uni weiberDie Frauenbewegung der 68er war eine Revolte innerhalb der Revolte

Katharina Klein

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen“ – mit diesem Aufruf auf Flugblättern, die durch die Stadthalle von Hannover segelten, störte eine Gruppe Frauen 1968 die Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS). Sie empörten sich darüber, dass die männlichen Genossen ihre Interessen und Forderungen nicht wichtig nahmen und sie nur als Zuarbeiterinnen im politischen Kampf sahen.
Über den langen Weg von der Gründung des Frankfurter Weiberrats bis hin zur ersten Professur für Frauenforschung an der Goethe-Universität berichten zwei Zeitzeuginnen in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Forschung Frankfurt“ zum Thema „die 68er“.

Auch bei einer späteren Delegiertenversammlung in Frankfurt, bei der es zu dem legendären Tomatenwurf auf den SDS-Vorstand kam, wurden Frauen nicht gehört. Darauf wurden in vielen Städten der Bundesrepublik Frauengruppen gegründet. „Nicht nur die Ignoranz der Studentenbewegung, auch die Ausschluss- und Diskriminierungsmechanismen etablierter Politik führten zu einer Erweiterung des Politikbegriffs durch die Neue Frauenbewegung. Das Konzept ‚Das Private ist politisch‘ wurde zur Parole in vielen (westlichen) Ländern“, schreibt die Soziologin und langjährige Direktorin des „Cornelia Goethe Centrum für Frauenforschung“ Prof. Ulla Wischermann.

Der Frankfurter „Weiberrat“ bestand aus etwa 90 Frauen, die überwiegend Studentinnen waren; andere standen im Berufsleben, wenige hatten Kinder. Sie trafen sich zunächst nach dem Vorbild der männlichen Genossen in kleinen Gruppen zur „Kapitalschulung“. „Aber allmählich fragten wir uns, ob wir nicht auch eigene, frauenpolitische Themen haben. Als wir 1971 in einer Umfrage im Weiberrat wissen wollten, wie jede von uns persönlich als Frau unterdrückt wird, gab es nur wenige Antworten“, erinnert sich die damalige Jurastudentin Sibylla Flügge. Das habe sich erst nach der Stern-Kampagne geändert, bei der bekannte deutsche Frauen auf der Titelseite bekannten „Ich habe abgetrieben“. Die Opposition gegen den § 218 wurde zum entscheidenden, alle vereinende Thema der Frauenbewegung. Schon einen Monat später lagen 86.000 Solidaritätserklärungen vor.

Für Sibylla Flügge ist die Reform des Sexualstrafrechts 1974 eine der wesentlichen Errungenschaften der Studentenbewegung. „Bis dahin war das Strafrecht stark von christlichen Moralvorstellungen geprägt. Viele Formen der Sexualität wurden als Sittenwidrigkeit geahndet: Homosexualität, Ehebruch oder Kuppelei. Männer konnten die Erfüllung der ehelichen Pflicht einfordern; sexuelle Gewalt innerhalb der Ehe galt bis 1998 nicht als Vergewaltigung“, erinnert sie. Die Frauenbewegung thematisierte ab Mitte der 1970er Jahre die vielfältigen Formen sexueller und häuslicher Gewalt und setzt sich bis heute für einen effektiven Schutz von Frauen vor Gewalt und sexuellen Übergriffen ein. Ebenso begann damals der Kampf gegen die Vermarktung des Frauenkörpers durch Werbung, Medien, Pornografie und Prostitution.

Als Spezifikum der westdeutschen Frauenbewegung sieht Soziologin Ulla Wischermann deren radikalen Autonomieanspruch. Dieser brachte in Frankfurt, dem wichtigsten Zentrum der westdeutschen Frauenbewegung neben Berlin, eine eigene Frauenbewegungskultur hervor: 1973 wurde das Frauenzentrum in der Eckenheimer Landstraße gegründet; 1976 entstand der Frauenbuchladen in Bockenheim; im gleichen Jahr wurde das Lesbenzentrum eröffnet; 1978 schuf der „Verein Frauen helfen Frauen“ ein Haus für geschlagene Frauen und ihre Kinder; ebenfalls 1978 wurde eine feministische Zeitschrift gegründet – das „Frankfurter Frauenblatt“; 1981 wurde der Frauennotruf eingerichtet. Kneipen für Frauen, Musikgruppen und Kabaretts, Gründungsinitiativen wie die Frauenbetriebe, ein Gesundheitszentrum und die „Frankfurter Frauenschule“, gefolgt von Mädchen- und Migrantinnenprojekten und vieles mehr kennzeichnen, z.T. bis heute, die Frankfurter Frauenszene.

Gleichzeitig versuchten Frauen aus dem akademischen Mittelbau innerhalb der Uni­versität eigene Räume und Möglichkeiten jenseits der etablierten Lehr- und Forschungsfor­men einzurichten. Im Wintersemester 1973/1974 wurde in Frankfurt während eines aktiven Streiks die erste Uni-Frauengruppe gegründet, die schon damals einen Frauenlehrstuhl for­derte. Trotz Zustimmung des Fachbereichs Soziologie ließ die Besetzung dieses bundesweit ersten Frauenlehrstuhls mehr als zehn Jahre auf sich warten, bis schließlich nach vielen Kämpfen 1987 Ute Gerhard berufen wurde. Zehn Jahre später initiierte sie gemeinsam mit drei Kolleginnen aus anderen Fachbereichen das interdisziplinäre „Cornelia Goethe Centrum für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse“ (CGC), das sie bis zu ihrer Emeritierung im Jahr 2004 leitete. Diese Professur und das CGC haben bis heute Kontinuität und große nationale und internationale Anerkennung behalten.

„Rückblickend würde ich sagen: Die Frauenbewegung war nachhaltiger als die Studentenrevolte, denn sie hatte viel konkretere Anliegen, die nach wie vor Frauen bewegen“, schließt Zeitzeugin Sibylla Flügge.

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