Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie engherzig und engstirnig in Deutschland Politik gemacht wird, konnte man an jenem Sonntagabend erleben, als der Führer der FDP wie Jungsiegfried vor die Presse trat und das Ende der Sondierungsgespräche verkündete, die er über vier Wochen mit- und mißgestaltet hatte und im Fernsehen auch noch permanent kommentierte.
Denn alles, was er von sich gab, hatten Kritiker einer künftigen sogenannten Jamaika-Koalition – das arme Land. Eine so herrliche Insel mit erstaunlich selbstbewußten Frauen vor allem, das sich zudem Jamaika wie in „Ja“ ausspricht, was zu Beginn der Gespräche auch noch so ausgesprochen wurde, dann aber nach und nach zu Dschamaika verkam, weil der Deutsche inzwischen glaubt, alles Englisch prononcieren zu müssen, weshalb die neuste Mode auch ist, von Dschornalisten zu sprechen, im Ernst, hören Sie im Fernsehen mal zu, wenn es um Journalisten geht – also Christian Lindners Worte hatten keinen Neuigkeitswert außer dem, daß er – wenn er das im Nachhinein so negativ sieht – damals leichtfertig, gutgläubig, naiv und dumm in Verhandlungen gegangen war und es vier Wochen lang nicht auf die Reihe brachte, konstruktive erfolgsversprechende Vorschläge zu machen, oder solche anzumahnen, oder wenigstens intern auf den Tisch zu hauen.
Wer dazu erst ein Mikrophon braucht und den versammelte Troß der Fernsehsender, damit daraus ein Sensatiönchen wird, sollte eh einpacken. Die SPD, gleich darauf befragt, sah keinen Anlaß, ihr unmittelbares Wort, ausgesprochen vom SPD-Vorsitzenden Schulz direkt nach dem demütigenden Wahlergebnis vom 24. September, daß die SPD die Große Koalition nicht fortsetzen werde zwecks Regeneration in der Opposition, sah also keinen Anlaß, ihr Wort zurückzunehmen und als Lückenbüßer laut und lustig: „Hier zu schreien.“ Das war in der Sache vollkommen richtig. Denn alles andere hätte genau bedeutet, daß der SPD eine Regierungsbeteiligung wichtiger wäre als aus den 20 Prozent Konsequenzen zu ziehen.
Daß die CDU-Vorsitzende und amtierende Bundeskanzlerin dagegen gerne die Koalition mit der SPD fortgesetzt hätte, ist nun jedermann verständlich. Die SPD-Minister haben in der letzten Regierung ordentliche Arbeit geleistet. Gedankt wurde es ihnen hingegen nicht. Es ist offensichtlich und zudem unstrittig, daß die gelungenen Reformen auf Initiative der SPD-Minister umgesetzt wurden.
Es sollten sich einmal der Wähler und ganz besonders Schreiberling Torsten Krauel überlegen, wie es kommt, daß alle Erfolge der Regierung einseitig der Kanzlerin und dem Kanzlerwahlverein (so sprach man vor langer Zeit von dieser Partei, als sie zwar überwiegend den Kanzler der BRD stellte, aber wenig Partei kannte, schon gar keine Parteidemokratie) im Wahlergebnis zugesprochen wurden. Zwar hat auch die CDU verloren, aber nicht so dramatisch wie die SPD und die AfD ist für ehemalige CDU-Sympathisanten interessanter als für Exwähler der SPD, auch wenn die Rechtsradikalen auch von dort Stimmen bekamen. Kurzgesagt: Die Erfolge der Großen Koalition für die CDU, die Mißerfolge und Fehler kriegt die SPD ab.
Man weiß aus Pädagogik und Psychologie, wie schnell Menschen stigmatisiert werden, für Gruppenprozesse verantwortlich und zum Außenseiter gemacht werden können. Das gilt, wie man sieht, auch für Parteien. Hier vorgeführt an der SPD. Dies ist aber keine echte Meinung des betroffenen Volkes, sondern eine Meinung, die insbesondere im Fernsehen, und wie man sieht auch in der Presse wie DIE WELT herbeigeredet, bzw. herbeigeschrieben wird. Es ist also gewissermaßen Notwehr gewesen, als Martin Schulz am Wahlabend vorpreschte und die Große Koalition für beendet erklärte, womit er die Stimmung in der SPD traf. Nicht aller, aber der Mehrheit, die umso größer wird, wenn sie nicht direkt in Regierungshandeln involviert ist.
Daß nach der Absage einer schwarz-grün-gelben Koalition nun von der SPD verlangt wird, sie müsse ihre Meinung ändern und nun doch in eine Regierung mit der CDU/CSU gehen, damit Deutschland stabil bleibe, ist ganz schön verwegen.
Wenn der Bundespräsident, dessen Mitgliedschaft in seiner angestammten SPD derzeit ruht, nun einen öffentliche Appell an die großen Parteien richtet, insbesondere an die SPD, diese Lückenfüllerposition im Staatsinteresse einzunehmen, dann kann man ja darüber verhandeln. Und natürlich verkauft jemand, der gerade in die Wüste geschickt wurde, sein Fell, das ihn wieder lebendig machen soll, so teuer wie möglich. Aber dazu ist die SPD gar nicht gekommen. Vom ersten Tag an unterstellten ihr alle möglichen CDU-Vorderen wie der hessische Ministerpräsident Bouffier, sie würden die Latten für eine Koalition jetzt zu hoch hängen, in der dummdreisten politischen Absicht, die SPD würde dann auf Latten überhaupt verzichten. So was von durchsichtig. Aber in keiner der großen deutschen Zeitungen war zu diesem lächerlichen Vorgang, die SPD wieder einmal mit angeblichen zu hohen Latten emotional zu diskreditieren, ein aufklärerisches Wort zu hören. Im Gegenteil. Das Presseecho ging wieder einmal gegen die SPD, die sich dauernd erklären mußte und auf diese Frechheit auch noch einging.
Sündenbock erneut. Aber es gehören mindestens zwei dazu, sich ständig derartig nach dem gleichen Muster fertigmachen zu lassen. Nachdem erst Gabriel durch genau solche öffentliche Häme runtergezogen wurde, ist nun seit dem Sommer Martin Schulz am Pranger, während aus Gabriel gerade der Gute wird. Wir reden von der veröffentlichten Meinung. Und natürlich von der massiven Mehrheit unter ihnen.
Am haben Gesine Schwan – Deutschland wird hoffentlich irgendwann mal begreifen, welchen Fehlgriff sie sich mit der Nichtwahl von Gesine Schwan als deutsche Bundespräsidentin geleistet haben - und Wolfgang Thierse in einem gemeinsamen Beitrag in der Frankfurter Rundschau eine „echte“ Große Koalition vorgeschlagen. Denn von CDU/CSU und SPD als Großer Koalition zu sprechen, ist ja nur noch Gewohnheit. Mit 52 Prozent hat man keine ‚große‘, sondern eine ‚normalgroße‘, nämlich regierungsfähige Mehrheit. Die neue GroKo sollte aus CDU/CSU, SPD und den Grünen bestehen. Interessanter Vorschlag, der beispielsweise in Leserbriefen der FR heftig diskutiert, allerdings mehrheitlich abgelehnt wurde, wobei der interessante Aspekt der war, daß die Grünen keinen inhaltlichen Mehrwert zusätzlich zur SPD mitbrächten und man von ihnen eher eine Klüngelei zwischen CDU und Grünen (wie in den abgelaufenen Sondierungsgespräche oder in der schwarz-grünen hessischen Landesregierung) befürchte, denn eine Unterstützung von sozialen Positionen der SPD.
Mein Vorschlag geht in andere Richtung. Ich fände, die Grünen sollten zwar mit in die Regierung. Sie haben sich doch bis zur Selbstverleugnung für die gescheiterte Koalition eingesetzt. Sie haben die CSU-Anwürfe ausgehalten. Eine selbstbewußte CDU sollte deshalb im Moment ihrer Parteichefin empfehlen, die ewige Koalition mit dem bayerischen Wurmfortsatz zu beenden. Rechnerisch bedeutet dies: Verlust von 6 Prozent CSU-Stimmen und Zugewinn von ca. 10 Prozent Grünenstimmen. Diese scheinheilige Attitüde, mit der ein CSU-Minister Schmidt die Regierungschefin düpierte, wird ja nur deshalb nicht öffentlich gebrandmarkt, weil mit dem Eklat erst einmal die für die Rettung der Umwelt zuständige Fachministerin Barbara Hendricks vorgeführt und ausgebremst wurde. Daß Angela Merkel einen solchen Minister nicht unmittelbar aus der Regierung wirft, sondern eine lahme ‚Abmahnung‘ ausspricht, zeigt ja nur, daß sie gar nicht das Interesse hat, daraus einen Konflikt zu machen. Das überläßt sie mal schön der SPD.
Aber es wäre ihre Sache, in ihrer Partei die Koalitionsgemeinschaft mit der CSU aufzukündigen und in eine Regierung von CDU, SPD und Grüne zu gehen. Die hätte sogar mehr Mandate im Bundestag, als es eine traditionelle GroKo oder Schwarz-Grün-Gelb gehabt hätte. Und zudem eine interessante Position für die Grünen mit 10 Prozent gegenüber den 26 der CDU und 20 der SPD.
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