Auch die neue Parteispitze stellt keine sozialen Fragen
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Grüne Träume tragen zwei neue Namen: Robert Habeck und Annalena Baerbock. Für welche Inhalte die neuen Vorsitzenden der Öko-Partei stehen, ist auf dem Parteitag in Hannover jedoch nicht klargeworden.
Naheliegende Fragen wie die nach einer Vermögenssteuer, einer Herausnahme des Mietwohnungsbaus aus dem Profitsektor, einem klassenlosen Gesundheitssystem und einer stabilen gesetzlichen Rente wurden weder deutlich gestellt noch eindeutig beantwortet. Möglicherweise, weil die Parteitagsregie fürchtete, dass sich dann die neuen Namen rasch in Schall und Rauch auflösen könnten. Stattdessen pflichtmäßiges Appellieren für mehr Klimaschutz und die derzeit von den Grünen nicht einlösbare Forderung nach dem Ausstieg aus der Braunkohle. So ist der Verdacht nicht zu entkräften, dass die Grünen lediglich emsig an der Dekoration und anderen Äußerlichkeiten gearbeitet haben. Es aber ansonsten bei der Tristesse bleiben wird, die vor allem von schwarz-grünen oder schwarz-grün-gelben Koalitionen verströmt wird.
Als Bürger Frankfurts verbinde ich mit den Grünen die kampflose Überlassung des Immobilienmarktes an Spekulanten, namentlich vorangetrieben von dem seinerzeitigen Planungsdezernenten Olaf Cunitz. Ebenso die inkohärente Schulpolitik der Dezernentinnen Jutta Ebeling und Sarah Sorge. Von der einst groß angekündigten menschenfreundlichen Verkehrspolitik einschließlich Tempo 30 in der gesamten erweiterten Innenstadt ist längst nicht mehr die Rede. Geblieben ist davon lediglich eine dilettantische Deregulierung des Radverkehrs. Diese hat mittlerweile vielen Fußgängern auf Gehwegen Blessuren eingetragen, die Radfahrer dem kollektiven Verdacht der Farbenblindheit angesichts von Verkehrsampeln ausgesetzt und dem an sich vernünftigen Verkehrsmittel zu einem spürbaren Imageverlust verholfen.
Wenn ich dann weiter in die hessische Landeshauptstadt, nach Wiesbaden, blicke, stelle ich fest, dass die Grünen auch dort auf ihrem ureigensten Terrain, dem Lebens- und Umweltschutz, wortbrüchig geworden sind. Die Fluglärmlobby kann sich kaum einen schlitzohrigeren Verfechter ihrer Anliegen wünschen als den grünen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. Parallel dazu vermittelt Ministerin Priska Hintz, zuständig für Umwelt, Klimaschutz und Landwirtschaft, sogar den Eindruck, das endgültige Begräbnis hessischer Umweltpolitik einleiten zu wollen. Und das dunkle Kapitel, das der hessische Landesverfassungsschutz in der NSU-Affäre verfasst hat, lässt sich nicht ausleuchten, weil die Grünen in Nibelungentreue zu ihrem schwarzen Regierungspartner stehen.
Rudi Dutschke hatte kurz vor seinem Tod im Dezember 1979 die sich abzeichnende Gründung einer bundesweiten grünen Partei mit dem dringenden Hinweis kommentiert, dass die Grün-Alternativen nicht darum herum kämen, die soziale Frage zu stellen. Denn die Zerstörung der natürlichen Lebensräume für Mensch, Flora und Fauna sei unabweisbar eine Begleiterscheinung des ungebändigten Kapitalismus.
Mir fehlt die Phantasie, um mir Robert Habeck und Annalena Baerbock als antikapitalistische Kämpfer vorstellen zu können. Aber vielleicht geschehen noch Zeichen und Wunder.
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Grüne wählen neue Parteispitze: Robert Habeck und Annalena Baerbock
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