arbeitgebern und es verkennt die wachsende Bedeutung der Spartengewerkschaften in einer Arbeitswelt, die zunehmend von Spezialisten geprägt ist.

Ebenso kann Schulz‘ Vorschlag nicht überzeugen, den nicht durch systemkritische Ideen aufgefallenen Lars Klingbeil auf dem anstehenden Parteitag zum Generalsekretär wählen zu lassen. Denn wie will er eine linke oder zumindest nach links offene Ausrichtung der Partei in Gang setzen, wenn er unbewegliche und konservative Leute an seiner Seite hat?
Auf der ersten Regionalkonferenz in Hamburg hat Martin Schulz seinen Kontrahenten Scholz für dessen Strategiepapier zur künftigen Ausrichtung der Sozialdemokraten sogar gelobt. Wie kaputt muss man sein, wenn man einen in provokativer Absicht hingeworfenen Fehdehandschuh nicht mit einer Standpauke beantwortet, die das gesamte Land erschüttern müsste?

Ist Martin Schulz erneut dem Fehler verfallen, sein Umfeld nicht hinreichend analysiert zu haben? Schließlich bedarf er dringend einer Hausmacht in der SPD. Aber auf diese Weise wird er sein Ziel nie erreichen.

Derzeit scheinen Olaf Scholz und Stephan Weil parteiintern die besseren Karten zu besitzen. Doch für jene 15 bis 20 Prozent der Wähler, welche die SPD zurückgewinnen muss, um wieder regierungsfähig zu werden, symbolisieren sie nur eine unglaubwürdige Funktionärsclique, von der keine positiven politischen Veränderungen zu erwarten sind.
So verbleiben als Erneuerungsfaktor im Wesentlichen die Jungsozialisten. Doch diese dürften es nicht beim Verfassen von Thesenpapieren belassen. Es ist jetzt die letzte Gelegenheit, Lehren aus den Wahlniederlagen von 2005, 2009, 2013 und 2017 zu ziehen. Und dazu gehörte auch eine Personaldiskussion, die mit der Abwahl der meisten Vorstandsmitglieder enden müsste.

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Scholz & Schulz auf der SPD-Regionalkonferenz in Hamburg. © ARD