Film „Aus dem Nichts“ mit dem Golden Globe geehrt, Teil 2/2
Conrad Taler
Frankfurt/Main (Weltexpresso) - Zum ersten Mal seit acht Jahren ist ein deutscher Film mit dem Golden Globe ausgezeichnet worden, ein Film, der sich mit einem brandaktuellen Thema befasst, den Morden einer kleinen Gruppe, die sich „Nationalsozialistischer Untergrund“ nannte, abgekürzt NSU. Brandaktuell ist „Aus dem Nichts“ deshalb, weil der Münchner Prozess um die Mordserie nach fünf Jahren sein Endstadium erreicht hat.
Für den deutschen Regisseur Fatih Akin, Sohn türkischer Einwanderer, ist die Auszeichnung nach seinen Worten vor allem deshalb wichtig, weil die NSU-Morde im Bewusstsein gehalten werden müssten. Über die Vorgeschichte des Verbrechens und die skandalösen Begleitumstände schildert Conrad Taler in seinem kürzlich erschienenen Buch „Gegen den Wind“, dem wir die nachfolgenden Auszüge entnehmen. Die Redaktion.
Triumphierend verkündete im Oktober 1980 der Eigentümer der rechtsgerichteten »Deutschen Nationalzeitung«, Gerhard Frey, soeben sei das 500. Strafverfahren gegen ihn ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Selbst vor dem Bundesverfassungsgericht blieb Frey ungeschoren. Geholfen hatte ihm ein Rechtsgutachten von Theodor Maunz, dessen Kommentar zum Grundgesetz bis heute Pflichtlektüre eines jeden Jurastudenten ist. Nach dem Tode von Maunz wurde bekannt, dass er insgeheim für das antisemitische Hetzblatt gearbeitet hatte. Der Herausgeber der »Deutschen Nationalzeitung« habe mit Maunz »seinen wunderbaren Wegbegleiter« verloren, hieß es in einem Nachruf der Redaktion. Ein Vierteljahrhundert sei Maunz maßgeblicher Berater von Dr. Frey gewesen. Eineinhalb Jahrzehnte hindurch habe er beinahe allwöchentlich seine – wie es hieß – »hervorragenden politischen Beiträge« ohne Autorenangabe in der »Nationalzeitung« veröffentlicht.
Ganz offensichtlich gibt es in Deutschland zwei gegenläufige historische Orientierungen: Die offiziellen Bekenntnisse zum Widerstand gegen die Nazidiktatur auf der einen Seite und auf der anderen die Geringschätzung des Widerstandes aus den Reihen der Arbeiterschaft. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel hat seiner Partei bereits 1980 vorgehalten, ihr Bestreben, die Zeit des Nationalsozialismus zu verdrängen, habe zu einer »Verkümmerung des Geschichtsbewusstseins« geführt; vielfach sei die Verbindung zur Geschichte überhaupt verloren gegangen. Inzwischen gilt das auch für die Nachkriegsgeschichte. Wie sonst könnte die DDR mit der Nazidiktatur auf eine Stufe gestellt werden. Nach Berechnungen der ehemaligen Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben haben alle DDR-Richter zusammen in 40 Jahren 214 Todesurteile gefällt. Darunter waren 94 Urteile wegen NS-Verbrechen und 74 wegen so genannter Staatsverbrechen, also politisch motivierte Urteile. Der ehemalige Nazirichter Hans-Joachim Rehse allein hat 231 Todesurteile gefällt, also mehr als alle DDR-Richter zusammen. Er wurde am 6. Dezember 1968 vom Schwurgericht beim Landgericht Berlin freigesprochen.
Historiker des Münchner Instituts für Zeitgeschichte haben festgestellt, dass der politisch motivierte Widerstand gegen das NS-Regime zu 75 Prozent kommunistischer Widerstand war, zu zehn Prozent sozialdemokratischer und zu drei Prozent christlich-bürgerlicher Widerstand. Mannheimer Wissenschaftler haben die Lebensläufe von 1.675 führenden deutschen Kommunisten untersucht und festgestellt, dass 256 von ihnen dem Terror der Nazis und 208 dem Terror Stalins zum Opfer gefallen sind. Bundespräsident Heinrich Lübke – alles andere als ein Freund der Linken – sagte in einer Gedenkrede zum 20. Juli, viele kommunistische Widerstandskämpfer seien unabhängige Idealisten gewesen, und es wäre unredlich, ihnen unterschieben zu wollen, sie hätten nur als Handlanger einer fremden Macht gehandelt. Richard von Weizsäcker hat in seiner viel zitierten Rede zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus den Widerstand der Kommunisten gegen Hitler ausdrücklich in das ehrende Gedenken einbezogen.
Mit der Bespitzelung von Antifaschisten desavouiert der Verfassungsschutz gleich zwei Bundespräsidenten. Er stärkt die Rechtsextremisten indem er ihre Gegner schwächt. Wozu die Neonazis fähig sind, zeigte sich 1996 auf einer Kundgebung des Bundes der Vertriebenen. Dort beschimpften sie den Bundespräsidenten Roman Herzog als »Vaterlandsverräter«, weil er die deutschen Gebietsverluste im Osten als endgültig bezeichnet hatte. Die deutsche
Öffentlichkeit hat davon so wenig Notiz genommen wie von der alarmierenden Feststellung der Landesanwaltschaft Bayern, die innenpolitische Entwicklung sei dadurch gekennzeichnet, dass verfassungsfeindliche, den Nationalsozialismus billigende, verherrlichende oder rechtfertigende Bestrebungen geduldet werden. Die Landesanwaltschaft – in anderen Bundesländern Generalstaatsanwaltschaft genannt – erklärte das in einem Gutachten für das Bundesverfassungsgericht. (BvR 461/08). Das Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) war keine Panne, sondern die Folge politischer Einäugigkeit.
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Info:
Aus: Conrad Taler, Gegen den Wind, PapyRossa Verlag, Köln 2017