germanhistorydocs.ghi dc.org RHHATPR6Nach der Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille an Roland Koch ist ein politischer Nachruf fällig,  Teil 2/2

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Nach der abwegigen Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille an Roland Koch 2017, mit der der Bock zum Gärtner gemacht wurde, kann der selbsterklärte Unsympath nun als final abgetreten angesehen werden. Er geht also in die Geschichte ein. Damit bietet sich die Gelegenheit, nochmal auf ihn zurückzukommen.

Roland Koch demissionierte 2010, das Generationenabschnittsprojekt, im Rasthof Wetterau einstmals abgesprochen, war mit Kochs Abtritt am Ende, nach elf Jahren, die für das Land Hessen lähmend waren. Das Projekt stand auf schlechtem Untergrund, bestand nur in Reaktion, kam schmallippig und triebgesteuert daher. Es erschöpfte sich im Schema-F eines verblendeten Charakters. Die politische Zu-Grab-Tragung ist mit der dubiosen Verleihung einer Medaille, die wirklich nicht zu ihm passt, nun mit einem schrillen Schlusssatz vollzogen.

Eigentlich ist es doch ein Unding. Einer, der aus dem abseitigen Schmollwinkel des Reflexes und Ressentiments gegen Phantasie-an-die-Macht, Jugendmusik und befreiende Lebensform (als zurückzuckender ‚Entwurf‘ eines verunsicherten jugendlichen Gemüts) angetreten war, hatte seine politische Existenz aus nur einem einzigen Triebsatz gezogen. Getragen wurde dieser vom völkisch angefixten Votum des hessischen Maso-Charakters.

Derartig merkwürdig auf den politischen Schild gehoben, trug das Schein-Projekt, das Nicht-Projekt, nur wenige Jahre. Dann war es geschrumpft wie ein erschlaffter Heißluftballon. Schon länger war die Kochsche Idée-fixe (Anti-'68: Das-ist-meine-Passion - und Welt!) ins Trudeln gekommen, man konnte es ihm ansehen. Er wirkte wie gebrochen, zermürbt, erschlafft. Der Treibsatz war ausgebrannt, sein „System“ gescheitert.

Wie ein Fighter im politischen Boxkampf

Hessen hat Koch über 10 Jahre des Stillstands, des obsessiven, manischen „Reaktionismus“ gegen ein Feindbild zu verdanken. Das Koch-System, Spitze einer männerbündischen Vereinigung, hat das Land gelähmt, gedeihlichen Fortschritt hat es blockiert. Denn Kochs innerste, im Tiefsten eingebrannte Devise war: Jetzt-erst-recht (stampf, stampf), Weiter-so (Lebensform- und Lebensstilwechsel abblocken und rückabwickeln, zurück in die Fünfziger), Nach-uns-die-Sintflut (mit gebremster Umwelt- und konzeptionsloser Wirtschaftspolitik). Kommt uns das in diesen Tagen nicht sehr altneubekannt vor, wenn Unsympathen wie Dobrindt und Söder ante portas stehen, die Totengräber einer befreiten Welt nach dem Sinn von Ernst Bloch - von der jetzt schon welken Groko mal ganz abgesehen.

Koch blieb der unbedeutende Kopf eines gescheiterten Modells, eines Nicht-Projekts, eines Angst-vor-der-Freiheit- und-Öffnung-Modells. Sein Markenzeichen war allein das Reaktive, das Zurückschrecken vor einem nicht gegängelten Leben, befreit vom Vater-Über-Ich. Sein einziges Merkmal war die Gestaltungsschwäche. Er konnte der Welt nichts geben. Welch eine Tragik menschlicher Existenz.

Das schändlichste Kapitel seines Nichtentwurfs war die Kampagne gegen den Doppelpass. So etwas kann nur einer betreiben, der nichts Konstruktives zu bieten hat, der die niedrigste Regung, den seelisch übelsten Auswurf zum Antrieb des politischen Handelns macht. In unguter Erinnerung sind die Szenen an den CDU-Ständen, die daraufhin ausgerichtet waren, dass alte Mütterchen vorbeikamen und gleich frugen: „Wo kann ich denn hier gegen Ausländer unterschreiben?“ In diesen üblen Szenen konzentrierten sich all die niederen Triebe, die das Negative und Verachtungswürdige Kochscher und konservativer Politik ausmachen. Irgendetwas im guten Sinn Voranbringendes hat er nicht zu bieten gehabt, nur Destruktion und Dekonstruktion. Ein armer gefangener Kerl war er, wenngleich keiner, dem man irgendetwas nachsehen sollte. Erwähnt sei an dieser Stelle auch noch die sprichwörtlich gewordene Mär von den „jüdischen Vermächtnissen“.

Blick zurück

Was machte die Sechziger aus? Die Sechziger haben dem verschlafen daherschlurfenden Kapitalismus der miefig-muffigen Adenauerzeit jugendpolitischen und jugendmusikalischen Schwung injiziert, ihn vor dem Verdämmern und Ersterben in bleierner Langeweile, vorm Tod in Altersschwäche bewahrt. Stil-Ikonen wurden in diesem Sinn The Who mit dem epochalen Song ‚My Generation‘ (Film: ‚Generation Beatclub‘). Es ist der Song, der für eine ganze Generation steht. Willy Brandt hatte das, was in der Luft lag und an der Zeit war, aufgegriffen und mehrheitsfähig gemacht. Aber die Armaden des Vereitelns, eine aufgekommene Sonderart des politischen Vampyrismus, standen schon wieder im Dunkel.

Koch steht in einer Reihe mit Vorläufern und Nachahmern

Zu Beginn der 1970er war die aus Nazizeiten überkommene Elite der Industriegesellschaften verbraucht, wehrte sich aber mit Zähnen und Klauen abzutreten. Schließlich kam alternativ die Losung auf: Kapitalrendite hat Vorrang! Ran ans Moos! Der Monetarismus, d.h. die Monetenherrschaft, mit ihren aberwitzigen Finanzmarktkonstrukten und Derivaten fiel in die Gesellschaften ein. Die Finanzideologie leitet Gesellschaften das letzte Stadium ein.

Die strukturierten Titel US-amerikanischer Machart, die sich von der Bindung an reale Werte aus Forschungen und Entwicklungen gelöst hatten – diese sogar untergruben -, deren Volumen das des Weltinlandprodukts an Gütern und produktiven Dienstleistungen vielfach übersteigt, griff als dürftige, schäbige Ersatzreligion auf den von der Politik deregulierten Finanzmärkten Platz. In diesem Fokus stehen wir ungebrochen mit Trump, Merkel, May, Lindner, Dobrindt, Seehofer und Bouffier - auch wenn letzterer zuweilen wie ein gütiger Onkel auftritt. Das System fossiler Gestalten und Gestaltungen will einfach nicht von uns weichen.

Der jugendliche Impuls von ´68 wurde immer mehr abgeblockt und verkürzt

Achtundsechzig, die ästhetische, jugendpolitische Revolution der '60er wurde mit Ökonomie verkürzt und abgebogen, auf Werbespotsplitter reduziert wie etwa mit Afri-Cola als Signum der Verruchtheit und der Assoziationen an ferne Exotik. Janis Joplin war die Sängerin, die den Afri-Cola-Girls den Widerpart bot. Das System der Fossile und ihrer Gefolgsleute machte sich auf, betrieb die „Tendenzwende“. Diese mündete 1974 in den Wende-Bruch der 1970er: Ende der Aufstiegsära der Nachkriegszeit und Beginn des Niedergangszeitalters, mit fortschreitender Umweltzerstörung, Sockelarbeitslosigkeit und immer mehr prekären Jobs im Niedriglohnsektor. Koch war der, der die Arbeitslosen selbst für ihr Los verantwortlich machte (Stichwort: Wisconsin-Modell). Er war aber nur einer von vielen, die das taten.

Die Ölkrise signalisierte ´73, dass ein Innovationsform-Wechsel mit Erneuerbaren Energien, pfleglichem Umgang mit der Altnatur und neuer Arbeit an der Zeit gewesen wäre. Helmut Schmidt, unterwürfiger Gefolgsmann des autoritären Kohle-, Atom- und Stahlkapitalismus, der Beton-, Asphalt- und Fossil-Fraktion, der die SPD teils noch heute anhängt (mit den Erben von Münte- und Clement) - als Innenpolitiker übrigens überbewertet -, hat den Wechsel volkstribunartig vereitelt, bloß weil er eitel war und mit den angehimmelt Mächtigen fraternisieren wollte. Sein Kurz-Projekt fiel 1982 an Kohl, den unflätigen Bauchpolitiker, der den habgierig und gemein Gesinnten der neu formierten Finanzmarktszene und der in Vereinigungsseligkeit gewandeten Abgreifmentalität (Film ‚Beutezug Ost‘) den Weg bahnte.

Reagan und Thatcher, Kohl und Koch, Weltbank und Weltwährungsfond waren Akteure des Scheiterns der Weltgesellschaft fortgeschrittener Staaten und fast auch des kleinen Landes der eigensinnigen und unkalkulierbaren Chatten (Hessens), die auf Koch hereinfielen.

Foto: germanhistorydocs.ghi-dc.org

Info:
‚Ausgekocht‘, Hinter den Kulissen hessischer Machtpolitik, Frankfurt 2010
Artikel „Die im Lichte sieht man nicht“, Skandale, FR 28.8.2010

Die Teile der Serie in WELTEXPRESSO:

1. Coca-Cola-ja, aber bitte ohne Marx und Marcuse
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/11883-coca-cola-ja-aber-bitte-ohne-marx-und-marcuse
2. Zapfenstreich für den eindimensionalen Menschen
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/11884-zapfenstreich-fuer-den-eindimensionalen-menschen