Die Buchpreisbindung steht dem Neoliberalismus im Wege
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Monopolkommission, welche die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen beraten soll, spricht sich in ihrem am 29. Mai veröffentlichten „Sondergutachten 80“ für eine Abschaffung der Buchpreisbindung aus.
Wörtlich heißt es in dem Dokument: „Aus der Sicht der Monopolkommission – nach Abwägung aller Gesichtspunkte – handelt es sich [bei der Buchpreisbindung] um einen schwerwiegenden Markteingriff, dem ein nicht klar definiertes kulturelles Schutzziel »Kulturgut Buch« gegenübersteht, dessen Auswirkungen ambivalent bzw. unklar sind und der der Marktentwicklung seit dem Erlass des Gesetzes nicht in angemessener Weise Rechnung trägt. Aus diesen Gründen spricht sich die Monopolkommission für eine Abschaffung der Buchpreisbindung aus. Vor jeder Erwägung weiterer Maßnahmen muss erstens das Schutzziel definiert werden. Zweitens muss geprüft werden, ob und inwiefern Schutzdefizite bestehen. Erst auf dieser Basis kann drittens entschieden werden, mit welchen Instrumenten die Schutzdefizite behoben werden können.“
Wer über Expertenkenntnisse verfügt und die 97 eng bedruckten Seiten durcharbeitet, stößt sowohl auf immense Unkenntnisse über den Buchmarkt als auch auf bewusste Falschinterpretationen des Geschehens in der Buch- und Verlagsbranche. Und kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Gremium offensichtlich seinen Auftrag darin sieht, letzte Regulierungen des Marktes wie die Preisbindung für Bücher schlechtzuschreiben und u.a. dadurch das Tor für einen unbeschränkten Neoliberalismus zu öffnen.
Die Mitglieder dieses Gremiums, die durchweg nicht dafür bekannt sind, die Rechte der Verbraucher gegenüber Monopolunternehmen durchsetzen zu wollen, beziehen sich zur Untermauerung ihrer Thesen bezeichnenderweise auf die Praktiken des Versandgiganten Amazon. Ja, sie erklären diese indirekt sogar zu einem beispielhaften Marktverhalten.
So heißt es im Punkt 67 des Gutachtens: „Es ist wahrscheinlich, dass Amazon als mit Abstand größter Anbieter nicht nur die günstigste Kostenstruktur aufweist, sondern als international tätiges Handelsunternehmen mit breitgefächerter Produktpalette auch über weitere Wettbewerbsvorteile verfügt.“
Und diese Vermutung wird im Punkt 68 näher ausgeführt: „Die Gründe für mögliche Kostenvorteile Amazons sind vielfältig. Es ist wahrscheinlich, dass Amazon als weitaus größter Akteur am deutschen Buchmarkt Größenvorteile generieren kann.“
Und im Punkt 69 kommen die Monopolfreunde dann zur Sache: „Durch seine Größe hat Amazon gegenüber Geschäftspartnern potenziell erhebliche Verhandlungsmacht. Für Verlage stellt Amazon den bedeutendsten Absatzkanal dar, sodass davon auszugehen ist, dass Amazon sehr gute Bezugskonditionen im Markt durchsetzen kann.“
Die beste aller Markt-Welten scheint nach dem Urteil der Monopolkommissare Achim Wambach (Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Uni Köln), Dagmar Kollmann (Unternehmerin), Jürgen Kühling (Jurist und Hochschullehrer an der Uni Regensburg), Thomas Nöcker (Mitglied im Vorstand der Kali + Salz AG) und Angelika Westerwelle (Unternehmerin) so auszusehen wie die Amazon-Welt. Denn das Unternehmen hat überall dort, wo es ihm möglich ist, den Markt längst abgeschafft. Schließlich bittet es nicht nur seine Lieferanten, die Verlage, zur Kasse, sondern bezahlt auch seine Mitarbeiter nach einem branchenfremden, weil für ihn deutlich günstigeren, Tarif.
Ebenso gibt sich Amazon sich nicht mit der für Großhändler höchst möglichen Rabattspanne von 50 Prozent zufrieden und hält selten vereinbarte Zahlungsfristen ein. Nein, Verlage müssen zusätzlich Gebühren dafür zahlen, dass der Monopolist ihre Titel listet und sich außerdem einem Diktat unterwerfen, das die Modalitäten der Warenanlieferung bis ins kleinste Detail regelt und selbst kleinste Verstöße mit empfindlichen Konventionalstrafen ahndet.
Die Empfehlungen der Monopolkommission bedeuten nichts anderes, als dass sich der gesamte Buchmarkt nach den Vorstellungen und dem Willen von Amazon und ähnlichen Multis auszurichten hat. Denn nur diese entsprechen anscheinend dem europäischen und nationalen Wettbewerbsgedanken.
Das „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“, Organ des Branchenverbands „Börsenverein“, berichtete im September 2013 über die Versandvorschriften für Amazon-Lieferanten:
„In den vergangenen Jahren hat Amazon in Deutschland ein Logistikzentrum nach dem anderen eröffnet, das treibt die Kosten. Um sich hier wieder Luft zu verschaffen, ergreift der Konzern nun offenbar die Flucht nach vorn – und erhebt Gebühren von allen Lieferanten, die die geforderte Perfektion in den Versandhallen stören. Auch Verlage sind betroffen. Das Bundeskartellamt hält sich raus.“
Letzteres hält sich so lange raus, bis jemand klagt. Aber die Hasenfüße in den Verlagen scheuen jeden Rechtsstreit. Denn sie haben ihren traditionellen Vertriebsweg, den stationären Buchhandel, längst mehr oder weniger aufgegeben. Erst wenn Amazon ihnen auch das Büchermachen abnimmt, könnte dem einen oder anderen ein Licht aufgehen. Aber dieses wird dann vermutlich das Totenlicht in einer Trauerhalle sein.
Wie nicht anders zu erwarten, werden auch die Leser entmündigt. Denn sie werden ihrer Rechte auf informelle Selbstbestimmung beraubt. Ganz offen schreiben die Gutachter in Punkt 70 ihres Machwerks:
„Die hohen Nutzer- und Verkaufszahlen erlauben es Amazon, umfangreiche personalisierte Kundendatenbestände aufzubauen. Auf deren Basis kann Amazon präzise Buchempfehlungen und Alternativvorschläge unterbreiten und das Angebot zielgerichtet an den individuellen Kundenpräferenzen ausrichten.“
Die Monopolkommissare und Wettbewerbsvermeider sollten im Bündnis mit Amazon ein weiteres und hoffentlich letztes Mal zur Feder greifen und den ultimativen Bestseller für alle Angepassten schreiben: „Neoliberale Freiheit 10.0 - Ich kenne meinen Nachbarn und er kennt mich, Amazon aber kennt uns alle“. Facebook und Google würden sicherlich als Sponsoren auftreten.
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Monopolkommission übergibt der Bundesregierung ihr Gutachten zur Buchpreisbindung
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