Ausgestellt von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Bürgermeister der Kleinstadt Altena im Sauerland war das Ziel einer fremdenfeindlichen Gewalttat, die er, auch weil ihm beherzte Bürger halfen, glücklicherweise mit einer nur kleinen Verletzung überstand.
Die Empörung über den Vorfall ist nach wie vor groß und geht weit über die Region hinaus. Auch in der ARD-Sendung „Maischberger“ war die Tat Anlass für eine kontroverse Diskussion, zu der u.a. Bundesjustizminister Heiko Maas und die AfD-Politikerin Alice Weidel eingeladen waren. Von allen Teilnehmern wurde appelliert, bei politischen Auseinandersetzungen sich demokratischer Tugenden zu bedienen, wobei die Krokodilstränen der AfD unübersehbar waren.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), forderte vor dem Hintergrund dieses Anschlags, dass sich Politik und Zivilgesellschaft „stärker schützend vor Betroffene stellen“ müssten.
Eigentlich sollten alle Demokraten wissen, dass fremdenfeindliche, rassistische und nationalistische Parolen dazu geeignet sind, latente Ressentiments in der Bevölkerung eskalieren zu lassen. Ganz zu schweigen von dem immer häufiger ganz offen artikulierten Hass, der nur eines winzigen Öltropfens in den bereits entfachten Schwelbrand bedarf, um zu einem verheerenden Flammenmeer zu werden. Durch die Passivität von Öffentlichkeit und Behörden werden Täter aller Erfahrung nach zur Gewalt ermutigt.
Doch zwei Tage nach dem Vorfall in Altena erfahre ich von einer Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und bin darüber entsetzt. Denn diese hatte Strafanträge gegen einen Finanzanlagenvermittler wegen des Verdachts der Volksverhetzung endgültig zurückgewiesen. Konkret geht es um einen Aufruf auf der öffentlichen Internetseite des Angezeigten gegen so genannte „Schwarzen Blocks“, die im Umfeld des G20 Gipfels in Hamburg randaliert hatten. Der in Limburg an der Lahn ansässige Unternehmer hatte einen „kleinen Holocaust“ gefordert und dafür den Beifall der Stammtische erhalten. Weltexpresso hatte darüber bereits am 16. Juli dieses Jahres berichtet („Der Pöbel wetzt bereits die Messer“).
Sowohl die Staatsanwaltschaft in Limburg an der Lahn als auch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main als Beschwerdeinstanz haben in ihren ablehnenden Bescheiden darauf verwiesen, dass mit der Forderung nach einem „kleinen Holocaust“ die Schwelle zur Strafbarkeit nicht erreicht gewesen wäre. Denn das Strafgesetzbuch unterscheide in § 130 zwischen bedrohten Angehörigen einer fest umrissenen Gruppe, aus der man sich nicht entfernen könne (bedingt durch Geburt, Rasse, Religion etc.) und deswegen einen besonderen staatlichen Schutz genösse. Letzterer ergäbe sich aus den Strafvorschriften gegen Volksverhetzung. Nicht fest umrissene Gruppen, von denen eine Trennung problemlos möglich wäre wie z.B. „schwarzen Blocks“ (möglicherweise auch organisierte Demokraten?!), seien mit dem Paragraphen 130 nicht gemeint.
Eine solche Argumentation bestätigt die Feststellung des Sozialpsychologen Erich Fromm, der in einer politischen Justiz den unangemessenen Versuch einer Konsolidierung sozioökonomischer Herrschaftsinteressen sah. Politisch Missliebige erfüllten die Rolle der Minderwertigen in einer Gesellschaft, bei denen letztlich die Normen des Rechtsstaats nicht mehr zur Anwendung kämen (Erich Fromm: Die Pathologie der Normalität). Typischerweise beginnt die Ausgrenzung bei Tätern, für die sich kaum jemand einsetzt und endet mit der Beseitigung von Parteien, Rassen und Völkern.
Es gibt sowohl Staatsanwaltschaften als auch Richter, welche die allzu buchstabengetreue und dem Geist des Gesetzes widersprechende Interpretation anders, nämlich entlang der Realität, auslegen. Immerhin wurde das Gesetz 2005 überarbeitet, 2006 und 2007 urteilte beispielsweise das Landgericht Mannheim bzw. der Bundesgerichtshof in einem Fall von Holocaustleugnung erheblich weitergehender. Auch die Verwendung bzw. die offensichtliche Verharmlosung der NS-Sprache würde durch den § 130 StGB unter Strafe gestellt. So liest sich der Absatz 3 dieses Gesetzes wie eine Anpassung der Rechtsnormen an die Rechtswirklichkeit, die auf einen wieder aufgeflammten Nationalismus und Rassismus reagiert:
Er lautet: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.“
Der Begriff „kleiner Holocaust“ kann also durchaus als Verharmlosung des ursprünglichen organisierten Massenmords gewertet werden. Ganz so einfach wie es sich die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt und vorher die Staatsanwaltschaft Limburg gemacht zu haben scheinen, ist die Sache bei eingehender Würdigung der Rechtsprechung offenbar nicht. Vor diesem Hintergrund kann man über die tatsächlichen Gründe solcher Entscheidungen spekulieren und wird schnell fündig.
Zunächst muss man berücksichtigen, dass Staatsanwaltschaften (im Gegensatz zu Richtern) weisungsgebunden sind. Diese Weisungen können vom Justizministerium eines Bundeslands erteilt werden und sind üblicherweise politischer Natur. Der von mehreren Bürgern wegen des Verdachts der Volksverhetzung und der Verharmlosung nationalsozialistischen Unrechts angezeigte Unternehmer ist mit der politischen Klasse im Lahn-Dill-Kreis eng verbunden.
Deutlich wird das beispielsweise an seiner Wahl zum neuen Ehrensenator des Limburger Carneval-Vereins Blaue Funker. Der Ehrensenator der Session 2016/17, Limburgs Bürgermeister Marius Hahn (SPD), skizzierte seinen Nachfolger als „heimatverbunden, gutmütig und großzügig“. Er sei ein „begeisterter Fußballfan und keineswegs der typische Finanzmanager im dunklen Zwirn“ (zitiert nach einem Bericht der „Lahn-Post“ vom 25.11.2017). Der so Geehrte ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Stillger & Stahl-Vermögensverwaltung GbR, einem geschätzten Partner mehrerer Kommunen. Und einen solchen Partner, der als ein Freund klarer Worte gilt (was man spätestens seit seinem "kleinen Holocaust"-Aufruf weiß), setzt man mutmaßlich nur ungern dem Regen des Rechtsstaats aus.
Foto:
We didn’t know it was loaded © Boston Globe
Info:
Link zum dem erwähnten Weltexpresso-Artikel vom 16.07.2017:
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/10362-der-poebel-wetzt-bereits-die-messer