a nsuFilm „Aus dem Nichts“ mit dem Golden Globe geehrt, Teil 1/2

Conrad Taler

Frankfurt/Main (Weltexpresso) - Zum ersten Mal seit acht Jahren ist ein deutscher Film mit dem Golden Globe ausgezeichnet worden, ein Film, der sich mit einem brandaktuellen Thema befasst, den Morden einer kleinen Gruppe, die sich „Nationalsozialistischer Untergrund“ nannte, abgekürzt NSU. Brandaktuell ist „Aus dem Nichts“ deshalb, weil der Münchner Prozess um die Mordserie nach fünf Jahren sein Endstadium erreicht hat.
Für den deutschen Regisseur Fatih Akin, Sohn türkischer Einwanderer, ist die Auszeichnung nach seinen Worten vor allem deshalb wichtig, weil die NSU-Morde im Bewusstsein gehalten werden müssten. Die Vorgeschichte des Verbrechens und die skandalösen Begleitumstände schildert Conrad Taler in seinem kürzlich erschienenen Buch „Gegen den Wind“, dem wir die nachfolgenden Auszüge entnehmen. Die Redaktion.

Ungestört konnte eine rechtsextremistische Gruppe, die sich Nationalsozialistischer Untergrund nannte, zwischen 2000 und 2006 zehn Menschen ermorden, ehe der Skandal 2011 aufflog. Noch immer rätselt die Öffentlichkeit, weshalb der Verfassungsschutz nicht den geringsten Hinweis auf das Treiben der Mörderbande gegeben hat. Dabei hätten bei ihm sämtliche Alarmglocken läuten müssen; schließlich wurden immer wieder Menschen türkischer oder griechischer Herkunft nach dem gleichen Muster regelrecht hingerichtet.

Man durfte gespannt sein, was der Verfassungsschutz im offiziellen Bericht für das Jahr 2011 zu seiner Rechtfertigung sagen würde. Aber auf den 500 Seiten findet sich dazu keine Zeile. Kein Wort darüber, weshalb niemand auf den Gedanken kam, die Morde könnten einen fremdenfeindlichen rechtsextremistischen Hintergrund haben. Schmallippig spricht Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Vorwort von einem »schmerzlichen 
Misserfolg« und »möglichen Fehlern«, dabei war von Anbeginn klar, dass unbegreifliche Fehler gemacht worden sind. Die Mitglieder der Terrorzelle konnten ungestört abtauchen und erhielten, wie die Süddeutsche Zeitung am 15. April 2013 spöttisch bemerkte, alle Zeit, sich im Untergrund einzurichten. Angesichts der Haltung des Bundesinnenministers verwundert es nicht, dass die unteren Chargen des Verfassungsschutzes nichts unversucht ließen, die  Spuren ihres Versagens bei der Aufdeckung des so genannten »Nationalsozialistischen Untergrunds« zu verwischen, angefangen vom Schreddern wichtiger Akten bis hin zum banalen Gerede von angeblichen Fahndungspannen.

Im Untersuchungsausschuss des Bundestages stellten sich die Beteiligten unwissend oder machten keinen Hehl aus ihrer Geringschätzung gegenüber den Aufklärungsbemühungen der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Anscheinend herrscht in den Amtsstuben des Verfassungsschutzes immer noch das Scheuklappendenken früherer Zeiten, das den Rechtsstaat hauptsächlich von links her bedroht sieht. Die mutmaßlichen Täter wurden jedenfalls nicht unter Rechtsextremisten gesucht, sondern im Umfeld der Opfer, ja sogar bei den Familien der Betroffenen. Das Verhalten des Verfassungsschutzes, seine Untätigkeit in diesem einzigartigen Fall, hat politische Ursachen. Über diese Ursachen muss gesprochen werden und es müssen Konsequenzen gezogen werden, wenn sich das Vorgefallene nicht wiederholen soll.

Die Verharmlosung des Rechtsextremismus hat eine lange Vorgeschichte. Sie beginnt damit, dass Angehörige der Gestapo und der SS als Taufpaten an der Wiege des Verfassungsschutzes standen. Deren Augenmerk war natürlich nicht auf den Rechtsextremismus gerichtet, dem sie bis vor kurzem selber gedient hatten, sondern auf die Gegner von gestern, auf tatsächliche und vermeintliche Kommunisten, radikale Christen und Pazifisten.  Widerstandskämpfer gegen die Nazidiktatur, dem KZ gerade entronnen, sahen sich bald wieder vor dem Richter, und oft war dieser ein alter Nazi. (»Süddeutsche Zeitung«, 14. März 2009). Wer sich als Antifaschist bekannte, galt als linksextremistisch und damit als Staatsfeind. Als die Zwickauer Terrorzelle ihre Blutspur ungehindert quer durch Deutschland ziehen konnte, hatte der Verfassungsschutz nichts Wichtigeres zu tun, als die Öffentlichkeit davor zu warnen, rechtsextremistische und ausländerfeindlich motivierte Straftaten von einer antifaschistischen Position aus zu bewerten. Nachzulesen im Jahresbericht 2003, Seite 155. Derselbe Irrwitz findet sich in den »Texten zur inneren Sicherheit«, herausgegeben vom Bundesminister des Innern im November 1992 auf Seite 96. Dort heißt es: »Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung machen sich die rechtsextremen Erscheinungen zu Nutze, um unter dem Vorwand des Antifaschismus die freiheitlich demokratische Grundordnung zu bekämpfen.« (Seite 78)

Die Neonazis werden sich ausschütten vor Lachen. Für Anschläge auf jüdische Einrichtungen wurden nicht sie, sondern die deutschen Kommunisten oder östliche Geheimdienste verantwortlich gemacht. Bereits drei Jahre nach Gründung der Bundesrepublik war die gesellschaftliche Ausgrenzung der kommunistischen Minderheit wieder so weit gediehen, dass die meisten westdeutschen Zeitungen kommentarlos darüber hinweggingen, als bei einer verbotenen Demonstration gegen die Wiederbewaffnung ein Kommunist erschossen wurde. Angesehene Blätter wie »Der Spiegel« und die Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit« nahmen von dem Ereignis nicht einmal nachrichtlich Notiz. Helmut Kohl hielt dem Initiator des Auschwitzprozesses, Fritz Bauer, Anfang der 1960er Jahre entgegen, der zeitliche Abstand zum Dritten Reich sei noch viel zu kurz für ein abschließendes Urteil über den Nationalsozialismus.

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Aus: Conrad Taler, Gegen den Wind, PapyRossa Verlag, Köln 2017