A gentlemen blogOder: Wenn Besuch länger bleibt

Kurt Nelhiebel

Frankfurt (Weltexpresso) – Unser Mitarbeiter hat uns einen weiteren Brief an seine Brieffreundin zum Abdruck zur Verfügung gestellt. Den Namen der Empfängerin haben wir geändert.Die Redaktion

Liebe Frau Meyerdierks,

in Ihrem jüngsten Brief fragen Sie sich und mich, ob es denn so sein müsse, dass Menschen, die eine fremde Sprache sprechen und erkennbar aus einem anderen Umfeld kommen, als bedrohlich erlebt werden. Nein, das muss nicht so sein. Eine Bewohnerin von London, die es von Kindesbeinen an gewohnt ist, auf der Straße Menschen zu begegnen, die eine andere Sprache sprechen und anders aussehen, empfindet das nicht als bedrohlich, sondern als normal. Die Bewohnerin eines Stadtteils in Essen hingegen, in dem früher nur Deutsche zu Hause waren, während er jetzt überwiegend von Menschen bewohnt wird, die anders aussehen und die eine fremde Sprache sprechen, wird sich mit der Zeit möglicher Weise in ihrer Lebensweise bedroht fühlen..

Mit Sicherheit werden es die Kinder und die Enkel deutscher Eltern und Großeltern eines Tages anders empfinden. In den meisten Schulen haben die Kinder kein Problem mit der Hautfarbe oder der Sprache ihrer Mitschüler, es sei denn, die Kinder werden von ihren Eltern zu provokativem Verhalten angestachelt. Das hängt zum Teil auch davon ab, wo sich die Schule befindet. Je geringer die sozialen Unterschiede sind, desto besser sind die Aussichten auf ein gedeihliches Zusammenleben.

Woran mag es wohl liegen, dass die von vielen Menschen als wohltuend empfundene Willkommenskultur nicht von Dauer gewesen ist? Christliche Nächstenliebe hat doch gewöhnlich tiefere Wurzeln als bloßes Mitleid? Haben manche das Ganze vielleicht für einen Event gehalten? Entsprach es 2015 einem gesellschaftlichen Trend, mit Obsttüten und Butterbroten Spalier für Flüchtlinge zu bilden? Die Stimmung änderte sich, als die Angekommenen nicht wieder in den Zug stiegen, sondern blieben. Und sie sind immer noch da. Da reicht das fröhliche „Wir schaffen das“ von Frau Merkel als Motivation nicht mehr.

Jeder von uns hat schon seine Erfahrungen mit liebem Besuch hinter sich. Dabei sind das meistens Freunde oder Verwandte. Irgendwann geht man sich gegenseitig auf die Nerven. Man möchte seine vier Wände wieder für sich haben und den eigenen Gewohnheiten nachgehen können. Ich weiß, dass man das nicht miteinander vergleichen kann, aber ganz voneinander trennen lässt es sich auch nicht. Gesellschaftliche Probleme lassen sich mit privater Wohltätigkeit vielleicht mildern, aber nicht lösen. Ich habe großen Respekt vor Menschen, die sich bei der Linderung sozialer Not engagieren, egal, wem das Engagement zugute kommt. Ohne diese Menschen wäre Vieles noch viel schlimmer. Aber am eigentlichen Problem ändert sich dadurch nichts.

Diejenigen, die die Zuwanderer aus dem Nahe Osten oder vom Balkan als Sündenböcke benutzen, um von den Ursachen sozialer Missstände abzulenken, die haben kein Interesse daran, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich gemildert werden. In dem Fall müssten sie ja selbst etwas abgeben und das tut bekanntlich weh. Um was es unter anderem geht, stand dieser Tage auf der ersten Wirtschaftsseite einer großen Zeitung.

Danach wurde 2017 nur ein knappes Drittel des Inlandsproduktes von insgesamt 3.227 Milliarden Euro für soziale Leistungen ausgegeben. Davon wiederum entfielen lediglich 45 Milliarden Euro auf die am meisten Bedürftigen. Penibel rechnet der Staat ihnen bis auf den Cent vor, wie viele Euro monatlich für Essen, Trinken und kulturelle Teilhabe ausreichen müssen, Besonders krass wirkt diese Rechnerei im Licht der Großzügigkeit im Umgang mit Boni-Zahlungen.

Ja, Sie haben Recht, die Situation wäre anders, wenn es keine Armut in Deutschland gäbe. „...doch die Verhältnisse, die sind nicht so...“(Brecht).


Foto:
© gentleman-blog.de