Nach der Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille an Roland Koch ist ein politischer Nachruf auf ihn fällig Teil 1/2
Heinz Markert
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Im Dunstkreis des historio-biographischen Typus von Roland Koch, repräsentativ für viele seiner Zeitabschnittsgruppe, wird immer wieder präsent, dass er - gemäß eigener Aussage und Definition - sich als Anti-68er outet. Darin ist die Tragik einer menschlichen Existenz zu erkennen.
Er sieht sich damit in einer Position neuer Stärke, die aber eigentlich eine alte Schwäche ist. Die Nach-68er sind nämlich nicht sozusagen qualitätsmäßig über '68 hinaus, sondern fallen hinter '68 zurück. Bereits Erreichtes wurde wieder geräumt, der Backlash, die Tendenzwende, umgehend eingeleitet. Es ist – aus freudschem Blickwinkel - die regressive Rückbeziehung auf das Über-Ich von anno vormals, den nicht bewältigten väterlichen Diktator. Dies gilt in Abstufungen auch für eine Vielzahl der zeitlich nach '68 Verorteten.
Was Kochs höchsteigenes Strickmuster angeht, darf angenommen werden, dass die besitz- und formal-bildungsbürgerliche Repression, die er im Elternhaus erfahren hat, wieder gänzlich durchgeschlagen und daher ein Rückfall, eine Flucht zurück in überkomme Positionen und Autoritätsmuster, die partiell schon überwunden schienen, stattgefunden hat. So erhalten manche der Nach-68er eine Note von Kapitulation: In Anbetracht des historisch schon Errungenen wird der Widerstandsgeist aufgegeben, anstatt die Stafette kritisch weiterzutragen. Man bekommt den Eindruck, es gewissermaßen mit Schlaffies zu tun zu haben, die nie mehr wirklich Eigenes in Szene zu setzen versuchten und moralisch und charakterlich in die Knie gegangen sind. Die Politik wird von diesen heutzutage weitgehend bestimmt.
Als Anti-Achtundsechziger ist Koch dennoch Teil von ´68
Koch als Deregulierer und Marktradikaler ist indirekt ein Produkt von 68-plus. Seine Tragik ist, dass er nicht weiß oder nicht einsehen will, dass er '68 unwiderstehlich verhaftet ist, aber trotzdem meint, sich wie ein Stier dagegen stemmen zu müssen. Welch eine Tragik, die Biographie unter einen Gegensatz zu '68 stellen zu müssen, aber gleichzeitig nicht wirklich von den Errungenschaften jener erfrischenden und befreienden Augenblicke gänzlich abgeschnitten werden zu können. Kochs Sendung, die in Hessen Geschichte wurde, kann auf die griffige Formel gebracht werden: 'Viel Coca-Cola, aber bitte ohne Marx und Marcuse!' Bekanntlich wurden die Achtundsechziger im STERN mal als die Kinder von Marx und Coca-Cola bezeichnet. Und auch Roland Koch soll ein leidenschaftlicher Coca-Cola-Fan sein, was nun auch wieder für Trump gilt.
Koch hat niemals gestaltet, er hat immer nur stiermäßig reagiert
Ein Wahnwitz, oder? Aber weder er noch seine Kumpels und Schranzen haben es gemerkt oder merken wollen. So dumpf geht eben Politik; Politik, die sich im Reagieren auf ein aufgezäumtes Schreckensbild – ´68! - erschöpft. So mussten all seine Projekte scheitern, weil sie nicht in einem echten und wahren Charakter wurzelten.
Die Privatisierung der Kliniken Gießen und Marburg ist gescheitert, wie sie alle scheitern, denn Privatisierungen im Gesundheitswesen gehen auf Kosten der Humanität und letztlich auch des medizinischen Erfolgs. Das gilt auch in der Pflege. Weil ihm keine eigene Ideenwelt zur Verfügung stand, hat Koch sich dem Götzen Privatisierung verschrieben, obwohl die ernsthafte Sorge für die Kliniken Ländersache ist. Sie ist gar eine Menschheitsaufgabe. Das Verhältnis zu Gießen-Marburg, dem Vorzeigeprojekt, ist seitens des Landes zerrüttet, weil Verträge nicht eingehalten werden. Das Land Hessen muss Gießen-Marburg aus dem Landeshaushalt refinanzieren.
Alle Leuchttürme Kochs sind eingestürzt
G8, das Turboabitur, ist gescheitert. Es war sein Leuchtturmprojekt und hat das Verhältnis mit dem Land und zu den Eltern zerrüttet. Denn Turbo ist pädagogisch Gift für die Bildung. Kochs Stichwortgeber hatten es ihm, dem von Der Wirtschaft geblendeten und in ihr später Gescheiterten, eingeflüstert - als ob eine ökonomisierte Bildung je die Chance hätte zu gelingen. Bildung und Ökonomie sind kontradiktorisch, die Ökonomie kann nur sekundär aus der Bildung Mehrwert ziehen, selbst dann aber bleibt sie doch auf immer nur Ökonomie. Denn die lebendige Gesellschaft geht der Wirtschaft voraus. Niemand, der bloß wirtschaftlich argumentiert, weiß gegenwärtig wie Digitalisierung zu gestalten wäre, eben weil’s an Bildung fehlt. Vielleicht könnten die großen Geister der Vergangenheit mal zu Rate gezogen werden.
Mit dem Frankfurter Flughafen, der die ihn weithin umgebende Region mit belastendem Lärm und Abgasen aus verbranntem Flugbenzin plagt, hat Koch immer einen Kuschelkurs gefahren, sonst aber war er dauernd mit der sogenannten 68er-Kultur auf Konfrontation aus. Er hatte versprochen, dass der Ausbau des Flughafens nur unter der Bedingung des Nachtflugverbots kommen solle. Trotzdem wollte er dieses dann doch aushebeln und vereiteln. Das Bundesverfassungsgericht entschied in Sachen Nachtflügen abschließend gegen ihn. Das war für den Juristen Koch eine schwere Schlappe als Folge höherer juristischer Gewalt.
Im Wahlkampf 2008 war Atompolitik noch eine positiv besetzte Größe. Hermann Scheer und Andrea Ypsilanti wollten eine hessische Energiewende einleiten, das Land mit einem Modell dezentralisierter Erneuerbarer Energien umgestalten und damit Wertschöpfung, d.h. lokale Einnahmen ins Land holen und dort halten. Dies aber wurde von konservativer Seite geradezu hysterisch bekämpft. Diffamierungen und billige Anwürfe wurden bis in die Sportvereine hineingetragen, um eine berechtigte Sache zu diskreditieren. Es ergab sich aber nicht viel später: das Modell des Energetischen Imperativs von Hermann Scheer im Sinne der Unausweichlichkeit der Verankerung der Erneuerbaren Energien in der Region (als Vorbild zumal), war goldrichtig und wurde mit der Nuklearkatastrophe von Fukushima und die daraus sich ergebenden Entscheidungen glorios bestätigt.
Über 15 Jahre wurden in der von einem Juristen angeführten Bananenrepublik Hessen hochqualifizierte Steuerfahnder durch willfährige Gutachter für querulatorisch-paranoid erklärt und einer unsäglichen beruflichen und persönlichen Qual ausgesetzt, nur weil sie dem verbrecherischen Treiben von Großbanken nachgegangen waren, um diese ihrer gerechten Bestrafung zuzuführen. Erst 15 Jahre später wurden die Fahnder durch die Rechtsprechung gerechtfertigt und in ihr Recht gesetzt. Die Finanzkrise von 2008 hat bestätigt, dass die Finanzwelt aus den Fugen geraten war und die Gesellschaften in eine existentielle Krise gestürzt hatte. Nun wendet sich Volker Bouffier, Ministerpräsident des Landes Hessen, noch immer unverdrossen gegen die Einführung einer die Spekulation dämpfenden Finanztransaktionssteuer.
Der Flughafen Kassel-Calden, der zur Investitionsruine geworden ist, war ein Geschenk der einschlägigen Politik (CDU und FDP) an ihre Klientel, die ihn bauen durfte. Ähnliches galt und gilt fast immer auch für viele Straßenbauprojekte, auch für die in früheren Zeiten unsäglichen Flussbegradigungen und für die Fälle öffentlicher Aufträge nach dem ÖPP-Modell, die sich nachher als dilettantisch durchgeführt und als Verschwendung von Steuermitteln herausstellten.
Foto: antifainfoblatt.de
Info:
‚Ausgekocht‘, Hinter den Kulissen hessischer Machtpolitik, Frankfurt 2010
Artikel „Die im Lichte sieht man nicht“, Skandale, FR 28.8.2010
Die Teile der Serie in WELTEXPRESSO:
1. Coca-Cola-ja, aber bitte ohne Marx und Marcuse
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/11883-coca-cola-ja-aber-bitte-ohne-marx-und-marcuse
2. Zapfenstreich für den eindimensionalen Menschen
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/11884-zapfenstreich-fuer-den-eindimensionalen-menschen