Julian Gutberlet
Am 14. Mai 1948 endet das britische Mandat über die Region Palästina. Zionisten um David Ben-Gurion rufen den Staat Israel aus – in Erwartung eines Kriegs.
Einen Staat in einem Kunstmuseum auszurufen, suggeriert avantgardistische Raffinesse, könnte man meinen. Denn Kunst ist kraftvoll, mutig, frei. Im Falle der Unabhängigkeitserklärung Israels am 14. Mai 1948 ist es wohl eher strategisches Kalkül, denn das alte Museum in Tel Aviv bietet Schutz vor arabischen Luftangriffen und Interventionen der britischen Besatzer. Die Galerie des Hauses ist allerdings viel zu klein, um all die Honoratioren zu fassen, die geladen sind. 250 Stühle sind aus umliegenden Cafés geliehen, ebenso Teppiche und Mikrofone. Um diesem Provisorium dennoch Pathos zu verleihen, werden ausschließlich jüdische Gemälde wie Chagalls „Einsamkeit“ und Hirszenbergs „Exil“ aufgehängt. Es geht um nicht weniger als die Freiheit des jüdischen Volkes nach fast 2.000 Jahren.
Entsprechend erbittert wird jedes Wort der Unabhängigkeitserklärung vom Exekutivkomitee der Jewish Agency debattiert. Ihr Vorsitzender David Ben-Gurion führt akribisch Tagebuch über die Ereignisse. Bei den Beschlüssen setzt er sich fast immer durch: Er protestiert gegen die Festlegung von Grenzen, um im drohenden Krieg gegen die Araber das Territorium erweitern zu können. Eigenmächtig beschließt er den Staatsnamen Israel statt Zion oder Judäa. Vor allem die Linken werfen ihm vor, undemokratisch zu handeln, worauf er nüchtern entgegnet: „In der Krise ist keine Zeit für Versammlungen.“ Die größten Dissonanzen gibt es bei der Gottesfrage. Eine Berufung auf den jüdischen Gott würde eine klare Hierarchie gegenüber der muslimischen Bevölkerung ausdrücken. Ein Judenstaat ohne Gott ist für viele aber undenkbar. Hier vermittelt Ben-Gurion und ersetzt Gott durch Tzur Yisrael, „den Fels Israels“.
Die Nachmittagssonne lässt an diesem historischen Tag die Feuerakazien lange Schatten auf das Bauhausgebäude am Rothschild-Boulevard werfen. Das britische Mandat über die Region wird um Mitternacht enden. Um nicht mit dem Schabbat zu kollidieren, findet die Zeremonie im Museum acht Stunden eher statt. Eine Minute vor vier trifft ein Sekretär ein und übergibt Ben-Gurion die Erklärung, die eben noch vom Nationalrat gebilligt wurde. Auf einer provisorischen Bühne sitzen die Volksratsmitglieder vor einem Foto mit dem Konterfei Theodor Herzls – gesäumt von zwei blauweißen Flaggen mit Davidsstern.
Herzl hatte im Jahr 1897 in Basel mit der Gründung der „Zionistischen Weltorganisation“ den Grundstein für einen jüdischen Staat in Palästina gelegt. Der Vater des politischen Zionismus sah seine Religion durch verstärkten Antisemitismus und Assimilation europäischer Juden in Gefahr. Das Projekt stieß bei den Herrschern des Osmanischen Reiches, zu dem zu dieser Zeit auch Palästina gehörte, verständlicherweise nicht auf Anklang, denn es setzte eine riesige Einwanderungswelle in Gang. Im Ersten Weltkrieg besetzten britische Truppen Jerusalem und bekamen 1922 vom Völkerbund das Mandat über die Region Palästina zugesprochen. Bereits 1917, mit der Balfour-Erklärung, hatten die Briten den Zionisten zugesichert, einen Staat in Palästina zu errichten, dabei aber die Rechte der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung zu wahren.
Wegen anhaltender blutiger Unruhen begrenzten die Besatzer 1939 die jüdische Einwanderung, wohl wissend um die antisemitische Verfolgung im Deutschen Reich. Mit Kriegseintritt 1942 beschlossen die Vereinigten Staaten, wo sich eine große jüdische Minderheit in der Politik gebildet hatte, mit dem Biltmore-Programm die „Öffnung der Tore Palästinas“. Nach Kriegsende war ein Drittel der Bevölkerung Palästinas jüdisch. Die Immigranten wollten sich durch die Urbarmachung des heiligen Bodens ein Recht auf das Land erwerben. Die fruchtbaren Gebiete am Mittelmeer wurden mit landwirtschaftlichen Kollektivsiedlungen, den Kibbuzen, bebaut und der Wüste jeder Meter Ackerland abgetrotzt. Die Einwanderer schufen politische Parteien und eine Armee zum Schutz der neuen Siedlungen.
Als Folge des Holocausts, in dem Nazi-Deutschland ein Drittel der jüdischen Weltbevölkerung systematisch tötete, beschloss die UN-Vollversammlung am 29. November 1947 die Teilung Palästinas: Die 1,3 Millionen arabisch-palästinensischen Bewohner bekamen 43 Prozent des Gebiets, die gut 600.000 Juden 53 Prozent zugesprochen. Jerusalem sollte für Juden, Muslime und Christen eine neutrale Enklave bleiben.
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Foto:
Geliebtes gelobtes Land: Am 14. Mai, dem Tag der Unabhängigkeit, feiern die Israelis ausgelassen und farbenfroh wie hier am Strand von Tel Aviv
© Yehoshua Yosef
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