Gesammelt und zusammengestellt von Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Rosa Luxemburg schrieb unter dem Eindruck des scharfen Vorgehens der Bolschewiki: „Es wäre in der Tat eine wahnwitzige Vorstellung, dass bei dem ersten welthistorischen Experiment mit der Diktatur der Arbeiterklasse, und zwar unter den denkbarschwersten Bedingungen: mitten im Weltbrand und Chaos eines imperialistischen Völkermordens, in der eisernen Schlinge der reaktionärsten Militärmacht Europas, unter völligem Versagen des internationalen Proletariats, dass bei einem Experiment der Arbeiterdiktatur unter so abnormen Bedingungen just alles, was in Russland getan und gelassen wurde, der Gipfel der Vollkommenheit gewesen sei...Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der 'Gerechtigkeit', sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die 'Freiheit' zum Privilegium wird.“ (Gesammelte Werke Bd. 4, Berlin 2000, S. 333, bzw. S.359, Berlin 1983).
Stichwortartig vermerkte der Schriftsteller Peter Weiss in seinen Notizen: „Die Russische Revolution war ein Sprung ins Zukünftige. Utopie, zeitweise von Tatsächlichem unterbaut. Getragen von einigen großen Visionären. Und von einem inspirierten Volk. Ein Aufleuchten. Einzigartige Möglichkeiten. Mensch aber noch nicht stark genug, diesen Sprung durchzuhalten. Die krasse Not. Die Einschnürung von außen. Die verbrecherische Übermacht des Kapitals. Etwas hatte die Menschen ergriffen. Doch das genügt noch nicht. Aus der Ergriffenheit muss Lebenshaltung werden. Und Lebenshaltung kann nur entstehen, wenn Freiheit zur Entfaltung. Idealismus + Gewalt. Bald musste Gewalt überwiegen. Die Führenden nach Lenin waren noch nicht reif genug. Idiotisches Getümmel: Wer ist der Stärkste! Vielleicht versuchte auch Stalin noch, das Erreichte zu erhalten. Mit Gewalt. Aber Gewalt erschlägt immer die Bewegung. Zwang, Unfreiheit lassen Entwicklung nicht zu. So nur noch ein Weiterleben mit dem Gedanken an den großen Funken der einmal geschlagen. Sie brüsten sich damit. Nennen sich Vorbild, obgleich sie es längst nicht mehr sein können.“ (Notizbücher. Digitale Fassung 1965).
In der Handschriftenabteilung der Zürcher Zentralbibliothek wird das Manuskript einer Rede aufbewahrt, die der Schweizer Marxist und Kunsthistoriker Konrad Farner, am 7. November 1957 gehalten hat. Am 40. Jahrestag der Oktoberrevolution sprach er immer wieder von einem Wagnis. „Erstmals wird das Wagnis in großem Maßstab unternommen, den uralten Traum der Menschheit zu verwirklichen, den Traum von einer menschlichen Gesellschaft, die dem Einzelnen wie auch der Gemeinschaft in natürlicher Wechselwirkung die Ordnung und den Raum zuspricht, die innere und äußere Freiheit ermöglicht, sein Können zugunsten seiner selbst und zugleich aller freisetzt. Ich sage ausdrücklich: es wird das Wagnis unternommen. Schon der Beginn in solch riesigem Ausmaß ist heroisch...Aber auch diejenigen, die das Wagnis bejahen und sich daran aktiv beteiligen, sind nicht ohne Torheit und Unsicherheit, und ebenfalls unter sich nicht einig. Die einen wollen in ihrem Enthusiasmus die vollumfängliche Tat heute noch zu sichtbarem Ende führen und die Pforten des Paradieses sofort erstürmen...Andere vermeinen, dass, um das Gute und Gerechte zu erreichen, das Böse und Ungerechte statthaft sei, dass also der Zweck die Mittel heilige – sie wissen nicht oder wollen nicht wissen, dass dadurch das Böse gestärkt wird und das Gute in weitere Ferne gerückt oder sogar ad absurdum geführt wird.“
Als Farner dies sagte wusste die Welt seit einem Jahr offiziell von den ungeheuren Verbrechen, mit denen die Fahne der Revolution während der Amtszeit des Generalsekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Josef Stalin, beschmutzt worden war. Sein Nachfolger Nikita Chruschtschow hatte die Scheußlichkeiten drei Jahre nach Stalins Tod publik gemacht. Michail Gorbatschow rühmte als Generalsekretär der KPdSU die Oktoberrevolution am 70, Jahrestag als eine „Sternstunde der Menschheit“. Sein Blick ging dabei über die Grenzen des eigenen Landes hinaus: „Wie wird die Welt sein, wenn sie den 100. Jahrestag unserer Revolution begeht“, fragte er. „Wie wird der Sozialismus sein, welchen Reifegrad wird die Weltgemeinschaft der Staaten und Völker erreicht haben? Wir wollen nicht rätseln. Aber wir müssen uns vor Augen halten, dass gerade heute der Grundstein für die Zukunft gelegt wird. Und unsere Pflicht besteht darin, unsere einmalige Zivilisation, ja das Leben auf der Erde zu erhalten, den Sieg des Verstandes über den nuklearen Wahnsinn zu erzielen, alle Voraussetzungen für eine freie und allseitige Entwicklung des Menschen und der Menschheit zu schaffen.“
Weder Gorbatschow noch sonst jemand ahnte vor dreißig Jahren, dass es am 100. Jahrestag der Oktoberrevolution die UdSSR, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, so der offizielle Name der Sowjetunion, nicht mehr geben werde. 1991 hörte sie auf zu bestehen.
Ausblick
Unter der Überschrift "Es geht nicht nur um einen Traum" veröffentlichte der Historiker Peter Brandt, ältester Sohn von Ruth und Willy Brandt, im "Neuen Deutschland" vom 4./5.November einen Artikel zum 100. Jahrestag der Russischen Revolution von 1917, der mit folgendem Ausblick auf die Zukunft endet: "Es geht nicht nur um den alten Traum der Menschheit von einem freundlichen und solidarischen Gemeinwesen, einer Gesellschaft der Freien und Gleichen. Es handelt sich möglicherweise sogar um das Überleben unserer Gattung angesichts der nur global lösbaren ökologischen Probleme und des chaotischen Staatensystems in der heutigen Welt, die immer häufiger von Kriegen und Hungersnöten heimgesucht wird. Das Elend schreit zum Himmel. Der Kapitalismus hat in seiner mehrhundertjährigen Geschichte enorme Produktivkräfte entfesselt; wir erleben jetzt auf breiter Front deren Verwandlung in Destruktivkräfte."
Foto: ©
Ausblick
Unter der Überschrift "Es geht nicht nur um einen Traum" veröffentlichte der Historiker Peter Brandt, ältester Sohn von Ruth und Willy Brandt, im "Neuen Deutschland" vom 4./5.November einen Artikel zum 100. Jahrestag der Russischen Revolution von 1917, der mit folgendem Ausblick auf die Zukunft endet: "Es geht nicht nur um den alten Traum der Menschheit von einem freundlichen und solidarischen Gemeinwesen, einer Gesellschaft der Freien und Gleichen. Es handelt sich möglicherweise sogar um das Überleben unserer Gattung angesichts der nur global lösbaren ökologischen Probleme und des chaotischen Staatensystems in der heutigen Welt, die immer häufiger von Kriegen und Hungersnöten heimgesucht wird. Das Elend schreit zum Himmel. Der Kapitalismus hat in seiner mehrhundertjährigen Geschichte enorme Produktivkräfte entfesselt; wir erleben jetzt auf breiter Front deren Verwandlung in Destruktivkräfte."
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