Constanze Weinberg
Buxtehude (Weltexpresso) - „Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang“, möchte man – wie einst Frundsberg auf dem Wormser Reichstag, an Luther gerichtet, meinte – dem SPD-Vorsitzenden Martin Schulz zurufen, der auf einem Parteitag der SPD das Ergebnis der Sondierungsgespräche über eine Regierungsbildung verteidigen und sich die Zustimmung zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen einholen muss. Auf dem Tisch liegt ein Paket mit schwarzem Inhalt, verziert mit einem rosa Schleifchen.
Bei der Vorstellung des Kompromisspapiers sprach ein sichtlich angespannter Martin Schulz von einem „hervorragenden Ergebnis“, Angela Merkel, wie immer scheinbar unbewegt, von einem „Papier des Nehmens und Gebens“. Horst Seehofer gab sich „hochzufrieden“, auch wenn die Einführung einer Grundrente für seine Partei noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen sei. Nachgegeben haben die Unionsparteien auch bei der Forderung der Sozialdemokraten, die Arbeitgeber wieder an den Beiträgen zur Krankenversicherung zu beteiligen. Dafür musste die SPD auf ihre Forderung nach Einführung einer Bürgerversicherung und damit nach Abschaffung der Zweiklassenmedizin verzichten. Hinnehmen musste sie auch die von der Gegenseite für unabdingbar gehaltene Obergrenze bei der Zuwanderung, was auf dem Parteitag für Martin Schulz zum Stolperstein werden könnte.
Auf Drängen der SPD wurde unter dem Etikett „Aufbruch für Europa“ die Zusammenarbeit mit Frankreich besonders betont, wobei unklar bleibt, auf welcher Seite die Sozialdemokraten im Konflikt um die Beschneidung von Arbeitnehmerrechten in Frankreich stehen werden – auf der Seite Präsident Macrons oder auf der Seite ihrer französischen Schwesterpartei. Dass die Eurokraten ausgerechtet die Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet als einigendes Band betrachten und eine europäische Verteidigungsunion ausgerufen haben, reißt nur Wenige vom Hocker. Ursula von der Leyens Jubelruf „Ein großer Tag für Europa“ blieb jedenfalls ohne Resonanz bei den Wählern. Weshalb die sich bei der Bundestagswahl in Scharen von den regierenden Parteien abgewandt und der AfD zugewandt haben, wird in dem Sondierungspapier nicht unter die Lupe genommen, obwohl die Probleme rund um die Regierungsbildung genau daraus resultieren.
In der Präambel wird davon gesprochen, dass der soziale Zusammenhalt in unserem Lande gestärkt und die entstandenen Spaltungen überwunden werden sollten. Das hatte sich schon Johannes Rau vorgenommen, der als Bundespräsident „versöhnen statt spalten“ wollte, ohne damit Nennenswertes bewirken zu können. So ähnlich klang es jetzt bei Martin Schulz und Angela Merkel. Beide wollen den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken. Was meinen sie damit? Wer soll mit wem zusammenhalten? Der vom Verlust seines Arbeitsplatzes bedrohte Monteur bei Siemens mit dem Besitzer eines dicken Aktienpakets? Die Frau an der Kasse im Drogeriemarkt mit dem Firmeninhaber, der den Laden auf dubiose Weise in die Pleite geführt hat? Das Gerede vom Zusammenhalt der Gesellschaft erinnert fatal an das Gerede von der Volksgemeinschaft unseligen Angedenkens. So als ließen sich Klassenunterschiede einfach wegschwadronieren.
Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher hat am 21. September 1949 als Oppositionsführer im ersten Deutschen Bundestag etwas gesagt, das die Sozialdemokraten von heute nachdenklich stimmen sollte: „Wir haben eine in Sachen Besitzverteidigung sehr unsentimentale Regierung, und es wird die Aufgabe der Opposition sein, bei der Interessenvertretung der arbeitenden Bevölkerung ebenso unsentimental zu sein.“ Man darf gespannt sein, wie der SPD-Parteitag das von Martin Schulz als hervorragend bezeichnete Ergebnis der Sondierungsgespräche bewerten wird. „Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang . . .“
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