kpm Antiisraelische und antisemitische Demonstration in Berlin Neukolln am 10.12.17Von der allzu beliebigen Verwendung eines Begriffs

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - US-Präsident Donald Trump hat mit seiner Ankündigung, die amerikanische Botschaft nach Jerusalem verlegen zu wollen und die Stadt damit als Hauptstadt Israels anzuerkennen, die Lunte an ein Pulverfass gelegt.

Denn wie nicht anders zu erwarten, haben die Extremisten in Gaza, im Westjordanland und anderen arabischen bzw. islamischen Staaten die Gelegenheit genutzt, ihre inneren Konflikte, die zumeist sozialer Natur sind, durch antiisraelische und antijüdische Propaganda- und Gewaltaktionen zu kaschieren. Der Funke dieses gelenkten Protests ist auch auf Europa und Deutschland übergeschlagen; so wurden in Berlin Fahnen mit israelischen Symbolen verbrannt.

Die offiziellen Stellen sprechen von einem israelbezogenen Antisemitismus, der sich in der Berichterstattung der Medien niederschlägt. Dieses Schlagwort sollte Anlass sein, dem ursprünglichen Begriff auf die Spur zu kommen.

In einem historischen Dokument, dem von führenden liberalen jüdischen Gelehrten Deutschlands verfassten Philo-Lexikon (Handbuch des jüdischen Wissens, 3. Auflage Berlin 1936), heißt es: „Antisemitismus (als Ausdruck von Wilhelm Marr um 1879 zuerst gebraucht): judengegnerische Bewegung mit dem Ziel der Zurückdrängung jüdischen Einflusses, tritt als religiöser, rassischer, wirtschaftlicher, kultureller, gesellschaftlicher Antisemitismus auf. Religiöser A. vorwiegend im Mittelalter Ausdruck der Glaubensfeindschaft, führt zu Ghetto, J-Abzeichen, Zwangstaufen, Verfolgungen. In neuerer Zeit stützt sich A. vorwiegend auf den Rassegedanken durch Betonung der Fremdartigkeit des jüdischen Stammes. Wirtschaftlicher A. ist Folgeerscheinung der genannten Formen und fordert Zurückdrängung jüdischen Einflusses in der Wirtschaft, häufig verknüpft mit Mittelstandsbestrebungen gegen Warenhaus, Zwischenhandel, überhaupt gegen gewisse kapitalistische Erscheinungen. Kultureller Antisemitismus wendet sich gegen Beschäftigung von Juden mit nichtjüdischem Kultur- und Gedankengut. Gesellschaftlicher A. fordert gesellschaftliche Absonderung.“

Das Philo-Lexikon, das 1934 in erster Auflage erschien (und seit 1982 wieder als Reprint erhältlich ist), war eine Reaktion auf den staatlichen Antisemitismus des Dritten Reichs. Es sollte den vielfach säkularisierten jüdischen Bürgern ihre Wurzeln in Erinnerung rufen und sie damit zu einer klaren Haltung gegenüber dem immer deutlicher werdenden Judenhass des NS-Regimes bewegen.

Den Staat Israel gab es damals noch nicht, aber die Balfour-Deklaration vom 2.11.1917. Dazu wird Folgendes angemerkt: „Erklärung des Außenministers Arthur J. Balfour zugunsten des jüdischen Nationalheims in Palästina, wurde in das Palästina-Mandat aufgenommen und dadurch völkerrechtlich anerkannt.“

Wenn man sich an diesen kurzen lexikalischen Beschreibungen orientiert, die zu den letzten offiziellen, aber unauslöschlichen Stimmen der ermordeten Juden zählen, waren die Wesensmerkmale des Antisemitismus in den 30er Jahren (und davor) ähnlich denen im Jahr 2017. Nämlich die Verächtlichmachung von Menschen wegen deren Abstammung und religiösen Zugehörigkeit mit entsprechenden Folgen für ihre gesamten gesellschaftlichen Rechte einschließlich ihrer wirtschaftlichen Diskriminierung.

Ein solcher Antisemitismus artikuliert sich auch in der Übernahme von NS-Rhetorik, die in euphemistischer Weise die Völkervernichtung sprachlich salonfähig machte, indem sie geläufigen technischen Begriffen sowie bestehenden Vorurteilen gegen Minderheiten zugeordnet wurde. Noch bis auf den heutigen Tag sind Ausdrücke wie „bis zur Vergasung“ zu hören.

Ein Finanzvermittler aus Limburg an der Lahn mit engen Beziehungen zur hessischen CDU rief sogar im Sommer dieses Jahres zum „kleinen Holocaust“ gegen „Schwarze Blocks“ und andere Randalierer am Rande des G20-Gipfels auf, was jedoch weder von der Staatsanwaltschaft Limburg noch von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt als strafbare Verharmlosung des NS-Staats aufgefasst wurde (siehe HR-Hessenschau vom 7.12.17: „Wunsch nach kleinem Holocaust keine strafbare Hetze“ sowie „Eine Lizenz zur Hetze“, Weltexpresso vom 3.12.17: https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/11606-eine-lizenz-zur-hetze ). Diese Art von Beschönigung des NS-Regimes fand in der offiziellen jüdischen Presse in Deutschland leider keine Beachtung.

Während der latente Antisemitismus entweder geleugnet oder unwidersprochen kultiviert wird, findet parallel dazu seine Gleichsetzung mit politischer Kritik am Staat Israel statt. Dieser Kritik fehlen jedoch zumeist die typischen Merkmale, die das Philo-Lexikon auflistet (eine Ausnahme sind die Vorurteile eines Teils der Einwanderer und Flüchtlinge aus dem arabischen Raum, die nicht toleriert werden dürfen). Wer die Deklassierung der Palästinenser verurteilt und sich dabei keiner rassistischen und religiösen Schmähungen bedient, ist kein Antisemit. Die israelische Friedensbewegung „Schalom Achschaw“ (Frieden jetzt) weist in ihren Proklamationen wiederholt darauf hin, dass auch ein bedrohter Staat wie Israel sich nicht der Instrumente bedienen darf, die seine Peiniger nutzen. Gemeint sind vor allem die diversen Methoden der Ausgrenzung der arabischen/palästinischen Bevölkerung.

So stehen beispielsweise die Enteignungen palästinischer Bürger zu Gunsten jüdischer Siedler im krassen Widerspruch zur jüdischen Rechtstradition. Diese brachte jenen Jus Talionis hervor (Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut), der auf Schadensausgleich setzt und den bis dahin vorherrschenden Rachegedanken verwarf.

Diese Missachtung der Rechte anderer ist ein Nährboden für den israelbezogenen Antisemitismus, der im Bericht der Expertenkommission an den Deutschen Bundestag zwar erwähnt, aber nicht hinreichend analysiert wird. Denn leider ist auch im wissenschaftlichen Bereich mitunter die Verwechslung der logischen Ebenen zu beobachten. Ein Begriff wie Antisemitismus darf nicht der Beliebigkeit unterliegen. Die Position seriöser Wissenschaftler ist in diesem Bereich häufig jene undankbare, die sich zwischen allen Stühlen und politischen Interessen befindet. Im konkreten Fall wird sie jede religiös begründete Orthodoxie infrage stellen; sowohl die jüdische als auch die islamische und nicht zuletzt die christliche. Diese Kritik hat nichts mit der Verächtlichmachung von Religionen zu tun, vielmehr folgt sie der europäischen Aufklärung, die als eine Kritik an der gesellschaftlich institutionalisierten Religion begann.

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Antiisraelische und antisemitische Demonstration in Berlin-Neukölln am 10.12.17
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