kpm Andrea Nahles ist seit 100 Jahren Vorsitzende der SPDAndrea Nahles und kein Ende der SPD-Krise

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Andrea Nahles, seit 100 Tagen SPD-Vorsitzende, passt ziemlich nahtlos, so wie andere vor ihr, in das System SPD.

Letzteres wird inhaltlich geprägt von einer vorbehaltlosen Zustimmung zum Kapitalismus. So ist die Sozialdemokratie trotz der Exzesse des Neoliberalismus und dessen Folgen nicht gewillt, an ihrer Linie Substanzielles zu ändern. Der weltweit grassierenden Umweltzerstörung einschließlich der Klimaveränderung, den Kriegen um regionale Hegemonieansprüche (die u.a. auch mit deutschen Waffen geführt werden), den daraus resultierenden Flüchtlingsströmen von aktuell mehr als 40 Millionen Menschen, dem Neuaufflammen von Rassismus und Rechtsradikalismus infolge kleinbürgerlicher Besitzstandsängste im Westen setzt sie keine humanen Perspektiven entgegen. Weiterhin ist sie der Meinung, dass selbst bei deregulierter Geld- und Machtvermehrung zu Gunsten der Eigentümer an Produktions- und Finanzmitteln noch ein nennenswerter Teil der Erträge für einen gerechten Sozialstaat übrig bliebe.

Emmanuel Macron, der kein Sozialdemokrat ist, möchte dieses Modell derzeit den Franzosen (mit Verweis auf die Agenda 2010 in Deutschland) schmackhaft machen und stößt auf zunehmenden Widerspruch. Frankreich ist eben das Land der Revolution, Deutschland hingegen das der Reformation. Und ähnlich wie Martin Luther geht es der SPD spätestens seit der Verabschiedung des Godesberger Programms von 1959 nicht um das große Nein, sondern lediglich um das kleine partielle Nein innerhalb eines großen und grundsätzlichen Ja.

Dabei würden die ungleiche Verteilung der Vermögen, die Gentrifizierung in den Großstädten, das Zweiklassen-Gesundheitssystem, die immer noch ungleichen Bildungschancen, die weiterhin ungehemmte Privatisierung der Daseinsvorsorge und die von Spekulanten lancierten Kampagnen gegen die gesetzliche Rente allemal ausreichen, um täglich zur Revolution aufzurufen, ähnlich wie Heinrich Heine das einst forderte:

„Was die Glocke hat geschlagen,
Sollst du deinem Volke sagen,
Rede Dolche, rede Schwerter!“

(Die Tendenz)

Allein der Vergleich der Bundestagswahlergebnisse von 1998 (40,9 %) und 2017 (21,5 %) sowie die Kenntnisnahme aktueller Umfragen (18 Prozent) sollte im Parteivorstand täglich Alarm auslösen. Aber dazu müsste man, wie Beobachter der Vorgänge mutmaßen, des Denkens, Lesens und Schreibens sowie der sozialen Empathie fähig und ehrlich gegenüber sich selbst sein.

Offensichtlich sucht die SPD keineswegs nach einer (nicht existierenden) Mitte in der Gesellschaft, aus der sie das verlorene Wählerpotential schöpfen möchte; sie sucht nach Rechtfertigung für ihre Mittelmäßigkeit. Und setzt dabei endgültig ihre Zukunft aufs Spiel.

Foto:
Andrea Nahles 100 Tage Vorsitzende der SPD
© Deutschlandfunk