kpm Sahra Wagenknecht beim Abschluss des Parteitags der Linken in LeipzigDie Linkspartei ist in der Gefahr, sozialistische Positionen über Bord zu werfen

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Analyse und Bewältigung der so genannten Flüchtlingskrise sind zu wichtig für den demokratischen Diskurs dieses Landes, als dass man sie der AfD überlassen dürfte.

Deswegen teile ich überwiegend Sahra Wagenknechts Bedenken gegen eine oberflächliche, die Komplexität des Themas verschleiernde Debatte. Auch wenn ich nicht den Linken angehöre, erhoffe ich mir von dieser Partei wesentliche Impulse für eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit Ursachen und Folgen des Flüchtlingselends. Appelle allein an die Hilfsbereitschaft der Menschen hierzulande verfehlen ihr Ziel, wenn dadurch die Despoten im Nahen und Mittleren Osten, in Afghanistan und Afrika ermuntert werden, die Ausbeutung ihrer Länder fortzusetzen und ihre Landsleute notfalls der Barmherzigkeit Europas zu überantworten. Schließlich verlieren auch die Barmherzigen allmählich ihren Glauben an das Gute.

Denn auch in Europa mussten die politischen Freiheiten hart erkämpft werden. Noch vor 200 Jahren sah es so aus, dass Rechtlosigkeit und Unterdrückung der Massen nie enden würden; die Ideale der Französischen Revolution einschließlich der Freiheitsversprechen Napoleons schienen vergessen zu sein. Doch im Zuge der Industrialisierung, die zunächst neue Formen des sozialen Elends hervorrief, erwachte das Bewusstsein der Werktätigen erneut. Die Arbeiter- und sozialistischen Parteien gewannen an Bedeutung und Einfluss. Vordenker wie Marx und Engels ebneten Ferdinand Lasalle, Wilhelm Liebknecht, Wilhelm Weitling und anderen den Weg. Heute steht jede sozialistische Partei auf den Schultern von Karl Marx; selbst wenn besonders Sozialdemokraten regelmäßig wieder herunterfallen, weil sie nicht widerstehen können, wenn der süße Honig des Neoliberalismus lockt.

Den unterjochten Völkern Arabiens, Afrikas und Asiens wird kaum ein anderer Weg übrig bleiben als jener der Sozialisten im 19. Jahrhundert, wenn sie sich wirklich befreien wollen – befreien von Diktatoren, religiösen Fanatikern und überkommenen Werten, die bislang selten bis nie in Frage gestellt wurden. Darum ist es für mich sowohl schmerzlich als auch unbegreiflich, wenn junge Männer auf gefährlichen Fluchtwegen ihr Leben riskieren, um anschließend an den Mülltonnen Europas eine Existenz zu fristen, die in jeder Hinsicht entwürdigend ist und unweigerlich Frustrationen auslöst, die sich immer häufiger in Gewalt gegen Unbeteiligte, sogar gegen Helfer, entladen. Und so stehen Männer wegen verabscheuungswürdiger Verbrechen vor europäischen Gerichten und verschwinden für Jahre hinter Gefängnismauern; Männer, die für den Freiheitkampf in ihren Heimatländern gebraucht werden. Denn wer soll diesen sonst führen? Etwa Putin oder Trump bzw. deren Söldnertruppen?

Wenn die Linken-Politikerin Katja Kipping in Richtung Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht fordert, es müsse Schluss sein mit der öffentlichen Infragestellung von Parteibeschlüssen zur Flüchtlingsfrage, die im Prinzip das Weiter-so der Bundesregierung unterstützen, offenbart sie ein Maß an Konfliktscheuheit, das im Widerspruch zu den Grundanliegen einer linken Partei steht. Denn man kann sich nicht friedlich-schiedlich an den Konflikten dieser Welt vorbeimogeln. Und eine rote Diakonisse, die angesichts von Wiederholungstätern Versöhnung einfordert, wird nicht gebraucht.

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Sahra Wagenknecht beim Abschluss des Parteitags der Linken in Leipzig
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