Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Der Korruptionsskandal spitzt sich zu – das immer erdrückendere Verdachtsmaterial bringt Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und besonders Binyamin Netanyahu in Bedrängnis.
Bei allem guten Willen, den sensationslüsternen Stil vieler israelischer Medien nicht kopieren zu wollen, muss es doch einmal undiplomatisch klar gesagt werden: Es wird von Tag zu Tag schwieriger, führenden israelischen Politikern und Wirtschaftshaien zu glauben, was ihre Unschuldsbeteuerungen angesichts der seit Monaten gegen sie laufenden Untersuchungen in Korruptions- und Betrugsskandalen betrifft. Vor allem fällt es einem einigermassen über der Sache stehenden Beobachter der Szene immer schwerer, etwa dem von Premier Binyamin Netanyahu geprägten Spruch, es «wird nichts sein, weil nichts gewesen ist» mehr als nur ein nachsichtiges Lächeln entgegenzusetzen. Grund wäre nicht etwa eine besonders tiefe Antipathie dem Regierungschef und seinem Argumentationsstil gegenüber. Vielmehr rückt die immer drückendere Last des Verdachtsmaterials Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in die Nähe oder gar ins Zentrum handfester Bestechungsskandale in Millionen- oder gar Milliardenhöhe.
Immer mehr Widersprüche
Dem unbeteiligten, aber interessierten Verfolger der Entwicklungen fällt es immer schwerer, die Menschen, die aus ideologischen oder parteipolitischen Motiven hinter den Beschuldigten stehen, zu verstehen. Aber gerade weil sich die Verdächtigten angesichts der gegen sie laut werdenden Anschuldigungen in immer unlogischer erscheinende Widersprüche verwickeln, muss man zumindest kritische Fragen zulassen. Aber auch jetzt gilt immer noch der Grundsatz, dass eine Person oder Organisation so lange als unschuldig zu gelten hat, bis das Gegenteil nicht eindeutig bewiesen ist. Dessen ungeachtet wird immer klarer, dass auch enge Freunde und Gesinnungsgenossen der Leute, um deren Hals die Schlinge eines mehr oder weniger noch funktionierenden Rechtswesens sich immer enger zu schliessen droht, Abstand von den Unschuldsbeteuerungen Binyamin Netanyahus nehmen. Allein die ideologisch den Verdächtigten gegenüber verpflichteten Anhänger scheinen nach wie vor der Meinung zu sein: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Ein neuer Aspekt
In der Berichtswoche erhielt die ganze Thematik durch das Aufkommen des möglicherweise gigantischen Falls Bezeq-Walla einen neuen, konkreten Aspekt. Shaul Elovitch, der Besitzer sowohl des israelischen Telekommunikationsriesen Bezeq als auch des Websitekonzerns Walla, steht im Verdacht, Bestechungen von bis zu einer Milliarde Schekel verteilt und erhalten zu haben. Wie die Tel Aviver Staatsanwaltschaft diese Woche dazu erklärte, seien sowohl Bezeq als auch Premier Netanyahu in diesen Fall involviert. Damit wurden im sogenannten Fall 4000 zum ersten Mal der Regierungschef und die Bestechungsaffäre direkt miteinander in Verbindung gebracht. Während einer Anhörung diese Woche sagte ein Vertreter der Staatsanwaltschaft, die Affäre drehe sich darum, dass eine führende Website für günstige Berichte im Austausch für regulatorische Vorteile durch das Kommunikationsministerium, den Kommunikationsminister (Netanyahu) und den Generaldirektor des Kommunikationsministeriums sicherte. Bei diesem Generaldirektor handelt es sich um den inzwischen zum Kronzeugen der Anklage gewordenen Shlomo Filber. Angeheizt wurde die Gerüchteküche durch die Ablehnung der Gesuche von Elovitch und Nir Hefetz, eines ehemaligen Medienberaters des Premierministers, aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden. Das Tel Aviver Bezirksgericht ordnete vielmehr die Verlängerung der Haft für die beiden bis mindestens Sonntag an. Elovitch und Hefetz gelten als die beiden Hauptverdächtigten des Dossiers 4000. Das Korruptionsdezernat der Polizei untersucht hier die Beziehungen zwischen Premier Netanyahu und Elovitch. Laut einem TV-Bericht soll letzterer heute, Freitag, von der Polizei in der Sache befragt werden. Eine Entlassung Elovitchs und Hefetz vor dieser Befragung könnte, so fürchtet die Polizei, zu einer Behinderung der Justiz führen. Hefetz wird bereits der Bestechung und der Behinderung der Justiz verdächtigt. Er steht sowohl im Zentrum der Bezeq-Walla-Affäre als auch des Falls, in dem die Polizei die Umstände untersucht, unter denen 2015 die Richterin Hila Gerstl zur Generalstaatsanwältin ernannt werden sollte. Im Austausch dafür hätten gegen Sara Netanyahu laufende Untersuchungen abgebrochen werden sollen.
Aufklärung ist nötig
Premier Netanyahu reagierte umgehend auf seiner Facebook-Seite: «Nachdem behauptet wurde, der Premierminister habe Zigarren im Wert von einer Million Schekel geraucht, steigt nun der neue Ballon: Vorteile für eine Milliarde Schekel. Aber alle Aktionen (Netanyahus bezüglich Bezeq, Anm. d. Red.) wurden auf professionelle Weise getan und basierten auf Empfehlungen Offizieller und juristischem Rat.» Und dann kam der markige vorläufige Schlusssatz des Premiers: «Keine Million, keine Milliarde, sondern gar nichts.»
Glauben versetzt bekanntlich Berge. Andererseits wird der Sumpf, den die wirkliche oder vermeintliche Kette der Skandale aufgewirbelt hat, immer tiefer und undurchsichtiger. Wird die Schmutzschleuderei aller Beteiligten nicht möglichst rasch eingestellt – entweder durch Schuldsprüche, verbunden mit adäquaten Urteilen, oder dann aber durch eine völlige Reinwaschung der Betreffenden von allen Verdachtsmomenten, dann aber riskiert das in Israel lebende Volk, derart beschmutzt zu werden, dass die entstandenen Flecken auf Generationen hinaus zu sehen und zu spüren sein werden. Das wäre an sich tunlichst zu vermeiden, steht besagtes Volk doch vor ungleich grösseren und teilweise auch gefährlicheren Problemen, die es zu lösen gilt.
Foto:
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 3. März 2018
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 3. März 2018