p nsuDie NSU-Morde und ihre Vorgeschichte Teil 2/2

Conrad Taler/ Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) -Seit mehr 40 Jahren wird über Sinn und Zweck eines NPD-Verbots debattiert. Als es dann einmal fast so weit war, stieß sich das Bundesverfassungsgericht an den Spitzeln, die der Verfassungsschutz in die NPD eingeschleust hatte. Beim Verbot der Kommunistischen Partei im Jahr 1956 spielte dieses Argument keine Rolle, obwohl sie von unten bis oben mit Spitzeln durchsetzt war. Das Verbot war politisch gewollt. Es wurde als Instrument zur Bekämpfung von Gegnern der Wiederbewaffnung gebraucht.

Ist das der sprichwörtliche Schnee von gestern? Mitnichten. Die alte Diffamierungsmethode lebt weiter. Initiativen gegen den Rechtsextremismus werden nur dann gefördert, wenn sie nicht mit linken antifaschistischen Gruppen zusammenarbeiten. Zeitzeugen werden vom Verfassungsschutz bespitzelt und als kommunistische Handlanger hingestellt. In seinem Jahresbericht 2003 behauptet er, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten – abgekürzt VVN/BdA – setze hoch betagte Personen als Zeitzeugen ein, die »zumeist aus kommunistischer Sicht« über den Terror der Nationalsozialisten berichteten.

Da ich auf Empfehlung der Bremer Bildungsbehörde mehrmals als Zeitzeuge vor Schülern über meine Eindrücke vom Auschwitzprozess gesprochen
habe, bat ich den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble um einen Rat. »Ich bin zwar von niemandem als Zeitzeuge eingesetzt worden«,
schrieb ich dem Minister, »fühle mich aber verunsichert. Was ist unter kommunistischer Sichtweise zu verstehen? Was muss ich beachten, um nicht in
verfassungsfeindlicher Absicht über den Auschwitzprozess und seine Bedeutung für nachfolgende Generationen zu referieren?« Üblicherweise lässt
Wolfgang Schäuble Briefe nicht unbeantwortet. Auf meine Fragen hat er nicht geantwortet. Vielleicht war ihm bewusst, dass sich da einiges nicht zusammenreimt.

Bekannte Kommunisten wie Kurt Goldstein, Willi Hundertmark, Fritz Bringmann und Alfred Hausser wurden für ihre Tätigkeit als Zeitzeugen mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt, das hieß, dass sie sich um die Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht haben. Gleichzeitig wird ihre Organisation
als demokratisch unzuverlässig denunziert und vom Verfassungsschutz bespitzelt.

Ganz offensichtlich gibt es im vereinten Deutschland zwei gegenläufige und sich widersprechende historische Orientierungen: Die offiziellen Bekenntnisse
zum Widerstand gegen die Nazidiktatur und die Geringschätzung des Widerstandes aus den Reihen der Arbeiterschaft. Der ehemalige SPD-Vorsitzende
Hans-Jochen Vogel hat seiner Partei bereits 1980 vorgehalten, ihr Bestreben, die Zeit des Nationalsozialismus zu verdrängen, habe zu einer Verkümmerung des Geschichtsbewusstseins« geführt; vielfach sei die Verbindung zur Geschichte überhaupt verloren gegangen. Inzwischen gilt das auch für die Nachkriegsgeschichte. Wie sonst könnte die DDR mit der Nazidiktatur auf eine Stufe gestellt werden.

Nach Berechnungen der ehemaligen Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben haben alle DDR-Richter zusammen in 40 Jahren 214 Todesurteile gefällt. Darunter waren 94 Urteile wegen NS-Verbrechenund 74 wegen so genannter Staatsverbrechen, also politisch motivierte Urteile.Der ehemalige Nazirichter Hans-Joachim Rehse allein hat 231 Todesurteile gefällt, also mehr als alle DDR-Richter zusammen. Er wurde am 6. Dezember 1968 vom Schwurgericht beim Landgericht Berlin freigesprochen.

Historiker des Münchner Instituts für Zeitgeschichte haben festgestellt, dass der politisch motivierte Widerstand gegen das NS-Regime zu 75 Prozent
kommunistischer Widerstand war, zu zehn Prozent sozialdemokratischer und zu drei Prozent christlich-bürgerlicher Widerstand.

Mannheimer Wissenschaftler haben die Lebensläufe von 1.675 führenden deutschen Kommunisten untersucht und festgestellt, dass 256 von ihnen dem Terror der Nazis und 208 dem Terror Stalins zum Opfer gefallen sind. Bundespräsident Heinrich Lübke – alles andere als ein Freund der Linken – sagte in einer Gedenkrede zum 20. Juli, viele kommunistische Widerstandskämpfer seien unabhängige Idealisten gewesen, und es wäre unredlich, ihnen nterschieben zu wollen, sie hätten nur als Handlanger einer fremden Macht gehandelt. Richard von Weizsäcker hat in seiner viel zitierten Rede zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus den Widerstand der Kommunisten gegen Hitler ausdrücklich in das ehrende Gedenken einbezogen.

Mit der Bespitzelung von Antifaschisten desavouiert der Verfassungsschutz gleich zwei Bundespräsidenten. Er stärkt die Rechtsextremisten, indem er ihre Gegner schwächt. Wozu die Neonazis fähig sind, zeigte sich 1996 auf einer Kundgebung des Bundes der Vertriebenen. Dort beschimpften sie den Bundespräsidenten Roman Herzog als »Vaterlandsverräter«, weil er die deutschen Gebietsverluste im Osten als endgültig bezeichnet hatte. Die deutsche
Öffentlichkeit hat davon so wenig Notiz genommen wie von der alarmierenden Feststellung der Landesanwaltschaft Bayern, die innenpolitischen
Entwicklung sei dadurch gekennzeichnet, dass verfassungsfeindliche, den Nationalsozialismus billigende, verherrlichende oder rechtfertigende Bestrebungen geduldet werden. Die Landesanwaltschaft – in anderen Bundesländern Generalstaatsanwaltschaft genannt – erklärte das in einem Gutachten für das Bundesverfassungsgericht. (BvR 461/08) Das Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall der Mordserie des »Nationalsozialistischen
Untergrunds« (NSU) war keine Panne, sondern die Folge politischer Einäugigkeit. Auch bei den fremdenfeindlichen Pogromen von Lichtenhagen und Hoyerswerda sowie bei den tödlichen Brandanschlägen von Mölln und Solingen waren Polizei und Verfassungsschutz ihren Aufgaben nicht gewachsen. Von dem selbst inszenierten Sprengstoffanschlag auf die Außenmauer der Justizvollzuganstalt in Celle, mit dem der Verfassungsschutz linksterroristische Aktivitäten vortäuschen wollte, ganz zu schweigen.

Zum Glück orientieren sich immer mehr Menschen nicht am Weltbild des Verfassungsschutzes, der antifaschistisches Engagement für linksextremistisch
hält und schließen sich zu breiten Bündnissen gegen die Neonazis zusammen. Vielerorts beschäftigen sich Schülerinitiativen mit dem Geschehen während der Nazizeit und würdigen die Opfer der Verfolgung. Ganz ohne Zweifel habe Deutschland eine »der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen in den letzten Jahrzehnten« erlebt, sagte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, mit Blick auf die Mordserie des NSU. Er versprach, dass sich Derartiges nicht wiederholen werde.

Organisatorische Maßnahmen reichen dafür allerdings nicht aus. Das Scheuklappendenken muss aufhören und – was nicht weniger wichtig
ist – der Verfassungsschutz muss sich im Umgang mit Naziopfern und zugewanderten Mitbürgern an der immerwährenden Verantwortung für das
von Deutschland während der NS-Zeit begangene Menschheitsverbrechen orientieren. Auf diese Verantwortung hat Bundeskanzlerin Angela Merkel
zu Recht hingewiesen. So beugt man am besten einer Berufskrankheit der Schlapphüte vor – der politischen Blindheit auf dem rechten Auge. Einen
Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit kann es nicht geben, weil die innere Selbstreinigung ausgeblieben ist, und es wird ihn nicht geben, so
lange unser Land von Demokraten regiert wird. Die aufsteigenden Schatten allerdings, von denen Walther Rathenau in einer Vorahnung kommen Unheils
gesprochen hat, sie sind nicht verschwunden und mahnen zur Wachsamkeit.


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© bpb.de

Info:
Aus einem Vortrag vom 20.6.2013, veröffentlicht in dem Buch „Gegen den Wind“ der gleichnamigen Verfasser