Bildschirmfoto 2018 04 09 um 07.05.59Netanyahu gibt ein Mal mehr dem Druck von rechts nach

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Israels Premierminister Binyamin Netanyahu zeige mit seinem Nachgeben der Koalition gegenüber in der Migrationsfrage, dass er gar nicht am Ruder sei. Diese für den Regierungschef wenig schmeichelhafte Analyse veröffentlichte die «Jerusalem Post» am Dienstag, nachdem bekannt wurde, dass Netanyahu den keinen Tag zuvor mit Fanfaren angekündigten Deal mit dem Uno-Hochkommissar für Flüchtlingsfragen kurzerhand wieder annullierte.

Vorhergegangen waren Gespräche mit Einwohnern der besonders stark betroffenen Gegend von Süd-Tel-Aviv und mit Innenminister Arie Deri. Dieser hatte am Montag den Premier bei der hastig einberufenen Pressekonferenz über das Abkommen mit der Uno sekundiert, stand am Dienstag aber angesichts der koalitionsbedingten Wankelmütigkeit Netanyahus nah der ebenso überhasteten Annullierung des Abkommens mit «abgesägten Hosen» da. Nach dem kläglichen Ende des halbherzigen Versuchs des Regierungschefs, zusammen mit der internationalen Völkergemeinschaft und der Uno eine einigermassen humane Lösung für das Schicksal der rund 39000 in Israel lebenden Asylsuchenden zu finden, versteht man auch, warum Netanyahu so sehr daran gelegen war, die Verhandlungen mit der Uno, mit Innenminister Deri und mit potentiellen Aufnahmestaaten im Westen geheim zu halten.

Typisch auch für das übers Knie gebrochene Vorgehen Netanyahus ist die Tatsache, dass der Premier für die Idee vor deren Publikation weder die Genehmigung des Kabinetts erbat, noch diejenige des Sicherheitskabinetts oder des Forums der Führer der Koalitionsparteien. Auch Justizminister Ayelet Shaked war nicht eingeweiht worden, wofür es gute Gründe gab: Shaked gehört dem «Jüdischen Haus» an, der Partei von Bildungsminister Naftali Bennett, einem der ausgeprägtesten Gegner einer Internationalisierung der Lösung des Migrationsproblems.

Wie die «Jerusalem Post» schrieb, fürchtete Netanyahu, dass Bennett im Falle eines verfrühten Durchsickerns des Plans die Rechte auf die Barrikaden lagen und vielleicht erneut eine Koalitionskrise vom Zaune brechen würde. Der Regierungschef machte sich seinen Rückzieher denkbar einfach. Zu Beginn des Treffens mit den Einwohnern von Süd-Tel-Aviv gab er die Annullierung des Deals mit der Uno bekannt und sagte unter anderem: «Ich hörte aufmerksam den vielen Kommentaren über das Abkommen zu. Nach der Re-Evakuierung der Vor- und Nachteile des Deals beschloss ich, diesen zu annullieren.» Und dann fuhr er fort: «Trotz der wachsenden legalen und internationalen Beschränkungen werden wir fortfahren, entschlossen daran zu arbeiten, alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, die Infiltranten zu entfernen.»

Zuvor schon hatte Bennett Netanyahu kritisiert und gesagt, die Suspendierung des Deals würde  nicht ausreichen; er müsse annulliert werden. Diese kaum vertuschte Drohung mit dem Koalitionsfinger reichte dem zaghaften Netanyahu offenbar bereits, und nach wenigen Stunden gehörte das Abkommen mit dem Hochkommissar für Flüchtlinge bereits wieder der Vergangenheit an. Übrig geblieben ist die Bestätigung für die Richtigkeit der alten Binsenwahrheit, wonach in Israel die Aussenpolitik eine Funktion der Innenpolitik ist. Ganz gewiss dürfte dies für einen in den verschiedensten politischen und parlamentarischen Engpässen steckenden Premierminister wie Netanyahu gelten. Seine oberste Priorität ist und bleibt die Sicherung seines Chef-Sitzes im Kabinett. Alles andere, einschliesslich das internationale Image des Staates, hat eine Funktion davon zu bleiben, zumindest so lange wie Netanyahu  seinen politischen Überlebenskampf nicht verliert. 

Das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge sagte am Dienstag, man hoffe, Israel werde auf seinen Entschluss zurückkommen, den Deal zur Umsiedlung afrikanischer Asylsuchender in westliche Nationen zu annullieren. Die Uno-Agentur erklärte auch, sie offeriere, mit Israel zusammenzuarbeiten, um die Schutzbedürfnisse der Asylsuchenden im Jüdischen Staat zu identifizieren und auf sie zu reagieren.

Foto:
Ein afrikanischer Migrant und sein Sohn schauen von einem Balkon in Süd-Tel-Aviv.
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. April 2018