kpm Facebook unter der LupeDie Diskussion über Facebook hält an

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Rassisten und Hassprediger nutzen Facebook, weil dort die Chancen besonders groß sind, auf ein Publikum zu treffen, das offen ist für antidemokratische Botschaften und Vorurteile aller Art.

Würde hier, wie unlängst eine Redakteurin der FRANKFURTER RUNDSCHAU anregte, der Stecker gezogen, stünde das rechte Milieu vor einem massiven Kommunikationsproblem. Denn ausschließlich mit anonymem Surfen auf den Darknet-Seiten des Neo-Faschismus, dem Druck und Vertrieb von Broschüren sowie dem Auftritt rechter Rock-Gangs lässt sich die Szene weder zusammenhalten noch aktivieren. Allein aus staatsrechtlichen Gründen (Strafbarkeit der Verherrlichung des NS-Staats und seiner Nachfolgeideologien) spricht alles dafür, diese Kanäle zu kappen.

Das andere - nämlich systemimmanente - Problem dieses kommerziellen Netzwerks resultiert aus der Tatsache, dass sich Menschen mehrheitlich nicht darüber im Klaren zu sein scheinen, welche Folgen die leichtfertige Überlassung personenbezogener Daten hat. Was eigentlich verwundert, denn in dieser kapitalistisch formierten Gesellschaft ist kaum etwas kostenlos. Jeder, der die Nachrichten verfolgt, hört und liest von den horrenden Umsätzen, die Facebook mit dem Verkauf dieser Daten erzielt (im Jahr 2017 waren das ca. 40 Milliarden US-Dollar). Aber der Nutzer scheint das Geschäftsmodell nicht zu kapieren. Selbst wenn Mark Zuckerberg Einsicht und Besserung gelobt: Wie will er noch Geld verdienen, wenn er die ihm anvertrauten Daten nicht mehr anrührt?

Ist sich der Bürger denn nichts mehr wert? Warum verschleudert er für den Gegenwert einer simpel gestrickten interaktiven Internetseite seine elementaren Lebensinteressen, die nicht zuletzt auf Vertraulichkeit basieren? Dieses naive Verhalten steht im krassen Gegensatz zu den (durchaus legitimen) Sicherheitsinteressen eines großen Teils der Bevölkerung. Zur Abwehr von Straßenräubern bewaffnet man sich mit Pfefferspray, Messern und Schreckschusspistolen (statt Steuergelder in mehr und besser ausgestattete Polizisten sowie in die Prävention zu investieren). Den Räubern im Netz hingegen biedert man sich an; prahlt sogar mit seinem Facebook- und Whatsapp-Account. „Schlitzohr sucht doofe Freunde“ sollte ehrlicherweise auf Zuckerbergs Abzocker-Seite stehen.

Dieses Verhalten lässt sich nur durch eine vielschichtige Manipulation erklären. Und dazu tragen leider auch die seriösen Medien bei. Warum etikettieren sie Facebook ständig als „soziales Netzwerk“, obwohl das Eigenschaftswort sozial im Deutschen für gemeinnützig, hilfsbereit und menschlich steht. Doch exakt diese humanen Werte genießen bei diesem Unternehmen keinen herausragenden Stellenwert.

Die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Sender, die per Facebook ihre Programmreichweiten vergrößern wollen, verstoßen damit gegen eindeutige Bestimmungen der Rundfunk-Staatsverträge, die eine Nähe zwischen Programminhalten und kommerziellen Interessen Dritter ausschließen.

Die Welt der Datenkraken ist jedoch nicht auf Facebook beschränkt. Google und AMAZON gehören ebenfalls dazu.
Warum liest kein Lehrer seinen Schülern die Leviten, wenn diese vom „Googeln“ schwafeln? Suchmaschinen können selbstverständlich hilfreich sein. Doch nur dann, wenn der Sucher nicht dabei die Details für seinen eigenen Steckbrief liefert. Letzteres schließt SUMA (gemeinnütziger Verein für freien Wissenszugang) aus, der die von der Leibnitz - Universität Hannover entwickelte Suchmaschine MetaGer.de betreibt. Doch kaum eine Zeitung oder ein Rundfunksender berichten darüber.

Das Einkaufen bei AMAZON mag bequem sein. Der Bestellvorgang ist nicht an Ladenzeiten gebunden. Doch die Zustellung der Ware ist nachweisbar aufwändiger als der Besuch einer Buchhandlung. Nahezu täglich klingelt der Paketauslieferer an meiner Haustür und fragt, ob ich das Buchpaket für einen Nachbarn annehmen kann, was ich ablehne. Denn ich habe kein Interesse daran, dass die kompetente und leistungsfähige Buchhandlung, die sich knapp zehn Gehminuten entfernt befindet, wegen des Multis AMAZON vielleicht eines Tages aufgeben muss. Und mich erfasst ein klammheimliches Vergnügen, wenn ich an Samstagvormittagen vor dem Postamt die Menschenschlange sehe, die bis hinaus auf die Straße reicht. Die Benachrichtigungskarten zur Abholung einer AMAZON-Sendung haben in dieser Massierung bereits Uniformcharakter.

Ich habe meine Buchbestellung im erwähnten Sortiment meines Vertrauens ebenfalls online abgewickelt (auf einer Internetseite mit dem Katalog, den auch AMAZON nutzt) – und am nächsten Tag bei einem Besorgungsgang dort abgeholt. Zudem verkauft mir der Buchhändler lediglich die von mir bestellten Bücher; meine Kundendaten reicht er nicht an Dritte, die ich nicht kenne und mit denen ich nichts zu tun haben will, weiter.

Das Facebook-Konzept ist typisch für das gegenwärtige Stadium des Kapitalismus. Seit dieser den Arbeitnehmer als Element der Massenkaufkraft entdeckte, gewinnen seine persönlichen Daten eine zunehmende Bedeutung bei der Bedarfsweckung. Und was für den Konsumsektor gilt, lässt sich vielfach auf die politische Beeinflussung übertragen. Das hat der von Cambridge Analytics verursachte Skandal deutlich gemacht.

Facebook & Co. erweisen sich als Prüfsteine für die Demokratie. Und mutmaßlich hängt davon auch das Schicksal des Kapitalismus ab.

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