tach idfDie innenpolitischen Folgen der Aktion der Israelischen Verteidigungkräfte (IDF), des israelischen Militärs

Jacques Ungar


Tel Aviv (Weltexpresso) - Acht Terroristen des Islamischen Jihad und der Hamas kamen ums Leben, als die IDF Anfang der Woche einen Offensivtunnel zerstörte – ein innenpolitischer Disput folgte prompt.

Naftali Bennett kritisiert die IDF dafür, sich angeblich für das Töten von Terroristen entschuldigt zu haben.

Offenbar gibt es im israelischen Alltag kein Geschehen, keine Bemerkung oder Entwicklung, die von gewissen Politikern nicht für eigene ideologische Ziele missbraucht werden könnte. Das jüngste Beispiel für diese fragwürdige Praxis lieferte Bildungsminister Naftali Bennett (Das jüdische Haus), der die IDF dafür kritisierte, sich angeblich für das Töten von Terroristen entschuldigt zu haben. «Wir dürfen uns nicht für unseren Erfolg bei der Ausschaltung von Terroristen entschuldigen», schrieb Bennett, ein Mitglied des Sicherheitskabinetts, auf Twitter. Unter Bezugnahme auf die Zerstörung eines Offensivtunnels an der Grenze zum Gazastreifen durch israelische Bomben bekräftigte Minister Bennett: «Ich will klar sein: Das waren Terroristen, die dabei waren, auf israelischem Territorium einen Tunnel des Todes zu graben. Mit seiner Hilfe hätten israelische Frauen und Kinder getötet werden sollen.»

Bennetts Kommentare erfolgten, nachdem die IDF Anfang Woche einen Offensivtunnel zerstört hatten, der aus der Gegend der Stadt Khan Yunis im Gazastreifen nach Israel hineinreichte. Durch die «kontrollierte Explosion», wie der Ausdruck der Armee lautet, starben mindestens acht Terroristen des Islamischen Jihad und der Hamas, unter ihnen ein militärischer Jihad-Kommandant und sein Stellvertreter.


Den Feind besiegen

Den Anlass für Naftali Bennetts Rüge bildeten dann Ausführungen des IDF-Sprechers, Brigadegeneral Ronen Manelis: «Es bestand keine Absicht, hochrangige Offizielle zu treffen. Die Aktion fand auf unserem Territorium statt, und die Menschen starben in ihrem Territorium.» Der Sprecher fügte hinzu, dass die Todesfälle das Ergebnis des Einsturzes des Tunnels waren und der Inhalation von Rauch und Staub, nicht aber direkt der Explosion.

Ähnlich dem IDF-Sprecher betonten schon vor ihm Premier Binyamin Netanyahu, Verteidigungsminister Avigdor Lieberman und Naftali Bennett selber, dass Israel nicht interessiert sei an einer Eskalation im Süden. Der Bildungsminister fügte noch hinzu: «Es ist das Ziel der IDF, den Feind zu besiegen, und wir müssen das Ziel weiterverfolgen.» Lieberman jedoch fuhr Bennett für dessen Kommentare an den Karren: «Ein Briefing des IDF-Sprechers kann nicht zum Anlass für einen Rundumschlag gegen die IDF und deren Kommandanten genommen werden.» Bemerkungen dieser Art, so fuhr der Verteidigungsminister fort, würden Israels Sicherheit, die Armee und uns alle «aufs Schlimmste» gefährden. «Wir werden fortfahren», schloss der Verteidigungsminister, «entschlossen, kräftig und verantwortungsbewusst im Interesse der Sicherheit der Bürger Israels zu handeln.»


Ein «ausgezeichnetes» Resultat

Wie es in Israel üblich ist, stiegen weitere Politiker auf den anfahrenden ideologischen Zug auf. Der Abgeordnete Elazar Stern etwa von Yair Lapids Zukunftspartei warf Bennett vor, Politik zu spielen und dabei IDF-Soldaten einem Risiko auszusetzen. «Angesichts der fortgesetzten Attacken von Ministern gegen die IDF möchte ich dem Generalstabschef, den Soldaten und den Kommandanten den Rücken stärken», sagte Stern, «Niemand hat sich entschuldigt! Als Ergebnis der Reaktion der IDF haben wir sieben tote Terroristen und eine ruhige Nacht in den Ortschaften entlang der Grenze zum Gazastreifen.» Das sei ein ausgezeichnetes Resultat. Auch die Abgeordnete Tzippi Livni von der Zionistischen Union nannte die IDF-Aktion «gerechtfertigt, scharf und von hoher Qualität». Israel müsse gegen jede Drohung antreten, «entschlossen, mit Selbstvertrauen und ohne unnötigen populistischen Zorn von Kabinettsmitgliedern», fügte die ehemalige Aussenministerin hinzu.


Prioritäten setzen

Die zentrale Frage ist hier wohl, wo die Prioritäten zu setzen sind, und zwar nicht nur bei den israelischen Entscheidungsträgern, sondern auch bei den palästinensischen Organisationen: Bei der Ausübung von Rache, der Gefährdung der sich abzeichnenden palästinensischen Einheit oder bei der Pflege innerisraelischer Querelen?Die Zerstörung des Offensivtunnels durch die IDF stellt die Palästinenser vor ein heikles Dilemma. In erster Linie ist das zugegebenermassen deren eigenes Problem, doch könnte es je nach der Art der Reaktion des Islamischen Jihad auch zu einem israelischen Problem werden.

Einerseits mögen die Resultate der IDF-Aktion bei einer Organisation wie dem Islamischen Jihad nach einer Vergeltung rufen, der sich als Volks-Widerstandsbewegung definieren würde. Andererseits erfordern der Zeitpunkt der israelischen Attacke und die in Gaza herrschende Atmosphäre, wie unter anderem «Haaretz» es formuliert, sowohl vom Jihad als auch von der das Geschehen im Streifen faktisch kontrollierenden Hamas ein umsichtiges Abwägen der Reaktionen, Zurückhaltung oder vollständigen Verzicht auf eine Reaktion. Das Dilemma der verschiedenen Gruppen gelangte in deren Antworten auf die Attacke zum Ausdruck. Die Hamas gab sich moderater und bezeichnete die Attacke als einen Versuch, die Versöhnung mit der Palästinensischen Behörde zu gefährden. Der Jihad dagegen forderte eine Generalmobilmachung, und ein Sprecher schwor Rache, ohne allerdings in Details zu gehen.Letztendlich kommt es darauf an, ob auf palästinensischer Seite die Doktrin der Hamas oder diejenige des Jihad die Oberhand gewinnt. Auf israelischer Seite wiederum dürfte ausschlaggebend sein, ob das pragmatische Vorgehen der Armee und ihrer Kommandanten das Sagen haben wird oder ob ideologische Heisssporne wie Naftali Bennett  und der vor allem aus Gründen persönlicher Engpässe zaudernde Netanyahu das Handeln diktieren.


«Klare Kriegserklärung»

Betrachtete man den Vorfall sachlich, ergibt eine Rekapitulierung der IDF-Aktion folgendes Bild: Am Montag bombardierten die IDF einen Offensivtunnel, der vom Gazastreifen auf israelisches Territorium, rund zwei Kilometer vom Kibbuz Kissufim entfernt, getrieben worden war. Palästinensische Kreise in Gaza bestätigten den Angriff der israelischen Luftwaffe und deuteten auch an, dass der Tunnel ein Werk des mit Iran alliierten Islamischen Jihad gewesen sei. Von dieser Organisation zählten ein Jihad-Kommandant und dessen Stellvertreter zu den mindestens acht Personen, die beim Angriff ums Leben kamen. Vor ihrer Aktion hat die Armee für alle Fälle Raketenabwehrsysteme vom Typ Iron Dome in Südisrael in Stellung gebracht. Nach Angaben der IDF habe der Tunnel, der sich noch im Bau befand, israelisches Gebiet unweit des Gaza-Grenzzauns gegenüber der palästinensischen Stadt Khan Yunis erreicht. Er wurde in einer Zone entdeckt, wo die zum Stopp des Baus solcher Tunnels geplante Barriere noch nicht errichtet worden ist.

An der Barriere arbeiten Sicherheitskräfte schon seit einigen Monaten, und es gelangen auch neue Systeme zur Ortung von Tunnels und deren Verlauf zum Einsatz, doch über diese Entwicklungen verliert man bei der Armee verständlicherweise nicht viele Worte. Der IDF-Sprecher bezeichnete den Tunnel als eine «grobe Verletzung» der israelischen Souveränität. Eine militärische Reaktion sei unumgänglich. Die Armee sei sich des Verlaufs des Tunnels bewusst gewesen und glaubte, er stelle keine Gefahr dar. Nach bestimmten Überlegungen jedoch wurde beschlossen, ihn zu zerstören, um das Entstehen einer riskanten Situation zu verhindern. Der IDF-Sprecher betonte, die IDF machten die Hamas für alle Aktivitäten im Gazastreifen verantwortlich. Gleichzeitig betonte der Sprecher, Israel suche keine Eskalation und sei nicht interessiert an einem militärischen Konflikt in Gaza. In der Nacht auf den Dienstag nannte ein Jihad-Sprecher den israelischen Angriff eine «klare Kriegserklärung».

Foto: © tachles

Info: Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 3. November 2017