Matthias Küntzel
Hamburg (Weltexpresso) - Die Bezeichnung „islamischer Antisemitismus“ bezieht sich weder generell auf den Islam, dessen Texte auch pro-jüdische Passagen enthalten noch pauschal auf Muslime, von denen nicht wenige den Antisemitismus ablehnen.
Islamischer Antisemitismus meint eine spezifische Ausprägung von Judenhass, die besondere Kennzeichen aufweist, besondere Konsequenzen nach sich zieht und deshalb auch gezielt zu bekämpfen ist. Wodurch unterscheidet sich der islamische Antisemitismus von anderen Erscheinungsformen des Judenhasses?
Beim Versuch einer begrifflichen Eingrenzung ist erstens zwischen dem religiös motivierten Antijudaismus, der die vormodernen Schriften des Islam dominiert, und dem europäisch geprägten Antisemitismus seit dem 19. Jahrhundert zu differenzieren. Antijudaismus ist Judenhass im religiösen Gewand: Dadurch, dass Juden konvertierten, konnten sie immerhin überleben. Demgegenüber zeichnet sich der Antisemitismus durch rassistische Zuschreibungen sowie das Phantasma jüdischer Allmacht aus. Während beim Antijudaismus alles Jüdische als Böse gilt, hält der Antisemit alles „Böse“ für jüdisch.
Zweitens ist zu berücksichtigen, dass sich das Judenbild des christlichen Antijudaismus von dem des muslimischen Antijudaismus unterscheidet.
Mohammed war in der Lage, die Juden von Medina zu vertreiben und Hunderte von ihnen zu töten. Deshalb pflegten Muslime auf die Juden herabzublicken. Im Sommer 2014 wurde dieser degradierende Blick mittels der Parole „Jude, Jude, feiges Schwein, komm‘ heraus und kämpf‘ allein“, die junge Muslime skandierten, sinnfällig. Im April 2018 wollte ein Araber sein Gegenüber ebenso gezielt demütigen, als er in Berlin einen Kippa-Träger mit einem Gürtel peitschte.[1]
Hingegen hat im christlichen Antijudaismus nicht der Prophet die Juden getötet, sondern die Juden den Propheten, weshalb der christliche Antijudaismus sie als dunkle und übermächtige Instanz dämonisiert. Nur auf christlichem Boden konnte deshalb die Propaganda von der „jüdischen Weltverschwörung“ sprießen und gedeihen.
Judenhass aus Christentum und Islam vereint
Auf Basis dieser Unterscheidungen lässt sich ausmachen, was den islamischen Antisemitismus von anderen Formen des Antisemitismus unterscheidet: Nur hier bilden der degradierende Antijudaismus des Frühislam mit dem verschwörungsbezogenen Antisemitismus der Moderne eine Einheit. Nur hier werden die negativsten Judenbilder aus Christentum und Islam vereint.
Ein Musterbeispiel liefert die Charta der Hamas. In Artikel 7 zitiert diese Charta den Propheten Mohammed mit einem vermeintlichen Zitat, demzufolge die Muslime die Juden töten werden, „bis sich der Jude hinter Stein und Baum verbirgt, und Stein und Baum dann sagen: Oh Muslim, oh Diener Gottes! Da ist ein Jude hinter mir. Komm und töte ihn.“[2] In Artikel 22 heißt es demgegenüber, dass die Juden „hinter dem Ersten Weltkrieg [...] und hinter dem Zweiten Weltkrieg (standen)“ und die „Bildung der [...] Vereinten Nationen [...] anregten, um damit die Welt zu beherrschen.“[3]
Wir sehen: Dieser Text porträtiert die Juden gleichzeitig als Schwächlinge, die fliehen und sich hinter Bäumen und Steinen verstecken müssen und als die heimlichen und eigentlichen Herrscher der Welt. Diese Kombination ist natürlich absurd. Doch werden beide Komponenten durch sie verstärkt: der europäische Antisemitismus wird durch das fanatische Moment des radikalen Islam neu aufgeladen, während das althergebrachte Judenbild des Koran durch Zugabe der Weltverschwörungstheorie eine neue, jetzt auch eliminatorische Dimension erfährt.
So gehört zu den Standardformeln des islamischen Antisemitismus die Behauptung, dass es die Juden und Israel überall und schon immer darauf abgesehen hätten, den Islam zu unterminieren und schließlich zu zerstören.
Schon während der Dreißigerjahre verbreitete Amin el-Husseini, der Mufti von Jerusalem, das Gerücht, Juden wollten die heiligen Stätten des Islam in Jerusalem zerstören. In den Fünfzigerjahren griff der Muslimbruder Sayyid Qutb diese Lüge in seinem Pamphlet „Unser Kampf gegen die Juden“ auf. „Der erbitterte Krieg, den die Juden gegen den Islam angezettelt haben“, heißt es hier, „ist ein Krieg, der in beinahe vierzehn Jahrhunderten nicht für einen einzigen Moment unterbrochen worden ist“. Dieser Kampf setze „sich gewalttätig fort und wird auf diese Weise weitergehen, weiI die Juden erst mit der Zerstörung des Islam zufrieden sein werden.“[4]
Auch hier werden das siebte und das zwanzigste Jahrhundert vermischt und Zitate aus dem Koran mit dem Phantasma einer Weltverschwörung verrührt. Das Muster dieser paranoiden Opfer-Phantasie ist vom Nationalsozialismus bekannt: Der eigene Vernichtungswunsch wird dadurch legitimiert, dass man ihn auf die Juden projiziert. Diese Sichtweise impliziert eine totale Konfrontation, die nur mit dem vollständigen Sieg der einen oder der anderen Seite enden kann. Für Kompromisse lässt sie keinen Platz.
FORTSETZUNG FOLGT
ANMERKUNGEN
[1] Simon Strauss, Wo bleibt der Schutz?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 20. April 2018.
[2] Helga Baumgarten: Hamas. Der politische Islam in Palästina, München 2006, S. 211.
[3] Baumgarten, a.a.O. S. 219.
[4] Qutbs Traktat ist vollständig dokumentiert in: Ronald L. Nettler, Past Trials and Present Tribulations. A Muslim Fundamentalist’s View of the Jews, Oxford 1987. S. 72-89.
Foto:
Anti-israelische Demonstration in San Francisco, 2009 · Quelle ©: Wikimedia Commons · Urheber: Mbz1 · Lizenz: CC-BY-SA 3.0
Info:
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Originalveröffentlichung bei www.mena-watch vom 7. Juni.
Neuestes Buch von Matthias Küntzel:
Deutschland, Iran und die Bombe
Eine Entgegnung – auch auf Günter Grass
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Originalveröffentlichung bei www.mena-watch vom 7. Juni.
Neuestes Buch von Matthias Küntzel:
Deutschland, Iran und die Bombe
Eine Entgegnung – auch auf Günter Grass