Constanze Weinberg
Buxtehude (Weltexpresso) - Liebe Frau Schulmerich, heute früh, kurz nach Sieben, hat mich eine Moderatorin des Deutschlandfunks aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie fragte, ob wir uns über eine Fußball-WM in Putins Russland freuen könnten. Und das auf nüchternen Magen.
Ehrlich gesagt habe ich mir bisher keine Gedanken darüber gemacht. Eigentlich hatte ich mich nur darauf gefreut, schöne Spiele zu sehen. Dass die Weltmeisterschaft auch ein Prüfstein für meine demokratische Zuverlässigkeit werden könnte, war mir nicht bewusst. Machte ich mich damit zur Komplizin Putins? Angeblich benutzt er die Fußball-WM doch nur, um die Welt über seine Eroberungspläne zu täuschen. Was die Sache zusätzlich kompliziert, ist die Niederlage der deutschen Nationalmannschaft gegen Österreich. Was im Wörthersee-Stadion am Südrand von Klagenfurt abgelaufen ist, überschattet nebenbei bemerkt auch meine Erinnerungen an schöne Urlaubstage in Kärnten.
Wie oft bin ich an diesem Stadion vorbeigefahren, wenn ich ins Rosental wollte oder über den alten Loibl-Pass zu einem Ausflug nach Slowenien. Den Leuten rings um den Wörther See war das Stadion von Anfang an nicht geheuer. Für Klagenfurt sei es zwei Nummern zu groß, hieß es immer. Und jetzt wurde ausgerechnet dieses Stadion zum Schauplatz einer Sternstunde österreichischer Größe nicht nur des Fußballs, sondern auch des ganzen Landes. Aus deutscher Sicht hatte das Spiel, abgesehen von der Niederlage, noch einen besonderen Makel. Ausgerechnet Mesut Özil schoss den einzigen Treffer für Deutschland. Dabei hätte ihn Jogi Löw – wie man hört - gar nicht aufstellen dürfen, weil sich Özil öffentlich als Sympathisant des türkischen Präsidenten Erdogan zu erkennen gegeben hat.
Hätte er sich mit Putin fotografieren lassen, wäre Jogi Löw wohl kaum auf die Idee verfallen, ihn zur Weltmeisterschaft mitzunehmen. Dafür hätten die deutschen Medien schon gesorgt. Erdogan und Putin – das ist eben nicht Jacke wie Hose. Erdgan ist unser Freund und Verbündeter im Kampf gegen Putins Weltherrschaftspläne. An Özils Treffer für Deutschland gibt es gleichwohl nichts auszusetzen. Abgesehen davon steht weiterhin die Frage im Raum, ob wir uns angesichts der Annexion der Krim über eine Fußball-WM in Putins Russland freuen können. Das zerrt an meinen Nerven.
Wie harmonisch war dagegen alles bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland! Da sprach niemand davon, dass Deutschland dereinst – bildlich gesprochen – die halbe Welt annektiert hat. Noch heute schwärmen viele vom „deutschen Sommermärchen“, obwohl sich herausgestellt hat, dass bei der Vergabe Einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Aber Korruption gehört ja auch anderswo zum Geschäft und ist Teil des Wertekanons der freien Welt oder zumindest jener reichen Minderheit, die es sich auf Kosten der Mehrheit gut gehen lässt.
Millionen Deutsche haben gejubelt, als 1936 die Olympischen Sommerspiele in Deutschland ausgetragen wurden, während gleichzeitig Abertausende in Gefängnissen und Konzentrationslagern saßen und das Naziregime sich darauf vorbereitete, die ganze Welt zu unterjochen. Zum Glück ist es ja nicht dazu gekommen, die Welt am deutschen Wesen genesen zu lassen. Aber um welchen Preis! Sich ständig als Richter über das demokratische Wohlverhalten Anderer aufzuspielen, steht Deutschland schlecht zu Gesicht Es fragt ja auch niemand danach, ob sich die Aktionäre von Mercedes und BMW und von wem auch immer über die Dividende aus den milliardenschweren Geschäften mit dem kommunistischen China freuen können, so wie jetzt danach gefragt wird, ob wir uns über eine Fußball-WM in Russland freuen können.
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abendzeitung-muenchen.de
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